Lehrerverband sieht Millionen Schüler durch Corona-Krise abgehängt – DGB und GEW wollen auf Abschlussprüfungen verzichten
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sieht durch die Schulschließungen der vergangenen Wochen mehrere Millionen Schüler abgehängt und fordert für diese Gruppe eine frühe Lockerung der Corona-Regelungen. „Ich fürchte, dass bis zu ein Viertel aller Schüler in den vergangenen Wochen von jenen, die andere Voraussetzungen hatten, abgehängt wurde“, sagte Meidinger der „Welt“ (Dienstagsausgabe). „Dieses Viertel dürfte keine oder nur eine sehr eingeschränkte Beschulung erhalten haben. Die Schere ist in den letzten Wochen zweifelsohne weiter auseinander gegangen.“
Es gehe etwa um Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen, aus schwierigen sozialen Verhältnissen und ohne ausreichende technische Ausstattung. Der Bildungsrückstand für diese rund drei Millionen Mädchen und Jungen wiege immer schwerer, je länger das Homeschooling andauere, warnte Meidinger. Um diese Gruppe müsse man sich verstärkt kümmern.
„Es ist eine der dringlichsten Aufgaben der Bildungspolitik zu verhindern, dass die Schulschließungen dazu führen, dass wir eine ganze Generation bekommen, deren Schullaufbahn dauerhaft gefährdet ist“, so Meidinger. „Eine Möglichkeit wäre, diese Gruppe bei Öffnung der Schulen vorrangig zu behandeln. Bevor also alle Schüler wieder unterrichtet werden, könnte man mit ihnen zunächst Versäumtes nacharbeiten.“
Darüber hinaus müssten Zusatzangebote für diese Gruppe geschaffen werden, wenn der reguläre Unterricht wieder laufe – Förderkurse, vielleicht Ganztagsangebote. „Und schließlich sind auch aufholende Beschulungsangebote in den Ferien denkbar. Die Politik muss diese Angebote dann so gestalten, dass sie auch wahrgenommen werden“, forderte der Lehrerverbandspräsident.
Meidinger wandte sich gegen ein zeitgleiches Vorgehen aller Bundesländer beim Hochfahren des Schulbetriebs: Bei allem Willen zu einheitlichem Vorgehen dürfe nicht übersehen werden, dass es Länder gebe, in denen das Schuljahr schon im Juni endet, und andere, in denen noch bis Ende Juli Unterricht stattfindet. „Das ergibt sich aus dem gestaffelten Beginn der Sommerferien. Darauf muss man auch Rücksicht nehmen“, so Meidinger.
„Die Schulen wurden zwar mehr oder minder überall gleichzeitig geschlossen, ich halte es jedoch für möglich und angemessen, dass man sie je nach Betroffenheit eines Landes durch das Infektionsgeschehen und mit Blick auf die Dauer des Schuljahrs zu unterschiedlichen Zeitpunkten wieder öffnet. Zunächst könnten die Abschlussklassen zurück an die Schulen oder auch die Schüler mit besonderem Förderbedarf und dann schrittweise alle.“ (dts)
DGB und GEW wollen auf Abschlussprüfungen verzichten
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bildungsgewerkschaft GEW plädieren wegen der Corona-Krise für den Verzicht auf schulische Prüfungen. DGB und GEW setzen sich bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten sowie der Kultusministerkonferenz dafür ein, auf Abitur, Mittleren Bildungsabschluss und ersten Bildungsabschluss zu verzichten, wie sie am Samstag erklärten. „Corona darf die bestehende Ungleichheit bei den Bildungschancen von Schülern nicht noch verschärfen“, betonte DGB-Chef Reiner Hoffmann.
Es solle darauf vertraut werden, „dass die Lehrkräfte aufgrund der bereits erbrachten Leistungen gerechte Abschlussnoten erteilen“, heißt es in der Erklärung der Gewerkschaften. „Die Corona-Krise erschwert vielen Schülerinnen und Schülern das Lernen“, so Hoffmann. „Nicht alle können während der Schulschließung digitale Lernmöglichkeiten nutzen, in vielen Haushalten gibt es nicht genügend PCs, Laptops oder Tablets.“ Oft seien die Wohnbedingungen aufgrund der sozialen Situation zum Lernen nicht geeignet.
Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe erklärte, die politisch Verantwortlichen „können bei der Notengebung auf die Lehrkräfte vertrauen“. Schon jetzt setze sich die Abi-Note zu zwei Dritteln aus den Vorleistungen zusammen. Auf Grundlage der erbrachten Leistungen könnten die Abschlussnoten problemlos vergeben werden. „Stehen die Prüflinge zwischen zwei Noten, sollte im Zweifel zugunsten der Schülerinnen und Schüler entschieden werden.“
Vor allem gelte, dass alle Bundesländer alle Abschlüsse gegenseitig anerkennen müssten, mahnte Tepe. „Den Schülerinnen und Schülern dürfen keine Nachteile entstehen.“ Mit Abschlussnoten, die ohne Prüfungen vergeben werden, stünde Deutschland nicht alleine da: Die Niederlande, Großbritannien Spanien und Portugal beispielsweise hätten schon entsprechend entschieden, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hatte zuvor angekündigt, die Abiturprüfungen in ihrem Bundesland abzusagen. An diesem nicht abgestimmten Vorgehen gab es dem Vernehmen nach heftige Kritik bei einer Telefonschalte der Kultusminister. Prien zog daraufhin ihren Plan zurück und die Abiturprüfungen sollten in allen Bundesländern stattfinden. Nun geht die Diskussion in die zweite Runde. (dts/afp/sua)
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