Gutachten bescheinigt wenig Wirkung der Wahlrechtsreform

Seit Jahren streiten die Parteien über eine Wahlrechtsreform. Heute soll es im Bundestag endlich zur Abstimmung kommen. Sollten CDU/CSU und SPD ihren Entwurf durchdrücken, wäre wohl nicht viel gewonnen. Das sagt nicht nur die Opposition.
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Die Übersicht zeigt den Plenarsaal während einer Sitzung des Deutschen Bundestages. Der Bundestag zählt derzeit 709 Abgeordnete, die Normgröße beträgt 598 Sitze.Foto: Michael Kappeler/dpa/dpa
Epoch Times8. Oktober 2020

Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags bescheinigt der Wahlrechtsreform von CDU/CSU und SPD eine nur geringe Wirkung hinsichtlich einer Verkleinerung des Parlaments.

Bezogen auf das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 wäre damit eine Absenkung der Gesamtsitze auf bis zu 682 Abgeordnete möglich gewesen, heißt es in der Ausarbeitung, die der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegt. Die Regelungen hätten also „eine Ersparnis von bis zu 27 Abgeordneten gebracht“.

Der Bundestag zählt derzeit 709 Abgeordnete, die Normgröße beträgt 598 Sitze. Ohne eine Wahlrechtsreform wird ein weiteres Anwachsen auf möglicherweise mehr als 800 Sitze bei der Wahl im Herbst kommenden Jahres befürchtet. Im Bundestag stehen an diesem Donnerstag der Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD, ein gemeinsamer Gesetzentwurf von FDP, Grünen und Linken sowie ein Entwurf der AfD zur Abstimmung.

Nach dem Koalitionsentwurf soll es bei der Wahl in einem Jahr bei der Zahl von 299 Wahlkreisen bleiben. Überhangmandate einer Partei sollen teilweise mit ihren Listenmandaten verrechnet werden. Und beim Überschreiten der Regelgröße von 598 Sitzen sollen bis zu drei Überhangmandate nicht durch Ausgleichsmandate kompensiert werden.

Effekt des negativen Stimmgewichts

Der Wissenschaftliche Dienst weist in seiner Ausarbeitung auch darauf hin, dass dabei der Effekt des negativen Stimmgewichts eintreten kann. Dieses war vom Bundesverfassungsgericht bereits früher für verfassungswidrig erklärt worden. Bei diesem Effekt kann eine Partei Mandate verlieren, obwohl sie Stimmen gewonnen hat. Oder sie kann trotz eines Stimmen-Minus ein Mandats-Plus erzielen.

Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle sagte der dpa mit Blick auf diese Analyse: „Der Gesetzentwurf von Union und SPD zur Reform des Bundestagswahlrechts ist ein Schuss in den Ofen.“ Er sei objektiv ungeeignet, den Bundestag zu verkleinern. Für Bürgerinnen und Bürger und selbst für Wahlrechtsexperten sei er unverständlich. Er werfe verfassungsrechtliche Fragen auf. „Und er soll in einem Verfahren durchs Parlament gedrückt werden, bei dem die Oppositionsfraktionen entgegen der guten Sitten nicht eingebunden werden.“

Auch andere Wissenschaftler kritisieren den erst nach langem Ringen zustande gekommenen Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD deutlich.

Der Wahlrechtsexperte Christian Hesse von der Uni Stuttgart sprach von einer „Fehlkonstruktion“. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Berechnungen auf der Grundlage dieses Modells und der aktuellen Stärkeverhältnisse der Parteien zeigen, dass der Bundestag höchstwahrscheinlich sogar um mehr als 100 Sitze größer wäre als der aktuelle, wenn jetzt gewählt würde.“ Auch das Vorgehen der Koalition sei hochproblematisch. „Das vollständige Ignorieren aller wissenschaftlichen Analysen der desaströsen Schwächen dieses Reformmodells weist fast Trump’sche Züge auf.“

Konsens noch möglich

Hesse hat selbst ein Modell vorgelegt, das nach seinen Angaben von allen Beteiligten jeweils nur kleine Kompromissschritte erfordern würde. „Dafür ist es immer noch nicht zu spät“, versicherte er.

„Ein Konsens wäre noch immer möglich“, sagte auch Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung der dpa. „Ein neutraler Schlichter könnte aus den vorliegenden Vorschlägen der Parteien sehr wohl einen für alle tragbaren Kompromissvorschlag machen.“ Der einzige Entwurf, der mit Sicherheit verfassungskonform sei und die Vergrößerung des Bundestags sehr weitgehend löse, sei der von FDP, Grünen und Linkspartei. „Die Koalition hätte deshalb auf das Gesprächsangebot der drei Oppositionsfraktionen eingehen sollen“, sagte Vehrkamp. (dpa)



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