Habeck und Kretschmann: Flucht nach vorn
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dürfte am Wochenende mit gemischten Gefühlen in die Sommerpause gestartet sein: Endlich mal ein paar Tage frei machen, dem Stress der Hauptstadt entfliehen. Doch andererseits ist der Terminkalender alles andere als leer: Die Tour durch die Provinz muss wohl sein, um die seit einem Jahr rückläufigen Umfragewerte irgendwie in den Griff zu kriegen.
Habecks Heizungsgesetz sorgte zuletzt für noch mehr Verdruss als die Sache mit seinem inzwischen entlassenen Staatssekretär Patrick Graichen.
Wie die „Bild“ berichtet, blickt mittlerweile selbst das „Wall Street Journal“ (WSJ) mit Erstaunen auf die eingefrorenen Heizungspläne der Ampel: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wünsche sich angesichts der aktuellen Umfragewerte und den nahenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen (Wahltermin: 8. Oktober) wahrscheinlich, dass das Thema Heizung besser niemals auf den Tisch gekommen wäre.
Sogar für das „umweltbewusste Deutschland“ sei die „Fülle komplexer Fristen, lokaler Bebauungsvorschriften und ähnlichem“ zu viel, so das WSJ. „‚Grüne fromme Wünsche‘ seien politisch nur so lange gut, bis die Bürger ‚erkennen, was diese Maßnahmen kosten‘“, zitiert die „Bild“ das amerikanische Wirtschaftsblatt.
Höchste Zeit also für Habeck und die Grünen, gegenzusteuern.
Auf zu Freunden
Und genau das scheint die aktuelle Strategie zu sein. Wie die „Welt“ berichtete, habe der studierte Philosoph Robert Habeck für seine Sommerreise vor allem Stationen bei „Profiteuren der Energie- und Wärmewende“ ausgesucht. Also Gesprächspartner, von denen wenig Gegenwind zu erwarten sein dürfte.
Einer der ersten Sommerpausen-Pflichttermine habe Habeck ins baden-württembergische Heidelberg geführt. Beim „Bürgerdialog“ im Kulturzentrum Karlstorbahnhof sei die Online-Anmeldung Pflicht gewesen: Im Innenraum hätten grüne Habeck-Fans dominiert, während seine Gegner vor der Tür demonstrierten. Von einer „grünen Blase“ im Karlstorbahnhof schreibt die „Welt“.
Klar, dass Habeck seinem Publikum neben all seinen positiven Visionen gewisse Seitenhiebe auf die Alternative für Deutschland (AfD) nicht vorenthalten konnte: Begriffe wie „Wohlstand“, „Freiheit“, „Verantwortung“ oder „Deutschland“ dürfe man nicht einfach „dem politischen Gegner überlassen“, habe Habeck erklärt.
Ihm schwebe so etwas wie „Wohlstand für alle“ mit einer besseren Verteilungsgerechtigkeit vor. Habeck, so die „Welt“, habe von der Fragilität des „demokratischen Raums“ gesprochen und auch darüber, „wie leicht“ es sei, „mit populistischen Sprüchen Aufmerksamkeit zu bekommen“.
Dann habe Habeck mit dem weitverbreiteten Klischee vom tumben AfD-Wähler gebrochen, der sich nicht in einer Demokratie, sondern nur in einer Diktatur wohlfühlen würde:
Der Grund des Erstarkens des rechten Populismus ist nicht, dass man sich den Obrigkeitsstaat, den starken Führer, die Dominanz von ,Law and Order‘ wünscht, sondern das Gegenteil: in Ruhe gelassen zu werden. […] Alles, was an Staatlichkeit auf einen zukommt, ist eine Gefährdung des eigenen Freiheitsempfindens.“ (Robert Habeck)
Habeck: „Pervertiertes Freiheitsnarrativ“
Verständnis für derartige Freiheitswünsche aber habe der grüne Minister keineswegs gezeigt – ganz im Gegenteil: „Dieser Gedanke führt ganz schnell in eine falsche, übersteigerte, fast asoziale Freiheitsposition“, zitiert ihn die „Welt“. Es gehe den „Rechtspopulisten“ um ein „pervertiertes Freiheitsnarrativ“.
Um dem entgegenzuwirken, müsse man „beweisen, dass es besser ist, wenn man sich der Gemeinschaft annähert“. Habeck habe in Heidelberg eine Gemeinschaftsidee entworfen, in der „Institutionen und Infrastruktur funktionieren“. Eine Gemeinschaft, die wisse, dass „Freiheit nur in einer funktionierenden Gesellschaft möglich“ sei. Und das alles sei eben „sehr, sehr schwer“.
Kretschmann stärkt Habeck den Rücken
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte ähnliche Worte schon kurz zuvor in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (Bezahlschranke) benutzt. „Sehr schwer“ sei es beispielsweise, „das richtige Maß zu finden“, wenn es um die politische Bewältigung des „Klimawandels“ gehe:
Wenn wir zu langsam sind, erreichen wir Kipppunkte und können nichts mehr ändern. Sind wir zu schnell, verlieren wir an Zustimmung einer verunsicherten Bevölkerung.“
Angesichts dieser Herausforderung könne Deutschland „nichts Besseres passieren“ als ein Politiker wie Robert Habeck. Denn dieser, so Kretschmann, sei bereit, auch in der schwersten Krise der Nachkriegszeit „ins Risiko zu gehen“. Dafür verdiene der grüne Bundeswirtschaftsminister „Anerkennung und Respekt“.
„Deutschland-Geschwindigkeit“ à la Habeck
Kretschmann nutzte seine Kritik an „all den Verordnungen und Gesetzen, die wir in 70 Jahren Demokratie aufgetürmt haben“, zugleich dafür, den Habeck-Kurs zu loben. Denn dieser Kurs habe schon gezeigt, „wie schnell und pragmatisch“ Politik eigentlich handeln könne, als es um neue Flüssiggasterminals gegangen sei.
„Diese ‚Deutschland-Geschwindigkeit‘ muss künftig der Standard werden, wir müssen die Art und die Tiefe, in der wir regulieren, radikal in Frage stellen“, meinte Kretschmann.
Habeck mache im Übrigen auch beim Thema Heizungsgesetz trotz allem Hin und Her „einen ausgezeichneten Job“, fand Kretschmann. Die Debatte darüber habe er als „teils überzogen“ empfunden. „Bei aller berechtigten Kritik“ fehle oft „dieses Verständnis für die Komplexität der Dinge“.
Dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Abstimmung noch vor der Sommerpause verboten habe, halte er für „legitim“: „Das ist der tiefere Sinn der Gewaltenteilung, dass Gerichte das letzte Wort haben.“
„Kulturkampf gegen das Auto“ beenden
Überraschend moderate Töne hatte Kretschmann zuletzt auch beim Thema Autofahren angeschlagen: Ebenfalls in der „Frankfurter Allgemeinen“ (FAZ) empfahl er seiner Partei, den „Kulturkampf gegen das Auto“ und damit „ihr altes Feindbild“ aufzugeben.
Allein mit Fahrrad und Bahn könne „man das Klimaproblem des Individualverkehrs […] nicht lösen“, sagte der Landesvater jener Region, in der unter anderem Porsche, Mercedes und Bosch ihre Stammsitze unterhalten.
Der öffentliche Personennahverkehr könne das Auto besonders in ländlichen Gegenden nicht vollständig ersetzen. „Die Menschheit“ werde das nicht mitmachen. Als Lösung sieht Kretschmann Elektroautos, weil diese „kein CO₂“ ausstießen.
AfD mittlerweile mindestens fünf Prozentpunkte enteilt
Die AfD hatte schon vor Wochen die Grünen in Umfragen überholt: Blau steht nicht nur nach Angaben des „ARD DeutschlandTrends“ mittlerweile stabil um die 20 Prozent (plus zwei Prozentpunkte), die Grünen sackten auf nur noch 14 Prozent (minus ein Prozentpunkt) ab.
Zu ähnlichen Werten gelangte auch die jüngste Untersuchung des RTL/ntv-„Trendbarometers“: 14 Prozent für die Grünen, 19 Prozent für die AfD. Die Kanzlerpartei SPD rangiert mit 18 Prozent knapp dahinter. Die FDP konnte sich um einen Punkt auf nun sieben Prozent verbessern. Die Linke müsste mit stabilen fünf Prozent um ihren Wiedereinzug in den Bundestag fürchten, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre.
Ende der vergangenen Woche hatte der „ARD DeutschlandTrend“ noch einen leichten Rückgang der Unzufriedenheitswerte mit der Ampelregierung im Vergleich zum Vormonat ausgewiesen: „Nur noch“ 75 Prozent der Befragten seien „weniger“ oder „gar nicht“ zufrieden mit der Arbeit von Habeck, Scholz und Lindner.
Im RTL/ntv-„Trendbarometer“ vom 11. Juli wurden dagegen wieder 77 Prozent unzufriedener Bürger gezählt. Unter den Wählern der Grünen seien es immerhin 55 Prozent gewesen. Gut die Hälfte der SPD-Anhänger habe zu 52 Prozent ihre Unzufriedenheit bekundet, FDP-Wähler sogar zu beinahe drei Vierteln (72 Prozent).
61 Prozent der Befragten des „Trendbarometers“ hätten zudem der Aussage zugestimmt, dass die Ampelkoalition „unprofessionell und chaotisch“ regiere. Nur ein gutes Drittel (35 Prozent) sei anderer Meinung gewesen.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion