Muss Söder ins Gefängnis? EuGH prüft Zwangshaft für deutsche Politiker
Eine mögliche Zwangshaft für bayerische Spitzenpolitiker wegen ausbleibender Auto-Fahrverbote und anderer Luftreinhaltemaßnahmen beschäftigt an diesem Dienstag (3. September) die höchsten EU-Richter.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof will vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg wissen, ob nach EU-Recht Haft gegen den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und andere bayerische Amtsträger angeordnet werden kann oder gar muss.
Deutsche Umwelthilfe macht Druck
Ziel der Zwangshaft wäre, die Regierung zur Umsetzung eines rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts München aus dem Jahr 2012 zu zwingen. Darin war die bayerische Staatsregierung nach einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) verpflichtet worden, den Luftreinhalteplan für München so zu ändern, dass die Werte von Stickstoffdioxid (NO2) „schnellstmöglich“ eingehalten werden können.
Zwangsgelder nicht gezahlt
Der Verwaltungsgerichtshof beklagte in seinem Vorabentscheidungsersuchen an die EuGH-Richter, die bayerische Regierung sei dieser Verpflichtung trotz zweier Zwangsgelder nicht nachgekommen. Ein Zwangsgeld sei nur die Überweisung eines Betrages von einer Buchungsstelle des Staatshaushaltes zu einer anderen Buchungsstelle. „Ein Einlenken des Vollstreckungsschuldners (der bayerischen Regierung) ist auch weiter nicht zu erwarten“, heißt es in dem Ersuchen an den Europäischen Gerichtshof.
Bei der mündlichen Verhandlung vor der mit 15 Richtern besetzten großen Kammer des EuGH geht es um die Frage, ob die Zwangshaft gegen politische Amtsträger aus Gründen des Europarechts verhängt werden könne oder gar müsse. Nach einem Urteil des EuGH von 2014 sind die Gerichte der EU-Staaten nämlich verpflichtet, „jede erforderliche Maßnahme zu erlassen“, um die Einhaltung der europäischen Luftreinhalterichtlinie sicherzustellen.
Keine Zwangshaft für Amtsträger?
Der Verwaltungsgerichtshof will eine Klärung durch den EuGH, weil das deutsche Recht in seiner Ausdeutung durch das Bundesverfassungsgericht die Verhängung von Zwangshaft gegen Amtsträger nicht vorsehe. Die Weigerung einer Regierung, ein Gerichtsurteil umzusetzen, betreffe auch grundsätzliche Fragen der Rechtsstaatlichkeit und des EU-Rechts. Die „Nichtbefolgung rechtskräftiger Entscheidungen durch die öffentliche Gewalt“ sei „auch mit dem Recht der Europäischen Union unvereinbar“.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof erwägt Zwangshaft nicht nur gegen Ministerpräsident Söder und Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler), sondern auch gegen leitende Beamte des Ministeriums und der Regierung von Oberbayern. Dies sei nötig, weil Mitglieder der Staatsregierung im Regelfall als Landtagsabgeordnete durch Immunität geschützt seien, heißt es in dem Vorabentscheidungsersuchen. Die Vollstreckung des Urteils von 2012 könne dann weiterhin unmöglich sein. Angesichts der Bedeutung der Gesundheit sei „ein zeitlich begrenzter Eingriff in die persönliche Fortbewegungsfreiheit von Amtsträgern“ – der maximal sechs Monate dauern dürfte – „nicht als unangemessen“ anzusehen.
DUH geht nicht von Verhaftung aus
Für DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch geht es in Luxemburg um mehr als nur die Frage, ob es zu Diesel-Fahrverboten in München kommt: „Diese Entscheidung ist für den Fortbestand des Rechtsstaats von elementarer Bedeutung“, sagte Resch der Nachrichtenagentur AFP.
Dass tatsächlich Ministerpräsident Söder oder Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) in Haft kommen, erwartet Resch allerdings nicht: „Es wird kein Politiker in Deutschland ins Gefängnis kommen.“ Wer mit Haft bedroht sei, „hat den Schlüssel für seine Handschellen ja in der Hosentasche“. Er müsse nur die Regelung unterschreiben, zu der er gerichtlich gezwungen sei.
Bisher kein Präzedenzfall
Eine grundsätzliche Bedeutung misst dem EuGH-Verfahren auch der Rechtsprofessor Philipp Reimer von der Universität Bonn bei. „Meines Wissens gibt es dazu in Deutschland keinen Präzedenzfall“, sagte Reimer AFP. Auch auf die möglichen weitreichenden Folgen weist er hin: An einem Urteil der EuGH würden sich alle deutschen Verwaltungsgerichte orientieren.
Die bayerische Landesregierung zeigt sich dennoch vor der mündlichen Verhandlung in Luxemburg gelassen. Ein Sprecher des Umweltministerium verweist dazu auf das deutsche Recht: Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gehe davon aus, dass das nationale Recht die gerichtliche Verhängung von Zwangshaft gegenüber Amtsträgern nicht vorsehe. „Die Entscheidung des EuGH in dieser Frage bleibt abzuwarten“, erklärt der Sprecher.
Tatsächlich dürfte auf die Antwort der Luxemburger Richter nicht nur die bayerische Landesregierung mit Spannung warten, vielmehr könnte die Entscheidung bundesweit wegweisend für die seit Jahren andauernden juristischen Auseinandersetzungen um Diesel-Fahrverbote sein. Allerdings müssen sich alle Beteiligten zuvor noch ein wenig in Geduld üben: Nach der mündlichen Verhandlung am Dienstag wird das Urteil des Gerichtshofs erst in einigen Wochen erwartet. (afp/dpa/sua)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion