Gemeindemitglied nach Angriff in Halle: „Attentäter war offensichtlich einfach dumm“
Die Sicherheitsvorkehrungen an der Synagoge in Halle (Saale), die am Mittwoch angegriffen wurde, waren nach Aussagen mehrerer Gemeindemitglieder nicht ausreichend. „Ich bin mit dem Sicherheitsmann zum Monitor gelaufen, von wo aus wir alles, was vor der Tür geschah, beobachten konnten“, sagte eines der Gemeindemitglieder dem Magazin „Stern“. Die beiden Männer hätten via Monitor gesehen, wie der Attentäter eine Frau erschoss, drei Molotow-Cocktails über die Mauern warf und versuchte, in das Gebäude einzudringen.
Immer wieder habe der Angreifer auf die verriegelte Holztür gefeuert. Dass die Tür dem Angriff standhielt, verwundert das Gemeindemitglied. „Die Tür habe ich selbst gebaut“, erzählte der Mann, der ursprünglich aus der Ukraine kommt und seit 30 Jahren in Deutschland lebt. „Die ist geschützt, allerdings nur denkmalgeschützt, nichts Besonderes. Dieser Attentäter war offensichtlich einfach dumm, dass er die nicht überwinden konnte.“ Dass die Tür überhaupt abgeschlossen war, sei reiner Zufall gewesen.
Parallelen zum Anschlag in Neuseeland
Der Angriff auf eine Synagoge in Halle an der Saale weist viele Parallelen zum Anschlag im neuseeländischen Christchurch im März auf. Bei der Attacke am Mittwoch wurden zwei Menschen erschossen und zwei weitere schwer verletzt. In Christchurch hatte ein Rechtsextremist in zwei Moscheen mehr als 50 Menschen getötet und den Anschlag live im Internet übertragen.
Der mutmaßliche Täter in Halle wollte offenkundig gezielt in die Synagoge in Halle eindringen. Nach Angaben der dortigen Jüdischen Gemeinde wollte der Täter die Türen zu dem Gotteshaus aufschießen. Auch Sprengsätze soll er eingesetzt haben. In der Synagoge befanden sich am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur demnach 70 bis 80 Menschen. Die Türen hielten jedoch stand. Im Anschluss erschoss der mutmaßliche Täter offenbar eine zufällig vorbeikommende Passantin. Anschließend drang er in einen Dönerimbiss in der Nähe ein und erschoss dort einen Mann.
Auch der Attentäter von Christchurch, ein Australier, ging gezielt gegen Gotteshäuser vor. Er eröffnete während des Freitagsgebets in der Masjid-al-Noor-Moschee im Zentrum von Christchurch das Feuer auf die muslimischen Gläubigen. Anschließend fuhr er in einen Vorort der Stadt und setzte das Massaker in der Linwood-Moschee fort.
Mutmaßlich rechtsextremistischer Hintergrund
Bei dem Täter von Halle handelt es sich der Bundesanwaltschaft zufolge um den 27-jährigen Stephan B.. Berichten zufolge stammt er aus dem Raum Eisleben in Sachsen-Anhalt. Nach Einschätzung des Generalbundesanwalts war er „tief durchdrungen von erschreckendem Antisemitismus, Fremdenhass und Rassismus“.
Der 28-jährige Täter von Christchurch macht aus seiner rechtsextremen Gesinnung ebenfalls keinen Hehl. Kurz vor dem Anschlag veröffentlichte er im Internet ein „Manifest“, in dem er sich selbst als „faschistisch“ und „rassistisch“ beschrieb. Während seines ersten Auftritts vor Gericht im März machte er zudem die typische Geste der rechtsextremen „White-Power“-Bewegung.
Livestream der Tat
Der Angreifer von Halle filmte seine Taten und übertrug sie live im Internet. In dem gut halbstündigen Film führt der Tatverdächtige immer wieder Selbstgespräche, teilweise auf Englisch, in denen er unter anderem den Holocaust leugnet und sich antisemitisch äußert. Das Video wurde nach Angaben der Streamingplattform Twitch in Echtzeit von fünf Menschen verfolgt. Anschließend sahen demnach rund 2200 Menschen die Aufnahmen, bevor sie gelöscht wurden.
Auch der Rechtsextremist in Christchurch übertrug seine Tat live im Internet. Nach Angaben des Netzwerks Facebook sahen sich knapp 200 Nutzer die Live-Übertragung des Videos an. Zahlreiche Nutzer verbreiteten es anschließend weiter. In den ersten 24 Stunden nach dem Anschlag musste Facebook 1,5 Millionen Kopien des Videos löschen.
Manifest
Nach Angaben des auf die Überwachung extremistischer Websites spezialisierte US-Unternehmen SITE tauchte im Internet ein mögliches „Manifest“ des Angreifers von Halle auf. In dem PDF-Dokument würden Fotos von bei der Attacke verwendeten Waffen und Munition gezeigt. Als Ziel der Attacke werde in dem Dokument genannt, soviele „Anti-Weiße“ wie möglich zu töten, vorzugsweise Juden.
Kurz vor dem Anschlag in Christchurch veröffentlichte auch der Australier im Internet ein 74-seitiges „Manifest“, in dem er die Motive für seine Tat darlegte. Darin wurde deutlich, dass der Angriff Muslimen galt. Zugleich rief der Täter darin zu Anschlägen auf ranghohe Politiker auf, die er als „Feinde unserer Rasse“ bezeichnete. Zudem erwähnte er Namen von bekannten Rechtsextremen und Faschisten, wie etwa den Norweger Anders Behring Breivik, den er als Inspiration für seine Tat nannte.
Merkel: Alle Mittel des Rechtsstaats nutzen
Nach dem Anschlag von Halle müssen nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) alle Mittel des Rechtsstaats genutzt werden, „um gegen Hass, Gewalt und Menschenfeindlichkeit vorzugehen“. Merkel sagte am Donnerstag beim IG-Metall-Gewerkschaftstag in Nürnberg: „Und da gibt es keinerlei Toleranz.“ Den Angriff auf die Synagoge und den Tod von zwei Menschen nannte sie „unbegreiflich“.
„Wir alle wissen: Wir sind nur sehr knapp einem schrecklichen Angriff auf die Menschen in der Synagoge entgangen“, sagte die Kanzlerin. „Es hätte noch sehr viel mehr Opfer geben können.“
Merkel betonte: „Wir sind froh über jede Synagoge, über jede jüdische Gemeinde und über all jüdisches Leben in unserem Land.“ Wichtig sei, „dass wir den Anfängen wehren müssen“, das beginne bei der Sprache. „Sehr oft kann es passieren, dass aus Worten Taten werden.“ Das müsse unterbunden werden. „Hass, Rassismus und Antisemitismus dürfen keinen Platz in unserem Land haben“, sagte die Kanzlerin.
Sondersitzung geplant
Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages (PKGr) wird wegen des Anschlags auf die Synagoge in Halle (Saale) am Montag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Das teilte dessen Vorsitzender Armin Schuster (CDU) dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Freitagausgaben) mit. Das PKGr ist für die Kontrolle der Sicherheitsbehörden, insbesondere der Nachrichtendienste, zuständig.
Schuster sagte dem RND, es sei zu früh, die Ereignisse abschließend zu bewerten. Damit sei es auch „zu früh“, von Stephan B. „als einem Einzeltäter zu sprechen“. Die Sondersitzung war von den Grünen beantragt worden. (afp/dts)
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