Hinweisgeberschutzgesetz seit einem Jahr in Kraft: Drei Anzeigen pro Tag
Vor einem Jahr ist das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) in Kraft getreten. Die zeitgleich gegründete Anlaufstelle des Bundes für Whistleblower hat im vergangenen Jahr pro Monat durchschnittlich circa 90 Hinweise auf mutmaßliche Missstände in Behörden und Unternehmen bekommen. Wie eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums laut FAZ mitteilte, gingen im Zeitraum zwischen Anfang Juli 2023 und Ende April 2024 bei der beim Bundesamt für Justiz angesiedelten externen Meldestelle insgesamt 902 Meldungen ein.
Von Juli 2023 bis zum 31. Dezember 2023 waren bereits 410 Meldungen in der externen Meldestelle des Bundes eingegangen. Schon zu diesem Zeitpunkt zeigte sich, dass das Meldeaufkommen weiter steige, erklärte das Bundesjustizamt in seinem ersten Bericht zum Jahresende 2023 nach einem halben Jahr seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes.
Im zweiten Halbjahr haben also die Meldungen im Vergleich zum ersten Halbjahr noch einmal um ein Viertel zugenommen.
Die Meldestelle wies laut FAZ darauf hin, dass es hinsichtlich der vergangenen Monate in Einzelfällen noch zu einer geringfügigen Korrektur der Statistik kommen könne. Insbesondere in Fällen, in denen sich später herausstellt, dass der Hinweisgeber zunächst eine Beratung bevorzugte, möglicherweise im Vorfeld einer Missstandmeldung.
EU-Richtlinie jetzt Pflicht in Deutschland
Bereits 2019 hatte die EU die sogenannte Whistleblower-Richtlinie eingeführt. Nach offizieller Lesart, um diejenigen, die firmeninterne Verstöße ihres Arbeitgebers offenlegen, vor Nachteilen im Beruf, Schikanen oder vor Kündigungen zu schützen. Seit Juli 2023 gibt es in Deutschland dafür das Hinweisgeberschutzgesetz.
Mit diesem werden Unternehmen dazu verpflichtet, eine interne Meldestelle bereitzustellen, die Meldungen zu Betrügereien, Korruption oder aber auch Verstöße gegen Tierschutz- oder Umweltschutzregeln vertraulich entgegennimmt und bearbeitet. Bei dieser internen Meldestelle kann es sich um eine telefonische Hotline handeln, eine anonyme E-Mail oder auch eine Kontaktperson. Allerdings stößt die letzte Möglichkeit im Rahmen des Gesetzes an ihre Grenzen. Denn mit der Identität der Hinweisgeber muss vertraulich umgegangen werden, selbst Administratoren von Unternehmen dürfen keinen Zugang auf die Kommunikation haben. Aus diesem Grund können auch von Unternehmen externe Dienstleister beauftragt werden, die geschützte Kommunikationskanäle bereitstellen.
Die Einrichtung der Meldestelle ist für Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern Pflicht. Ebenso verpflichtend ist sie auch für öffentliche Einrichtungen sowie Städte und Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern.
50.000 Strafe bei Verstoß
Wer gegen das Gesetz verstößt, dem droht ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro. Arbeitgeber mit 250 oder mehr Beschäftigten mussten die Vorgaben des Hinweisgeberschutzgesetzes bereits ab Anfang Juli letzten Jahres umsetzen. Für Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten galt eine Karenzzeit bis Mitte Dezember.
Zusätzlich wurde die externe Meldestelle beim Bundesamt für Justiz (BfJ) geschaffen. Das Gesetz stellt es Whistleblowern frei, ob sie Verstöße intern bei der Meldestelle ihrer Firma oder extern über die Meldestelle beim Bundesamt für Justiz melden. Gibt der Whistleblower einen Hinweis ab, muss die interne Meldestelle ihm dies innerhalb von sieben Tagen bestätigen.
Zum Schutz der Hinweisgeber vor Repressalien enthält das Gesetz außerdem eine Beweislastumkehr. Sofern der Whistleblower sich gegen eine Benachteiligung wehrt und dabei geltend macht, diese infolge einer Meldung oder Offenlegung nach diesem Gesetz erlitten zu haben, wird das Vorliegen einer Repressalie vermutet. Der Arbeitgeber muss dann nachweisen, dass sein Vorgehen in keiner Weise mit der erfolgten Meldung in Verbindung stand.
Schutz für Whistleblower: Frühzeitig auf Missstände aufmerksam machen
Während auf der positiv bewerteten Seite des Gesetzes der verbesserte Schutz für Whistleblower und die Förderung einer Kultur der Transparenz und Offenheit in Unternehmen und öffentlichen Institutionen stehen soll, gibt es viele dem Gesetz gegenüber kritische Stimmen.
Positiv bewertet soll das Gesetz eine Chance sein, frühzeitig auf Missstände im eigenen Haus aufmerksam zu werden, um so hohe Strafzahlungen oder Reputationsschäden zu verhindern. Die anonymen Meldesysteme sollen zur Transparenz beitragen, indem sie sicherstellen, dass Missstände aufgedeckt werden können, selbst wenn sich Betroffene aus Angst vor Repressalien nicht persönlich offenbaren möchten. Durch die Anonymität wird die Hemmschwelle gesenkt, wodurch mehr Missstände gemeldet und behoben werden können. Unternehmen sollen durch eine gelebte, positive Fehlerkultur profitieren können.
Verordnete Bürokratie aus Brüssel mit Missbrauchspotenzial
Auf der negativen Seite stehen vorwiegend der bürokratische Aufwand für Unternehmen sowie die Sorge um Missbrauch.
Die Einrichtung und Pflege der Hinweisgebersysteme erfordert personelle und finanzielle Ressourcen, was gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen zu Buche schlägt. So müssen externe Dienstleister beauftragt werden, um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, was mit zusätzlichen Kosten verbunden ist.
Ein weiteres Problem ist das Potenzial für Missbrauch. Kritiker befürchten, dass das Hinweisgebersystem für persönliche Racheakte oder ungerechtfertigte Anschuldigungen benutzt werden könnte. Auch wenn das Gesetz Maßnahmen vorsieht, um solchen Missbrauch zu verhindern, können erst einmal unschuldige Personen zu Unrecht beschuldigt und damit auch geschädigt werden.
Gesetz, um Beamte als Reichsbürger zu entlarven?
Rechtsanwalt Christian Solmecke begrüßt allerdings bei seiner Einordnung des Gesetzes für den Deutschen Fachjournalisten-Verband, „dass Whistleblower nach der Neufassung des Gesetzes straffrei bleiben, wenn sie verfassungsfeindliche Äußerungen von Beamten melden, und das auch, wenn die Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegen. Damit sollen insbesondere Beamte erfasst werden, die der Reichsbürgerszene zuzuordnen sind.“
Konkret: Ein wichtiger Anwendungsbereich besteht nach § 2 Abs. 2 Ziffer 10 HinSchG dabei insbesondere für Äußerungen von Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen. Dabei sind auch solche Verstöße betroffen, die unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit liegen.
Der Blog zum Beamtenrecht vom Rehm Verlag wirft auf, dass das Gesetz schon vor seinem Erlass als „Stasi 4.0“ arg kritisiert worden sei, und fragt im Titel: „Hinweisgeberschutz oder Rückkehr zu Stasi-Methoden der DDR?“
Warnung vor Falschbeschuldigungen
Die Meldestelle des Bundes jedenfalls warnt in ihrem Onlineformular vor Falschbeschuldigungen. „Bitte beachten Sie: Eine vorsätzlich unwahre Meldung kann strafrechtliche Konsequenzen haben.“
Und gleich noch einmal vor Absenden des Formulars: „Der gesetzliche Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien greift nur dann, wenn Sie zum Zeitpunkt der Meldung hinreichenden Grund zur Annahme hatten, dass die von Ihnen gemeldeten Informationen der Wahrheit entsprechen. Vorsätzlich falsche Angaben können darüber hinaus strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.“
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