Ex-Verfassungsrichter sieht Freiheitsrechte in Gefahr: „Parlamentarische Demokratie wird derzeit teilweise ausgehebelt“
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, sieht im Umgang mit der Corona-Pandemie die Freiheitsrechte in Gefahr. Nicht Lockerungsmaßnahmen seien rechtfertigungsbedürftig, sondern die Aufrechterhaltung von Beschränkungen der Grundrechte.

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts (Archivbild).
Foto: Ronald Wittek/dpa
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, sieht im Umgang mit der Corona-Pandemie die Freiheitsrechte in Gefahr. Gesundheitsschutz rechtfertige nicht jedweden Freiheitseingriff, sagte Papier in einem „Spiegel“-Streitgespräch mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD).
In der Krise seien nicht die Lockerungsmaßnahmen rechtfertigungsbedürftig, sondern die Aufrechterhaltung von Beschränkungen der Grundrechte.
„Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Sinn und Zweck eines Verfassungsstaates in erster Linie der Schutz der Freiheit ist“, betonte Papier.
Justizministerin: Schutzpflicht für das menschliche Leben
Justizministerin Lambrecht verwies auf das Bundesverfassungsgericht, dass klar zum Ausdruck gebracht habe, „dass der Staat eine besondere Schutzpflicht für das menschliche Leben hat, da es einen Höchstwert in unserer Verfassungsordnung darstellt“.
Lambrecht räumte aber ein, es könne nicht unbegrenzt so weitergehen. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass wir nicht einen Tag länger als nötig auf unsere Freiheiten verzichten müssen.“
Papier kritisiert außerdem, dass die parlamentarische Demokratie derzeit teilweise ausgehebelt werde. Die Frage der Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen werde von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gewertet, obgleich es sich um eine Rechtsfrage und nicht um eine politische Frage handele.
Lambrecht wies den Vorwurf zurück. Sowohl im Bundestag als auch in den Länderparlamenten seien die Maßnahmen ausführlich und kontrovers diskutiert worden.
Lindner: Einschränkungen sind „nicht mehr verhältnismäßig“
FDP-Chef Christian Lindner hat Bund und Ländern vorgeworfen, dass die weiterhin geltenden Einschränkungen wegen der Bedrohung durch das Coronavirus „nicht mehr verhältnismäßig“ seien.
Die FDP habe „den Mut zu sagen, wir würden den Gesundheitsschutz weniger repressiv organisieren“, sagte Lindner der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Samstagsausgabe). Es müssten künftig die Kosten einer Maßnahme zur Pandemie-Eindämmung, also etwa verschobene Operationen oder soziale Konflikte in Familien, gegen deren Nutzen gestellt werden.
Die FDP komme da „zu anderen Ergebnissen als die Bundesregierung“. Die Einschränkungen in der Coronakrise müssen nach Ansicht von Lindner stärker regionalisiert werden. „Wenn etwa in Rosenheim ein Infektionsherd ist, dann muss doch in Emden kein Hotel schließen“, sagte er.
Wenn in einer Gemeinde die Infektionszahlen plötzlich stiegen, dann müsse womöglich dieser Ort unter Quarantäne gestellt werden; „aber das kann künftig nicht automatisch wieder Konsequenzen für das ganze Land haben“.
Lindner sagte, er setze Hoffnungen in die digitale Nachverfolgung von Infektionen per Mobilfunk-App. Dies könne ein „ganz wirksames Mittel sein, um steigenden Infektionszahlen gezielt zu begegnen“.
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