„Ich will eine patriotische, aber keine nationalistische Politik“
Nach der Bekanntgabe seines Austritts hat der bisherige AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen der Partei politische Erfolglosigkeit prophezeit.
„Ich glaube, dass die AfD eine Entwicklung nimmt, die keinen weiteren politischen Erfolg in diesem Land verheißt, weil sie sich einfach in eine Richtung bewegt, die diesen Erfolg nicht hergibt“, sagte er im „heute journal“ des ZDF. „Und ich muss Ihnen sagen, aufgrund meiner eigenen Positionen: Das halte ich dann auch für richtig.“
„Ich will eine konservative Politik, keine reaktionäre, ich will eine freiheitliche, keine beliebige, ich will eine patriotische, aber keine nationalistische Politik“, sagte Meuthen im ZDF. „Das sind die Positionen die ich habe, und es geht eindeutig in eine andere Richtung, und daraus ziehe ich die für mich logische Konsequenz, dass es meine Partei nicht mehr sein kann.“
Meuthen hatte zuvor seinen Parteiaustritt bekanntgegeben und dies damit begründet, große Teile der Partei hätten sich für einen immer radikaleren Kurs entschieden.
„Große Teile der Partei und mit ihr etliche ihrer führenden Repräsentanten haben sich für einen immer radikaleren, nicht nur sprachlich enthemmten Kurs, für politische Positionen und verbale Entgleisungen entschieden, die die Partei in vollständige Isolation und immer weiter an den politischen Rand treiben“, begründete er seine Entscheidung.
In einer Pressemitteilung, die er am Freitag verschickte, schrieb er weiter, sein Kampf für einen „strikt vernunftgeleiteten und maßvollen Kurs der Partei“ sei offensichtlich gescheitert.
Er habe der Bundesgeschäftsstelle mitgeteilt, dass er sein Amt als Parteivorsitzender und den Vorsitz der AfD-Delegation im Europäischen Parlament mit sofortiger Wirkung niederlegen sowie aus der AfD austreten werde, sagte Meuthen. Auch seine Ehefrau werde die Partei verlassen.
Sein Mandat im Europäischen Parlament behält der 60-Jährige. „Für mich ist diese Entscheidung keineswegs nur ein Abschied, sondern vor allem ein Aufbruch“, schrieb er.
Der Bundesvorstand, der sich kurz nach Meuthens Ankündigung in Berlin zu einer schon länger geplanten Sitzung versammelte, erklärte, er nehme den Parteiaustritt Meuthens „mit Bedauern“ zur Kenntnis und bedanke sich bei ihm „für die Weiterentwicklung der AfD als einzige Oppositionspartei in Deutschland“. Alleiniger Parteichef ist jetzt bis zur Neuwahl der Parteispitze der bisherige Co-Vorsitzende Tino Chrupalla.
„Ich sehe da ganz klar totalitäre Anklänge“
Teile der Partei stehen nach Meuthens Ansicht nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung, sagte er nach Angaben von WDR, NDR und dem ARD-Hauptstadtstudio, die zuerst über den Austritt berichteten – „ich sehe da ganz klar totalitäre Anklänge“. Allenfalls als ostdeutsche Regionalpartei sehe er noch eine Zukunft für die AfD.
Kritik hat Meuthen in den vergangenen Jahren auch an den Positionen einiger Parteifunktionäre in der Corona-Pandemie geübt. Obgleich er sich selbst gegen das Virus impfen ließ, trat er vehement gegen eine Impfpflicht ein. Für AfD-Politiker, die von einer „Corona-Diktatur“ fabulierten, habe er aber kein Verständnis, betonte der Volkswirt.
Mit Sorge erfüllte ihn schon länger, dass einige Spitzenfunktionäre der Partei eine möglicherweise drohende Beobachtung der AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall, gegen die sich die AfD juristisch zur Wehr setzt, aus seiner Sicht nicht ernst genug nahmen.
Weidel kritisiert Meuthen
Die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, vermutet indes einen Zusammenhang zwischen dem Austritt und der Aufhebung von Meuthens Immunität für ein Ermittlungsverfahren durch den zuständigen Ausschuss im EU-Parlaments am Vortag. Das Verfahren steht dem Vernehmen nach in Zusammenhang mit der AfD-Spendenaffäre.
Weidel sagt: „Es fällt auf, dass der Parteiaustritt mit der Aufhebung der Immunität von Jörg Meuthen im Europäischen Parlament in einem sehr engen zeitlichen Zusammenhang steht.“ In jedem Fall zeuge es von schlechtem Stil, „nun mit Schmutz auf die Partei zu werfen, deren Vorsitzender er so viele Jahre war“.
Meuthen haderte schon lange mit seiner Partei. Im Oktober kündigte er an, bei der ursprünglich für Dezember 2021 geplanten Neuwahl der Parteispitze nicht mehr für den Vorsitz zu kandidieren. Der Parteitag wurde dann schließlich unter Verweis auf die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie abgesagt. Er soll in diesem Jahr nachgeholt werden.
Feinde im eigenen Lager
Meuthen plädierte in den vergangenen zwei Jahren wiederholt für einen gemäßigteren Kurs der AfD. Damit machte er sich Feinde, vor allem in der Rechtsaußen-Strömung um den Thüringer Landeschef Björn Höcke.
Zuletzt hatte es für Meuthens Vorschläge im Bundesvorstand teilweise keine Mehrheiten mehr gegeben. So war beispielsweise im August der Versuch gescheitert, den Rauswurf des nordrhein-westfälischen AfD-Bundestagskandidaten Matthias Helferich zu beantragen.
Mehrere von Meuthens innerparteilichen Gegnern begrüßten den Parteiaustritt. Vize-Parteichef Stephan Brandner sagte: „Ich finde, es ist eine gute Entscheidung und auch konsequent. Er hat in den ersten vier Jahren eine super Arbeit gemacht für die Partei, leider hat er später eingerissen, was er da aufgebaut hatte“. Der stellvertretende baden-württembergische Landesvorsitzende, Markus Frohnmaier, sagte: „Jetzt haben wir die Chance auf einen kraftvollen Neuanfang.“
Meuthen war im Sommer 2015 als einer von zwei Co-Vorsitzenden an die Parteispitze gewählt worden, damals an der Seite von Frauke Petry, die gut zwei Jahre unter Verweis auf einen von ihr wahrgenommenen Rechtsruck der AfD die Partei verließ. Während das Verhältnis der beiden als angespannt galt, kam Meuthen mit dem späteren Co-Vorsitzenden Alexander Gauland lange Zeit gut zurecht. Das Verhältnis zwischen Meuthen und Chrupalla war praktisch von Anfang an schwierig.
Konrad Adam, der zu den AfD-Vorsitzenden der Anfangszeit gehörte und 2020 aus der Partei austrat, kommentierte Meuthens Entscheidung mit den Worten: „Spät, zu spät, wie man wohl sagen muss.“ Die AfD habe keine Chance mehr, sie werde zu einer „ressentimentgesteuerten Regionalpartei Ost degenerieren und hoffentlich verschwinden, je eher, desto besser“. (dpa/red)
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