Flutkatastrophe im Ahrtal: Rücktrittsforderungen nach spät aufgetauchten Videos
Auch mehr als ein Jahr nach der Flutkatastrophe im Ahrtal kommt die politische Klasse in Rheinland-Pfalz nicht zur Ruhe. Nun fordert die Opposition erneut den Rücktritt von Innenminister Roger Lewentz – nach dessen eigentlich als solchem gedachten Befreiungsschlag.
Konkret geht es um Aufnahmen aus einem Polizeihubschrauber von der Flutnacht des 14. Juli 2021. Lewentz hatte jüngst von sich aus Medienvertreter ins Ministerium eingeladen. Anschließend hatte er diesen Hubschrauberaufnahmen vorgeführt, die an jenem Tag zwischen 22:14 Uhr und 22:42 Uhr entstanden waren.
Videos erst ein Jahr nach der Flutkatastrophe aufgetaucht
Die Aufnahmen unterlagen ursprünglich einer Einstufung als „vertraulich“. Am 23. September waren sie erstmals im Untersuchungsausschuss des Landtags zu sehen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In den Aufnahmen, die Lewentz den Medienvertretern zugänglich machte, waren Personen und Ortsangaben verpixelt.
Die Videos tauchten damit erst ein Jahr nach der Flutkatastrophe auf. Der Grund dafür sei ein „Dokumentationsfehler“ aufseiten der Polizei gewesen. Gleich zwei Polizeipräsidenten räumten dies in Anwesenheit des Ministers gegenüber der Presse ein.
Wie die „Tagesschau“ berichtet, erklärte der für Technik zuständige Präsident Christoph Semmelrogge, eine lückenlose Dokumentation allen Materials habe in der Flutnacht „keine Priorität“ gehabt. Erst später sei eine Sicherungskopie aufgetaucht. Diese habe in weiterer Folge auf Anfrage ihren Weg in den Untersuchungsausschuss gefunden.
Videos zeigen bis zum Dachgeschoss überflutete Häuser
Lewentz sieht sich durch die Aufnahmen von Vorwürfen nicht rechtzeitigen Handelns in der Flutnacht entlastet. Er hatte stets erklärt, in der Flutnacht lediglich Zugang zu punktuellen Informationen und einzelnen Bildern gehabt zu haben. Zudem sei aufgrund der verfassungsmäßigen Zuständigkeitsverteilung der Landrat der unmittelbar Verantwortliche für Veranlassungen im Katastrophenschutzfall.
Die Aufnahmen aus der Flutnacht hätten aus seiner Sicht auch dann kein anderes Lagebild vermittelt, wenn sie ihm bereits zugänglich gewesen wären, erklärt Lewentz. Es sei zwar bekannt gewesen, dass es Hochwasser geben würde, die Videos zeigten aber schon bis zum Dachgeschoss überflutete Häuser. Auch sei eine großflächige Ausbreitung der Flut zu erkennen gewesen sowie Lichtzeichen und Warnlichter von Bewohnern oder Rettungskräften. Zu sehen waren auch Menschen auf einem Garagendach und ein Auto, das mit eingeschaltetem Heckscheibenwischer und Innenbeleuchtung durch die Wassermassen treibt.
Lewentz verweist auf begrenzte kurzfristige Mittel
Dennoch sei noch nicht absehbar gewesen, welches Ausmaß die Katastrophe annehmen würde. Wörtlich erklärte Lewentz gegenüber Medien:
Auf diesen Filmen sind keine eingestürzten Häuser, nicht die weggerissenen Brücken, nicht die zerstörte Bahnlinie. Also nicht das, was wir dann im Hellen an schrecklicher Verwüstung in dem Tal feststellen mussten.“
Der Innenminister äußert zudem, dass auch bei Kenntnis des vollen Ausmaßes der Flutkatastrophe die kurzfristigen Handlungsmöglichkeiten begrenzt gewesen wären. Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Bundeswehr, DLRG und Rettungsorganisationen seien mobilisiert worden. Darüber hinaus hätte er in der Nacht selbst „keine Hilfsmöglichkeit gehabt“.
Auch einem Innenminister sei es „nicht möglich, bei schlechten Wetterverhältnissen einfach so per Knopfdruck weitere Hubschrauber zu besorgen“.
Opposition: „Krasse Anhaltspunkte für Notwendigkeit zentraler Abwehrmaßnahmen“
Anders beurteilt die Opposition die Situation. Trete Lewentz nicht von sich aus zurück, müsse Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ihn entlassen, forderten die beiden Fraktionsvorsitzenden von CDU und AfD im rheinland-pfälzischen Landtag, Christian Baldauf und Michael Frisch, am Mittwoch.
Baldauf erklärte, wer solche Videos nicht als Handlungsaufforderung begreife, sei fehl am Platz. Der Obmann der Freien Wähler im Landtagsuntersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe, Stephan Wefelscheid, sagte:
Hätte man diese Videos gesehen, hätte man echt krasse Anhaltspunkte dafür gehabt, dass hier zentrale Abwehrmaßnahmen erforderlich sind.“
Frisch betonte, unabhängig davon, was Lewentz in der Flutnacht von den Videos gewusst habe oder nicht, sei sicher, dass sein Polizeiapparat am Abend des 14. Juli 2021 ein klares Lagebild über die historische Flutkatastrophe an der Ahr gehabt habe.
Auch die Staatsanwaltschaft Koblenz, die alle Ermittlungen zur Flutkatastrophe im Ahrtal leitet, verfügt erst seit einer Woche über die Polizeihubschrauber-Videos. Derzeit befragt sie Angehörige der Hubschrauberstaffel. Mitte Oktober soll die Hubschrauber-Besatzung dann auch im Untersuchungsausschuss des Landtags aussagen.
Flutkatastrophe brachte bereits mehrere Politiker zu Fall
Die Flutkatastrophe im Ahrtal im Jahr 2021 hat 141 Todesopfer und 766 Verletzte gefordert. Mehr als 3.000 Gebäude wurden beschädigt oder zerstört, mindestens 17.000 Personen verloren durch das Hochwasser Eigentum. Die 1.600 bei der Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer angemeldeten Betriebe im Ahrtal erlitten geschätzte Sachschäden von insgesamt 560 Millionen Euro.
Politik und Medien in Deutschland betonten im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe die Bedeutung des Klimawandels für das vermehrte Auftreten solcher Ereignisse. Allerdings gilt das Ahrtal seit jeher als anfällig für Hochwasserereignisse. Seit dem 14. Jahrhundert sind mehrere Dutzend davon dokumentiert – die folgenschwersten davon waren jene der Jahre 1601, 1804, 1910 und 2021.
Auch für deutsche Spitzenpolitiker standen die Nachwirkungen der Flutkatastrophe unter keinem guten Stern. Eine Aufnahme, die CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet lachend und scherzend in einem Flutgebiet zeigte, trug entscheidend zur Niederlage seiner Partei bei der Bundestagswahl bei.
NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser und die frühere Umweltministerin von Rheinland-Pfalz, Anne Spiegel, traten von ihren Ämtern zurück. Beide hatten im zeitlichen Umfeld der Katastrophe Urlaub gemacht. Von Spiegel, die mittlerweile als Bundesfamilienministerin amtierte, waren zudem SMS aus der Flutnacht aufgetaucht. Diese erweckten bei Kritikern den Eindruck, polit-taktische Überlegungen hätten für sie in diesem Moment höhere Priorität gehabt als das Schicksal der Opfer.
(Mit Material von dpa)
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