Gesamter Vorstand der Grünen Jugend tritt zurück — und verlässt die Partei
Der Vorstand der Grünen Jugend will nicht wieder kandidieren und Mitte Oktober geschlossen aus der Partei austreten. Das geht aus einem internen Brief an die Partei- und Fraktionsführung hervor, den alle zehn Vorstandsmitglieder der Nachwuchsorganisation unterzeichnet haben. Darin heißt es, diese Entscheidung sei bereits vor der Bekanntgabe des Rücktritts des Parteivorstandes getroffen worden.
„Wir merken, dass unsere inhaltlichen, aber auch strategischen Vorstellungen von Politik immer weiter auseinander gehen – und glauben, dass es mittelfristig keine Mehrheiten in der Partei für eine klassenorientierte Politik gibt, die soziale Fragen in den Mittelpunkt rückt und Perspektiven für ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem aufzeigt“, heißt es in dem Schreiben, das auch der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Der Vorstand werde seine Amtsgeschäfte bis zum Bundeskongress der Grünen Jugend vom 18. bis 20. Oktober in Leipzig gewissenhaft zu Ende führen, die Wahl des neuen Bundesvorstands ermöglichen und danach auch aus der Grünen Jugend austreten. „Wir werden uns danach aufmachen, einen neuen, dezidiert linken Jugendverband zu gründen“, so die zehn Vorstandsmitglieder.
Dauerhaft sei nicht möglich, gleichzeitig Teil einer Partei zu sein und für eine grundsätzlich andere Politik zu werben als die eigene Partei umsetzt, schreibt der Vorstand an die Parteispitze.
Am Vormittag hatte der komplette Bundesvorstand der Partei mit den Co-Vorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang an der Spitze seinen Rücktritt für Mitte November angekündigt. Dann soll auf dem Bundesparteitag der Grünen ein neuer Vorstand gewählt werden, der die Grünen in den Bundestagswahlkampf begleiten soll.
Auch für viele führende Grüne kam die Ankündigung von Nouripour und Lang, die damit auch die Konsequenz aus den schlechten Ergebnissen der Partei bei den letzten Landtagswahlen zogen, überraschend.
Habeck: Gegenwind für Grüne
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nannte den angekündigten Rücktritt einen „großen Dienst an der Partei“. „Dieser Schritt zeugt von großer Stärke und Weitsicht“, sagte er. Habeck sagte weiter: „Hinter uns liegen harte Monate, die Grünen standen voll im Gegenwind.“ Die Niederlagen bei den letzten Wahlen seien unstrittig vom Bundestrend beeinflusst.
Wie stellen die Grünen sich zur Bundestagswahl auf?
Die Grünen wollen im Herbst entscheiden, ob sie bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr einen Kanzlerkandidaten ins Rennen schicken oder nur mit einem Spitzenkandidaten antreten. Voraussichtlich fällt die Entscheidung vor dem Bundesparteitag, der Mitte November in Wiesbaden ansteht. Nachdem Außenministerin Baerbock gesagt hatte, dass sie diesmal nicht an der Spitze stehen will, läuft alles auf Habeck hinaus.
„Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich. Und auch ich will mich ihr stellen“, sagte Habeck nun. „Ich möchte auf dem Parteitag eine offene Debatte zu einer möglichen Kandidatur und ein ehrliches Votum in geheimer Wahl.“ Der Parteitag werde jetzt der Ort werden, „wo sich die Grünen neu sortieren und neu aufstellen werden, um dann mit neuer Kraft die Aufholjagd zur Bundestagswahl zu beginnen“.
Baerbock: Müssen auch in Regierung besser werden
Baerbock sieht Verbesserungsbedarf in ihrer Partei – und in der Ampel-Regierung. „Wir alle, die wir für die Grünen und dieses Land Verantwortung tragen, müssen uns fragen, was wir anders machen können und müssen“, erklärte die Ex-Grünen-Chefin am Rande der UN-Generalversammlung in New York. Es gehe darum, das Vertrauen der Menschen in die Politik zurückzugewinnen. „Auch wir in der Regierung müssen uns fragen, wie wir besser werden können.“
Baerbock sagte weiter, sie werde Habeck auf seinem Weg und dem Parteitag im November mit aller Kraft und ganzem Einsatz unterstützen.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte: „Es ist das klare Signal: Die Grünen haben verstanden. Es hat sich etwas geändert in unserem Land und darauf reagieren wir.“
Mögliche Kandidaten für Parteivorsitz
Wer für den Parteivorsitz kandidieren wird, ist noch offen, auch wenn hinter den Kulissen schon die Namen genannt werden. Einer davon ist Franziska Brantner. Sie ist parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, eine enge Vertraute Habecks, die dem Realo-Flügel angehört. Schon vor ein paar Wochen wurde bekannt, dass Brantner Habecks Wahlkampfmanagerin werden soll.
Auch der Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak (34) gilt als aussichtsreicher Bewerber. In seiner damaligen Rolle als Landesvorsitzender hat er die nordrhein-westfälischen Grünen 2022 zu ihrem bislang besten Ergebnis (18,2 Prozent) in NRW und in die Landesregierung geführt.
Nach „Spiegel“-Informationen ist auch der Berliner Grünen-Abgeordnete und Vize-Fraktionschef Andreas Audretsch im Gespräch. Eine Sprecherin der hessischen Grünen-Landtagsfraktion sagte, der frühere hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir wolle nicht – wie es der „Tagesspiegel“ geschrieben hatte – Vorsitzender der Grünen werden.
Ampel im „Herbst der Entscheidungen“
Schon am Montag hatte Nouripour relativ resigniert geklungen. Er sprach von einer bitteren Niederlage in Brandenburg und zeigte sich zugleich konsterniert über den Zustand der Ampel-Koalition. In der Ampel aus SPD, FDP und Grünen gibt es wiederholt öffentlich ausgetragene Streitigkeiten über verschiedene Themen. Nouripour hatte die Ampel bereits als „Übergangslösung“ bezeichnet.
Nach Ansicht von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat der angekündigte Rücktritt der Grünen-Spitze keine Auswirkungen auf die Ampel-Koalition. Scholz habe mit Lang und Nouripour „eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet“ und bedauere ihren Rückzug, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Die SPD-Spitze dankte den Grünen-Vorsitzenden für die enge Zusammenarbeit.
FDP-Chef Christian Lindner zollte Lang und Nouripour für deren Rücktrittsankündigung Respekt. „Die Zusammenarbeit war menschlich immer fair“, schrieb der Bundesfinanzminister auf X. Zugleich betonte er: „Wir sind gespannt, ob unter neuer Führung ein neuer Kurs entsteht und welche Auswirkungen er auf die Regierung hat.“ Lindner hatte mit der Forderung nach einem „Herbst der Entscheidungen“ den Druck auf die Koalitionspartner SPD und Grüne erhöht. Unter anderem soll ein Wachstumspaket umgesetzt werden, um die Konjunktur anzukurbeln.
Söder fordert Rücktritt Habecks
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte Habeck auf, sein Amt niederzulegen. Die Rücktrittsankündigung von Lang und Nouripour sei „nichts anderes als ein Bauernopfer“, sagte er in Berlin. Dass der Grünen-Bundesvorstand im November komplett zurücktreten wolle, zeige, „dass die Ampel in sich zerfällt“. Habeck persönlich sei verantwortlich für den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands. (dpa/red)
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