Merkel zu Russland-Politik: „Werde mich nicht entschuldigen“
Keine Entschuldigung, sondern eine Verteidigung ihrer Russland-Politik: Nach sechs Monaten hat sich Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erstmals ausführlich zu ihrem Verhältnis zu Russlands Präsident Wladimir Putin und dem Ukraine-Krieg geäußert. Sie sah dabei im russischen Einmarsch in das Land „eine große Tragik“ und sagte, sie frage sich, ob dies hätte verhindert werden können.
Merkel hatte in ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft immer auf einen Dialog mit Moskau gesetzt und eine enge wirtschaftliche Partnerschaft. Auch in ihrer Partei wird dieser Kurs heute hinterfragt. Der neue CDU-Chef und langjährige Merkel-Kritiker Friedrich Merz hat von einem „Scherbenhaufen“ für die ganze deutsche Außen- und Sicherheitspolitik der vergangenen 20 Jahre gesprochen und eine Aufarbeitung auch in seiner Partei angekündigt.
Diplomatie sei nicht deshalb falsch gewesen, weil sie nicht gelinge, sagte Merkel im Berliner Ensemble, wo sie sich Fragen des Journalisten und Schriftstellers Alexander Osang stellte. „Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen.“
Handelsbeziehungen mit Russland „sinnvoll“
Sie sei auch keine Vertreterin der These „Wandel durch Handel“ gewesen. „Ich habe nicht daran geglaubt, dass Putin durch Handel gewandelt wird“, sagte Merkel. Dieser habe Demokratie abgelehnt. Es sei aber klar gewesen, dass Russland immer ein Nachbar in Europa bleiben werde, der nicht vollkommen ignoriert werden könne.
Wenn es politisch keine Annäherung gebe, seien aus ihrer Sicht „wenigstens bestimmte Handelsbeziehungen sinnvoll“, sagte die 67-jährige Altkanzlerin. Im Interesse Deutschlands sei es gewesen, „mit Russland einen Modus Vivendi zu finden, in dem wir nicht im Kriegszustand sind“, sondern „bei allen Differenzen irgendwie zu koexistieren“.
Zum Ukraine-Krieg hatte sich Merkel zuvor zweimal geäußert. Am Tag nach dem russischen Einmarsch verurteilte sie diesen „auf das Schärfste“ und sprach von einer „tiefgreifenden Zäsur“. Vergangene Woche nannte sie den Krieg bei einer DGB-Veranstaltung dann „barbarisch“.
Sie verurteilte bei der Veranstaltung „Was also ist mein Land?“ erneut den russischen Einmarsch. Dieser sei „ein „objektiver Bruch aller völkerrechtlichen Regelungen“ und ein Fehler Russlands.
Will nicht mit Putin telefonieren
Zur Frage, ob diese Entwicklung hätte verhindert werden können, sagte Merkel, es sei nun klar, dass es letztlich nie gelungen sei, „den Kalten Krieg wirklich zu beenden“. Putin habe ihr schon bei einem Besuch 2007 in Sotschi gesagt, dass der Zerfall der Sowjetunion für ihn „die schlimmste Sache des 20. Jahrhunderts“ gewesen sei. Sie sei deshalb auch nie „blauäugig“ gegenüber Putin gewesen. Sie habe aber nie seine Einschätzung geteilt, dass Russland durch den Westen „permanent gedemütigt wurde“.
Als Vermittlerin im Ukraine-Krieg sieht sich die frühere Kanzlerin nicht. Auf die Frage, ob sie mit Putin telefonieren würde, sagt sie: „Ich habe nicht den Eindruck, dass das im Augenblick etwas nützt.“ Es gebe „aus meiner Sicht wenig zu besprechen“.
Osang verlas bei dem Gespräch auch eine Frage des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk. Er warf demnach Merkel vor, mit Appeasement-Politik den russischen Angriff überhaupt erst möglich gemacht zu haben.
Merkel wies dies zurück. Sie nannte dabei auch die Minsker Friedensabkommen, die nach der russischen Annexion der Krim 2014 geschlossen wurden. Ohne diese Vereinbarungen „hätte Putin Riesenschaden in der Ukraine anrichten können“, meinte die Altkanzlerin. Und die vergangenen sieben Jahre seien für die Entwicklung des Landes „ganz, ganz wichtig“ gewesen, um nun Widerstand zu leisten.
Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine sei ihr auch deutlich geworden, „was wir in Deutschland für ein Glück hatten“, als 1989/90 der Eiserne Vorhang gefallen sei, sagte Merkel. „Wir haben einfach einen sehr guten Moment der Geschichte abgepasst.“ Schon bald darauf habe sich die Weltlage wieder „verdüstert“. Für die Ukraine sei es nun „tragisch“, dass es ihr „unendlich viel schwerer“ als Deutschland damals gemacht werde, „den Weg zu gehen, den sie selbstbestimmt gehen möchte.“
„Volles Vertrauen“ in die neue Regierung
Über ihren Nachfolger verliert Merkel kein schlechtes Wort – zumindest nicht direkt. Sie habe „volles Vertrauen“ in die neue Bundesregierung und Olaf Scholz, sagt sie. Es seien Menschen am Werk, die keine „Newcomer“ seien und die Gegebenheiten kennen würden. Und für den Fall, dass es mal nicht so laufe, habe sie noch ihre Hebel. „Wenn jetzt etwas passieren würde (…), wo ich sage, das geht in die vollkommen falsche Richtung, dann kann ich sehr viele anrufen. Das musste ich aber noch nicht.“
Was der Kanzlerin aber gegen den Strich geht: Dass ihr nun angelastet wird, dass die Bundeswehr so heruntergewirtschaftet ist. Der Wehretat sei seit 2014 gestiegen, sagt sie. Und der SPD lastet sie an, dass die lange keine bewaffneten Drohnen anschaffen wollte. (afp/dpa/dl)
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