EU-Corona-Wiederaufbaufonds kann zum „Doppelstaat“ führen
In einem Kommentar für das Magazin „Tichys Einblick“ äußert sich der frühere Chefredakteur mehrerer Magazine und bis 2018 auch der Publikation „Der Hauptstadtbrief“, Dr. Rainer Bieling, zum sogenannten „EU-Eigenmittelbeschluss“.
Der Deutsche Bundestag musste diesem, damit das 750-Milliarden-Euro-Paket der Europäischen Union zum Corona-Wiederaufbau Gültigkeit erlangen kann, zustimmen – und damit auch einer breiten Schuldenaufnahme durch die EU selbst.
Kaum Gegenstimmen im Bundestag
Am Ende stimmten nur die Abgeordneten der AfD geschlossen gegen das Gesetz, das unter anderem auch den Weg frei machen soll für eine solidarische Schuldenhaftung aller EU-Mitgliedstaaten im Rahmen des Wiederaufbaufonds, für den die EU als solche umfangreiche Kredite aufnehmen wird.
Die Linkspartei enthielt sich mit einer Ausnahme der Stimme, vereinzelt gab es Nein-Stimmen und Enthaltungen auch aus den Reihen von Union, FDP und Fraktionslosen. Am Ende fand das Ratifizierungsgesetz jedoch eine deutliche Mehrheit mit 478 Ja-Stimmen.
Wie Bieling bemerkte, nahm die Öffentlichkeit kaum Notiz von der Abstimmung, die am Donnerstag (25.3.) stattfand und damit einen Tag nach der vieldiskutierten Kehrtwende inklusive öffentlicher Entschuldigung, die Bundeskanzlerin Angela Merkel bezüglich der kurz zuvor angekündigten „Corona-Osterruhe“ vollzogen hatte.
Die Aussprache im Parlament dauerte 30 Minuten, die Nachrichtensender behandelten das Thema nur am Rande, ein von AfD-Abgeordneten per Livestream übertragenes Gespräch, in dem Kritik an dem Projekt artikuliert wurde, fand nicht einmal eine vierstellige Anzahl an Zuschauern.
Nächster Schuldenhammer nach Binnen-Neuverschuldung für Corona
Bieling weist auf einen Kontext des Beschlusses hin, der es auch vor dem Hintergrund der Corona-Krise als eines alles überragendes Themas als verwunderlich erscheinen ließe, dass die Öffentlichkeit kaum Notiz davon nähme.
Erst am Montag der Vorwoche berichteten Medien, dass die geplante Neuverschuldung des Bundes selbst bereits 2021 auf 240 Milliarden Euro steigen würde. Im Jahr zuvor waren es bereits 130,5 Milliarden. Nun kommen auch noch die 750 Milliarden Euro an EU-Mitteln für den Corona-Fonds dazu, von denen Deutschland nicht nur einen erheblichen Teil aufbringen würde, sondern für den das Land notfalls auch mit eigenen Haushaltsmitteln haften würde.
Aus diesem Grund hat auch das Bundesverfassungsgericht erst einmal im Wege eines sogenannten Hängebeschlusses eine Ratifizierung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bis zur Entscheidung über eine begehrte Einstweilige Anordnung in dieser Sache gestoppt.
Fremdmittel-Finanzierung für EU-Haushalt nicht vorgesehen
Staatsrechtler Matthias Herdegen, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Direktor des Instituts für Völkerrecht der Universität Bonn, hatte bereits zu Beginn der Woche laut „Handelsblatt“ erklärt, die EU überschreite ihre Kompetenzen, indem sie sich im Wege einer „doppelten Verwischung der Verantwortlichkeiten“ auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite zur Aufnahme von Gemeinschaftsschulden ermächtige.
Herdegen hält es für sehr wahrscheinlich, dass die Angelegenheit vor dem Bundesverfassungsgericht lande, das auch schon bezüglich des EZB-Anleihekaufprogramms der Politik einen Schuss vor den Bug versetzt hatte.
Der EU-Haushalt, so Herdegen, werde aus Eigenmitteln finanziert. Fremdschulden über den Kapitalmarkt aufzunehmen, um außerhalb des regulären Haushalts in Eigenregie Mittel zur Durchführung gemeinsamer Vorhaben zu generieren, sei auch durch die Pandemie und durch die Beistandsklausel im Artikel 122 des EU-Vertrages nicht gerechtfertigt. Dies gelte umso mehr, als nicht nur Corona-bezogene Aufgaben durch den Fonds finanziert würden, sondern auch solche im Bereich des „Klimaschutzes“ oder der Digitalisierung.
Erst der Finanzausgleich – dann der Bundesstaat?
Bieling sieht in dem „Doppelstaat“, der de facto durch das neue gemeinschaftliche Schuldenkonstrukt entstehe, eine Art des Vertrages zu Lasten Dritter, den die politischen Eliten in Berlin und Brüssel auf Kosten deutscher Steuerzahler geschlossen hätten.
Was noch in der Zeit der Euro-Rettungspolitik Anfang der 2010er an den Nordstaaten gescheitert sei, nämlich eine Schuldenunion, würde nun auf dem Wege des EU-Eigenmittelfonds für Corona umgesetzt.
Zudem eigne sich die Doppelläufigkeit von offiziellem und Parallelhaushalt zur schleichenden Umwandlung der EU zum Bundesstaat. Anders als im innerstaatlichen Bereich, wo auf demokratischem Wege eine Regierung legitimiert werde, die im Wege des Länderfinanzausgleichs Geld zwischen den Bundesländern umverteilt, gehe die EU den umgekehrten Weg und schaffe erst den Umverteilungsmechanismus, auf dass später Rufe nach mehr „europäischer Souveränität“ zur Legitimation dieser Vorgehensweise entstünden:
„Das angestrebte neue Eigenmittelsystem der Europäischen Union, so die amtliche Bezeichnung, schafft eine EU mit Länderfinanzausgleich, der ja auch im deutschen Föderalismus, der eines Tages nur noch ein Binnenföderalismus sein wird, als Geschenk funktioniert.“
Herdegen: EU wird zur „Schulden- und Transfergemeinschaft“
Von den 750 Milliarden Euro werden dem Konstrukt gemäß 360 Milliarden als Darlehen zur Verfügung gestellt, 390 Milliarden hingegen ohne Rückzahlungsverpflichtung. Sie sollen vor allem an die 2020 am stärksten von Corona gebeutelten, schuldenbelasteten Staaten im Süden der EU fließen.
Auch Professor Herdegen warnt vor den Konsequenzen der „größten Weichenstellung in der Geschichte der Europäischen Union seit Einführung des Euro“, die auch gleichzeitig die teuerste Veränderung und auch den „größten Bruch vertraglicher Verpflichtungen“ darstelle.
Sein Fazit:
„An den bestehenden Verträgen vorbei nimmt die Europäische Union gerade eine neue Gestalt als Schulden- und Transfergemeinschaft an.“
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