Ethikrat-Mitglied: „Niemand muss diskriminiert oder gar isoliert werden, um mit COVID-19 leben zu lernen“

Quarantäne, Kontaktverbot, Maskenpflicht. Es wurde massiv in die Grundrechte der Bürger eingegriffen. Für Professor Nida-Rümelin ist allerdings ein mehrfacher globaler Shutdown keine Option: „Ein zweiter Shutdown im Herbst und ein dritter im Frühjahr 2021, ein vierter im Herbst 2021, ein fünfter im Frühjahr 2022 würden die Welt in eine tiefe Depression zwingen, mit unerträglichen Folgen.“
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Kind in häuslicher Quarantäne in Zeiten von Corona.Foto: iStock
Epoch Times23. Juni 2020

„Nehmen wir einmal an, es kommt zu einer zweiten Welle, wie gegenwärtig gewarnt wird“, philosophiert Professor Julian Nida-Rümelin in seinem „Welt“-Artikel. Da trotz beendeter oder abgeschwächter Maßnahmen in ganz Europa die Zahl der Erkrankten rückläufig ist, spreche viel dafür, dass die klimatischen Bedingungen im Frühsommer und die veränderten Lebensgewohnheiten in den warmen Sommermonaten eine Rolle spielen.

Insoweit wäre nach Auffassung des Philosophie-Professors, der am 30. April 2020 in den Deutschen Ethikrat einberufen wurde, mit einer zweiten Welle in unseren Breiten vermutlich im Herbst zu rechnen. Ähnlich der Grippewellen könnte sich im schlimmsten Fall jährlich SARS-CoV-2 über einen großen Teil des Erdballs ausbreiten. „Die Welt müsste dann lernen, auch mit diesem neuen Virus zu leben“, schreibt Nida-Rümelin.

Auch wenn die tatsächlichen Folgen des monatelangen Shutdowns noch nicht zuverlässig abgeschätzt werden können, sei klar, dass die anfänglichen Schätzungen „verharmlosend“ gewesen seien. Und das, obwohl die staatlichen Maßnahmen deutlich früher zurückgenommen wurden als noch vor wenigen Wochen erwartet worden war.

Noch vor Wochen seien Politiker in ganz Europa davon überzeugt gewesen, dass in diesem Jahr die Urlaubssaison ausfallen müsse. Inzwischen zeige sich ein anderes Bild: Die südlichen Urlaubsländer bereiten sich bereits auf den „vertrauten Ansturm“ vor. Auch im Freien würden die Abstandsregeln nicht mehr eingehalten werden, das betreffe vor allem die lauen Sommerabende in Europas Metropolen.

Die Lebensgewohnheiten der Jüngeren normalisieren sich rascher, als noch vor kurzem erwartet wurde und nach wie vor erhofft wird.“

Keine allgemeine Erhöhung von Neuinfektionen

Bis auf einzelne Corona-Ausbrüche, wie beispielsweise in Heimen, Leiharbeiter-Unterkünften und Schlachthöfen, sei es dennoch nicht zu einer allgemeinen Erhöhung der Neuinfektionen gekommen.

Nida-Rümelin führt an, dass die Behörden keinen Zugriff auf das Infektionsgeschehen haben, wie es sich bei einer flächendeckenden Verwendung der App und bei wahrhaftiger Eingabe abbilden würde. Insoweit erschwere die Sorge um die „informationelle Selbstbestimmung“ eine effektive Risiko-Einschätzung zu einer COVID-19-Verbreitung.

Angesichts der Tatsache, dass mit dem Shutdown eine ganze Reihe von Grundrechten ausgesetzt oder eingeschränkt worden sind, worunter auch die Rechte auf freie Berufsausübung, der Bewegungsfreiheit und der Sozialkontakte fallen, und angesichts der Tatsache, dass der Missbrauch von Nutzerdaten Grundlage der globalen Plattformökonomie geworden sei, erscheinen dem Philosophie-Professor die Bedenken gegen eine zentrale, möglichst europaweite App „unverhältnismäßig“ gewesen zu sein.

Ein alljährlicher Shutdown ist keine Alternative

Das Ethikrat-Mitglied geht davon aus, dass den politisch Verantwortlichen und auch der Bevölkerung in den kommenden Wochen und Monaten klar werde, dass ein wiederholter globaler Shutdown keine Option ist, um saisonale Wellen mit SARS-CoV-2 zu dämpfen. Er schreibt:

Ein zweiter Shutdown im Herbst und ein dritter im Frühjahr 2021, ein vierter im Herbst 2021, ein fünfter im Frühjahr 2022 würden die Welt in eine tiefe Depression zwingen, mit unerträglichen Folgen.“

Die Kosten regelmäßiger Testungen, verlässlicher medizinischer Masken, für medizinische Schutzmaßnahmen, gegebenenfalls Versorgung mit dem Lebensnotwendigen durch die Kommunen und dergleichen würden hoch sein.

Doch im Vergleich zu den humanen Verlusten einer ungehemmten Ausbreitung von COVID-19 würden sie dennoch niedrig ausfallen.

Das gelte auch im Vergleich zu den ökonomischen, sozialen und kulturellen Kosten eines erneuten globalen Shutdowns. „Niemand muss diskriminiert oder gar isoliert werden, um mit Covid-19 leben zu lernen“, schlussfolgert Nida-Rümelin. (sua)



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