„Wir sind fassungslos und empört. Viele Engagierte denken sehr ernsthaft über einen Kirchenaustritt nach.“ Mit diesen Worten machen sich 140 Christen und Christinnen der katholischen Kirchengemeinde St. Margareta gegenüber dem Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki Luft. Sie verwahren sich auch gegen eine durch Woelki vorgenommene Firmung, die für den 9. Juni geplant ist.
In ihrem
Offenen Brief, der auch von der verteidigungspolitischen Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Marie-Agnes Strack-Zimmermann unterschrieben wurde, klagen die Gläubigen die Missstände an, nachdem Missbrauchsvorwürfe gegen Priester der Gemeinde offengelegt wurden. Sie erinnern an Pfarrer O., dem eine schwere Straftat an einem Kind vorgeworfen wird. Nach Einschätzung der Gemeinde ist Woelki seiner Verantwortung als Erzbischof und Vorgesetzter nicht gerecht geworden. Die Gemeinde kritisiert die unzureichende Aufklärung der Vorwürfe.
„Die Befragung Ihres persönlichen Gewissens ist kein Ersatz dafür, kirchenrechtlich vorgeschriebene Verfahrenswege einzuhalten“, so der Vorwurf der Gemeinde gegenüber Woelki.
Auch ein aktueller Missbrauchsfall in Düsseldorf belaste die Kirchengänger, denn der betreffende Pfarrer sei bis 2000 Kaplan der Gemeinde gewesen. Nach einem
„Bild“-Bericht soll der heute 58-Jährige der Polizei im Jahr 2001 sexuelle Handlungen mit einem Minderjährigen gestanden haben, aber dennoch von Woelki im Jahr 2017 befördert worden sein.
„Wir zweifeln nicht nur an unserer Kirchenleitung – wir haben das Vertrauen in Sie als Bischof verloren. Sie sind für uns – leider – nicht mehr glaubwürdig“, heißt es in dem Offenen Brief.
Verloren sei auch das Vertrauen, dass „mit Ihnen als Erzbischof ein wirklicher Neuanfang gelingen kann“. Dieses Misstrauen wird nun zusätzlich durch die anstehende Firmung, die neben der Taufe und Kommunion zu den drei christlichen Initiationen gehört, befeuert. Sowohl die Gemeindeleitung als auch die –mitglieder hatten Woelki gebeten, davon abzusehen, er aber halte an der Firmung fest.
„Wir fühlen uns dadurch ein weiteres Mal missachtet“, heißt es von den Gläubigen in ihrem Schreiben. Durch Salbung und Handauflegung spende der Priester jungen Menschen, die sich zum christlichen Glauben bekennen, das Sakrament der Firmung zu ihrer Stärkung.
„Das kann für uns nur jemand vollziehen, der als Christ in seinem Amt und in seinem Handeln glaubwürdig ist. Sie sind das leider für uns nicht mehr“, so die klare Botschaft aus den Reihen der Kirchengemeinde.
Statt Woelki solle ein anderer Priester die Firmung vornehmen. Die Stadt- und Kreisdechanten im Erzbistum Köln hätten dies bereits angeboten, nur der Erzbischof lenkt nicht ein. „Übernehmen Sie Verantwortung und nehmen Sie dieses Angebot wahr“, appellieren die Gemeindemitglieder.
Sie bitten Woelki „eindringlich, unser Anliegen zu hören und zu respektieren“. Auch weiterhin wollen sie glaubwürdig für die Botschaft Jesu eintreten. „Für uns wäre dies ein Zeichen der Demut, ein erster Schritt, verloren gegangenes Vertrauen wieder zu gewinnen, und ein kleiner Schritt in Richtung Neuanfang“, heißt es in dem Offenen Brief.
Zu einem späteren Zeitpunkt, nach dem Tag der Firmung, würde die Kirchengemeinde den Erzbischof zum Gespräch gerne empfangen – „auf Augenhöhe, ohne Vorbedingungen und öffentlich“.
Monatelange Krise
Der Koordinator des Offenen Briefes, Peter Barzel,
berichtete über ein Gespräch, das einige Vertreter der Reformbewegung Maria 2.0 aus der Gemeinde mit Woelki im vergangenen Jahr geführt hatten. „Der Kardinal hat ihnen gesagt, wenn sie meinen würden, dass es so wie zurzeit nicht weitergehe, dann müssten sie eben austreten.“
Der Vorstand des Diözesanrats des Erzbistums Kölns teilte am 23. April mit: „In der Phase, in der wir uns gerade befinden, können wir uns nicht sicher sein, ob der Kardinal sein Amt so ausführt, dass eine Perspektive entsteht. Man kann nicht Pastor sein, ohne die Menschen wirklich lieben, verstehen und einen zu wollen.“
Der Vorstand frage sich: „Will der Erzbischof uns normale Christinnen und Christen noch in den Gemeinden haben? Einfach so jetzt weiter Gespräche führen, Aufgaben von sich weg delegieren und Unterarbeitsgruppen einrichten, bringen uns nicht weiter.“ Mit seinem Beschluss, eine Diözesansynode zu fordern, hat der Diözesanrat nach eigenen Angaben eine Perspektive aufgezeigt, die einen verbindlichen Rahmen für die Zukunft bereiten kann und sich gleichzeitig offen für andere, modifizierte Vorschläge gezeigt. „Immer wieder erfahren wir jedoch, dass wir mit unseren Anliegen und Vorschlägen bei den Verantwortlichen des Bistums gegen eine Mauer prallen.“
Seit vielen Monaten befindet sich das Erzbistum Köln in einer tiefen Krise. Woelki wird fehlende Führungskompetenz und Glaubwürdigkeit vorgeworfen. Auch ein am
18. März vorgelegtes Missbrauchsgutachten konnte das verloren gegangene Vertrauen nicht wiederherstellen. Nach einer Videokonferenz mit ehrenamtlichen Vertretern katholischer Pfarrgemeinden äußerte eine Teilnehmerin laut „Kölner Stadt-Anzeiger“ am 2. April, Woelki sei als langjähriger Geheimsekretär seines Vorgängers, Kardinal Joachim Meisner, und Weihbischof „viel zu lange und zu tief in das ‚System Meisner‘ involviert“, um jetzt glaubwürdig für eine Systemveränderung zu stehen. Meisner wurden in dem juristischen Gutachten die meisten Pflichtverletzungen vorgeworfen, bei Woelki sahen die Gutachter hingegen keine Vergehen. Er wurde aufgefordert, analog zu Spitzenpolitikern die politische Verantwortung für Fehler und Missstände unter seiner Führung oder mit seinem Wissen zu übernehmen.
Ob ein für den 25. Mai geplantes Gespräch zwischen dem Erzbischof, Mitgliedern des Pfarrgemeinderates und Gemeindevertretern Klärung bringt, bleibt abzuwarten. Laut
„Zeit“ haben einige Gemeindemitglieder eine Demonstration gegen Woelki angekündigt. (sua)
