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Nach 93 Wochen endlich ein schriftliches Urteil im NSU-Prozess

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Beate Zschäpe.

Foto: MICHAELA REHLE/AFP via Getty Images

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Lesedauer: 4 Min.

Für die verurteilte Rechtsterroristin Beate Zschäpe beginnt nun die für die Dauer ihres Gefängnisaufenthalts entscheidende Phase. Fast 93 Wochen nach Zschäpes Verurteilung im NSU-Prozess zu lebenslanger Haft hat das Oberlandesgericht München das schriftliche Urteil gegen die 45-Jährige und ihre vier Mitangeklagten abgegeben. In Kürze bekommen Bundesanwaltschaft, Verteidiger und Nebenkläger die 3025 Seiten – sie haben dann vier Wochen Zeit, um ihre Revision schriftlich zu begründen und das Urteil womöglich ins Wanken zu bringen.
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und die weiteren Richter des Prozesses um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) schöpften ihre zeitlichen Möglichkeiten zwischen der mündlichen Urteilsverkündung am 11. Juli 2018 und dem Ende der Abgabefrist für das schriftliche Urteil fast vollständig aus. Am Mittwoch hätte das Urteil spätestens zu den Akten kommen müssen, nun liegt es seit Dienstag dort.
Dass Götzl und sein Team so viel Zeit hatten, liegt am epischen Ausmaß des NSU-Prozesses mit seinen 438 Verhandlungstagen. Die Strafprozessordnung bemisst nach der Prozessdauer die Zeit für die Urteilsbegründung.
Allein der Umfang von mehr als 3000 Seiten zeigt, dass der auch im NSU-Prozess bis zur Penibilität präzise arbeitende Götzl alle Details des Urteils umfassend begründet haben wird. Götzl verurteilte die mittlerweile in Chemnitz im Frauengefängnis sitzende Zschäpe als Mittäterin der Morde an neun Migranten und einer Polizistin, obwohl sie laut der Beweisaufnahme an keinem einzigen Tatort war. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die 2011 nach einem Überfall mutmaßlich Suizid begingen, sollen alle Taten verübt haben.
Schon die Anklage Zschäpes durch die Bundesanwaltschaft als Mittäterin, ohne dass sie je an einem Tatort war, galt als kühn. Dass das Urteil diese Annahme bestätigte, wird unter Juristen bis heute kontrovers diskutiert. Zschäpes Verteidiger Mathias Grasel sagte am Urteilstag, die Verurteilung wegen Mittäterschaft sei „juristisch nicht haltbar“.
Grasel sagt auch heute, die Frage der Mittäterschaft werde die zentrale seiner Revision sein. Darum werde es „vor allem“ gehen, auch einige andere Punkte der Urteilsbegründung wolle er sich sehr genau ansehen. Einen tieferen Einblick, wo er mögliche Schwachstellen des Urteils sieht, will er aber nicht geben.
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe muss das Urteil prüfen. Dabei geht es aber nicht um inhaltliche Fragen, sondern um formale Fehler. Sollten irgendwo grobe Schnitzer vorliegen, müsste der ganze Fall im schlimmsten Fall neu beginnen. Wie lange der BGH für seine Prüfung braucht, ist nicht absehbar.
Sollte der BGH die Verurteilung Zschäpes bestätigen, wird diese wegen der vom Gericht festgestellten besonderen Schwere der Schuld noch viele Jahre im Gefängnis bleiben. Sollte der BGH das Urteil aber kippen, könnte sie absehbar auf eine Haftentlassung setzen.
Bereits seit 2018 sind der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und der Neonazi André E. frei. Wohlleben verbrachte mehr als zwei Drittel seiner laut Urteil zehnjährigen Haftstrafe in Untersuchungshaft. Bei E. hingegen verhängte das Gericht nur zweieinhalb Jahre Haft, obwohl die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre gefordert hatte.
Vor allem bei E. hoffen viele Hinterbliebene, dass seine Verurteilung gekippt und der Neonazi doch noch härter bestraft wird. Schließlich geht es in der Revision auch darum, ob der als NSU-Helfer zu drei Jahren Haft verurteilte Holger G. ins Gefängnis muss.
Nur bei einem ist der Fall bald abgeschlossen. Carsten S., der dem NSU die Waffe übergeben hatte, akzeptierte seine Verurteilung zu drei Jahren Jugendstrafe. Einen Großteil der Strafe saß er ab, vermutlich kommt er nach dem Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe bald frei. (afp/so)

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