IAB-Studie: Wie das Bürgergeld die Integration beeinflusst
Seit Beginn des Ukraine-Krieges 2022 sind mehr als fünf Millionen Menschen aus dem kriegsgeschüttelten Land geflohen. Mit 1,125 Millionen Kriegsflüchtlingen ist Deutschland das drittgrößte Aufnahmeland hinter Polen (1,6 Millionen) und der Russischen Föderation (1,212 Millionen).
Während zwischen den regierenden Ampelparteien und der Union ein Konsens über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine herrscht, wollen CDU und CSU beim Bürgergeld für die Geflüchteten sparen. In der Union beklagt man insbesondere, dass die Beschäftigungsquote unter Ukraine-Flüchtlingen Anfang 2024 erst 27 Prozent betragen habe. Eine Kürzung der Ansprüche oder die Drohung mit einer Rückführung in das Herkunftsland solle Druck entfalten.
Beschäftigungsquote der Ukraine-Flüchtlinge in Litauen am höchsten
Im April erläuterte die Bundesregierung, dass 135.000 als arbeitsfähig eingestufte ukrainische Schutzsuchende erwerbstätig seien. Im Juni waren 112.000 in einem Integrationskurs zum Erwerb der deutschen Sprache. Die Wartezeiten auf eine Teilnahme können in vielen Gemeinden aufgrund des großen Bedarfs mehrere Monate betragen.
Eine jüngst vorgelegte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg relativiert die negative Einschätzung der Union. Deutschland liegt demnach bei der Integration von Ukraine-Flüchtlingen im EU-Mittelfeld. Zwar verfügten Litauen (57 Prozent), Dänemark (53 Prozent) und Polen (48 Prozent) über deutlich höhere Beschäftigungsquoten unter den Betroffenen.
Es gebe jedoch auch Länder wie Finnland, Rumänien, Spanien oder den Nicht-EU-Staat Norwegen. Dort seien nach wie vor weniger als 20 Prozent der erwerbsfähigen Ukraine-Flüchtlinge sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dies sei ein deutlicher Hinweis darauf, so das IAB, dass es nicht das Niveau deutscher Sozialleistungen sein könne, das Ukrainer vom Arbeiten abhalte.
Welche Faktoren wichtiger sind als das Bürgergeld
Die selbst aus der Ukraine stammende IAB-Bereichsleiterin Yuliya Kosyakova sieht in den Ländern mit hoher Flüchtlingsbeschäftigungsquote einige entscheidende Faktoren für diese. Dazu gehörten eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften für Tätigkeiten, die kein hohes Qualifikationsniveau erforderten. Diese ließen sich schneller besetzen, zumal auch keine höheren Anforderungen bezüglich des Sprachniveaus bestünden.
Demgegenüber sei der Arbeitsmarkt in diesem Segment in Deutschland und anderen Ländern mit steigenden Arbeitslosenzahlen von größerer Konkurrenz geprägt. Die Beschäftigungsquote von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine sei auch dort höher, wo bereits vor dem Krieg mehr Ukrainer beschäftigt gewesen seien.
Der größte Teil der Ukraine-Flüchtlinge seien Frauen mit Kindern. Länder mit einer höheren Dichte an Kinderbetreuungsplätzen seien bezüglich der Arbeitsmarktintegration auch hier im Vorteil. Die Höhe der Leistungen der öffentlichen Hand habe den Untersuchungen zufolge keinen signifikanten Einfluss erkennen lassen.
„Sprache zuerst“ auch bei Ukraine-Flüchtlingen der primäre Ansatz
Vorteile beim Bemühen, ukrainische Kriegsflüchtlinge in Arbeit zu bringen, hätten zudem Länder, in denen die Englischkenntnisse in der Bevölkerung ausgeprägt seien. Wo am Arbeitsplatz in englischer Sprache kommuniziert werden könne, sei es leichter, Ukraine-Flüchtlinge zu vermitteln, so das IAB.
In Deutschland ist es hingegen nach wie vor unüblich, am Arbeitsplatz auf Englisch zu kommunizieren. In einigen Regionen sind auch die Englischkenntnisse innerhalb der Bevölkerung weniger stark ausgeprägt.
Deutschland verfolge zudem bei der Integrationspolitik das Prinzip „Sprache zuerst“. Geflüchtete sollten demnach erst Mindestkenntnisse der deutschen Sprache erwerben, bevor die Vermittlung in Beschäftigungen forciert werde. Langfristig, so das IAB, würde dieser Ansatz „die Beschäftigungswahrscheinlichkeit und Nachhaltigkeit der Integration erhöhen“.
Dies hätten auch Erfahrungen mit Geflüchteten zwischen 2013 und 2019 gezeigt. Dort sei der Spracherwerb noch schwieriger, weil sich Betroffene etwa aus dem arabischen Raum ein unbekanntes Alphabet mit entsprechender Schreibweise aneignen müssten.
Striktes „Homo oeconomicus“-Modell legt hohe Relevanz von Sozialleistungen nahe
Die Debatte bezüglich der potenziellen Wirkung von Sozialleistungen auf die Arbeitsbereitschaft von Migranten ist deutlich älter als die aktuelle über ukrainische Kriegsflüchtlinge in Deutschland. Die These von hohen Sozialleistungen als Migrationsanreiz und zugleich als Hemmnis zur Arbeitsaufnahme geht unter anderem auf eine Arbeit von George J. Borjas zurück.
Der Harvard-Ökonom ging in seinem 1999 veröffentlichten Thesenpapier vom grundsätzlichen menschlichen Bestreben aus, Einkommen zu maximieren. Dieses lege nahe, dass Migranten, die – anders als viele autochthone Bewohner – keine anderweitigen Bindungen an einen bestimmten Zielort hätten, solche auswählten, in denen die Sozialleistungen am höchsten seien.
Entsprechend zeigten sich Clusterbildungen in den Ländern und Regionen mit den höchsten Sozialleistungen. Zudem reagiere die Quote der Migranten unter den Sozialleistungsempfängern deutlich sensibler auf Veränderungen in der entsprechenden Gesetzgebung.
Dänemark hatte mehrfach Versorgung von Migranten eingeschränkt
Als Paradebeispiel für die Richtigkeit dieser Beobachtung gilt Anhängern dieser These vor allem Dänemark. Dort hatte es in mehreren Jahren deutliche Kürzungen von Sozialleistungen für Einwanderer gegeben. Allerdings gingen diese mit einer generell restriktiveren Immigrationspolitik einher, getragen von einem breiten Parteienkonsens.
Wissenschaftler der US-amerikanischen Princeton-University haben Kennzahlen wie die Zahl der Asylanträge oder die Summe der erbrachten Leistungen für Nichtstaatsangehörige zwischen 1980 und 2017 untersucht. Die Auswertung habe ihrem Fazit zufolge für einen solchen Zusammenhang gesprochen.
Migrationsforscher Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin bezweifelt, dass es eine Kausalität dieser Art gibt. Geflüchtete seien daran interessiert, überhaupt irgendwo Zuflucht zu finden. Zudem spielten auch andere Faktoren eine Rolle bei der Auswahl des Ziellandes. Dazu gehörten etwa auch politische Stabilität, Bildungsoptionen oder die Frage, ob es bereits Communitys von Menschen des eigenen Herkunftslandes dort gebe.
De Haas: Modell verkennt Bedeutung anderer Faktoren
Migrationsexperte Hein de Haas weist ebenfalls auf Schwächen der These von der sozialleistungsmaximierenden Migration hin. Sie gehe davon aus, dass viele Menschen mit dem Ziel auswandern, von Sozialleistungen zu leben. Dies setze wiederum voraus, dass Sozialleistungen sofort und unbürokratisch gewährt würden. Zudem basiere die These auf der Annahme, dass Migration ein weitgehend kostenfreier Prozess sei.
Keine der drei Annahmen lasse sich jedoch durch langjährige Untersuchungen und Erfahrungswerte bestätigen, erläutert de Haas in seinem Buch „Migration: 22 populäre Mythen“. Im Regelfall erfolge Migration, um zu arbeiten, zu studieren oder zur Vereinigung mit Familienmitgliedern.
Es möge zwar Fälle von Ausnutzung des Sozialsystems geben, die meisten Migranten strebten jedoch proaktiv eine Arbeitsaufnahme an – wie sich an der hohen Korrelation zwischen Arbeitsnachfrage und Migration zeige.
Jobs ein stärkerer Migrationsmagnet als Sozialleistungen
Ein Beispiel, das gegen einen direkten Zusammenhang zwischen Höhe der Sozialleistungen und irregulärer Migration sowie solcher mit niedrigem Qualifikationsniveau spricht, nennt demgegenüber das Cato-Institut. So habe es zwar eine deutliche Korrelation zwischen Arbeitskräftenachfrage im Wohnungsbau und dem Aufgriff nach unautorisierten Grenzübertritten gegeben.
Eine solche Korrelation zwischen der Höhe der Sozialleistungen und deren Zahl habe es jedoch nicht gegeben. Während Höhe und Anzahl der Transferzahlungen zwischen 2003 und 2011 deutlich sank, gab es bei den Aufgriffen im gleichen Zeitraum mehrere erhebliche Bewegungen nach oben. Dies illustriere, dass unautorisierte und niedrig qualifizierte Migranten – und nur bei diesen würde Einwanderung in soziale Netze Sinn machen – viel eher Jobs als Transferleistungen suchten.
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