Drastischer Anstieg: 40 Prozent mehr Inobhutnahmen durch Jugendämter
Die Zahl der Inobhutnahmen durch deutsche Jugendämter ist im Jahr 2022 deutlich angestiegen. Laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) betrafen Maßnahmen dieser Art mehr als 66.400 Kinder und Jugendliche. Nachdem es im Jahr 2021 lediglich einen Anstieg um fünf Prozent gegeben hatte, betrug das Plus im Vorjahr damit rund 40 Prozent.
Immerhin liegt die Zahl der Inobhutnahmen nach wie vor deutlich unter der bisherigen Höchstzahl von rund 84.200 Fällen im Jahr 2016. Wie bereits damals spielte im Vorjahr der Faktor Flucht eine Rolle. Trotz des Krieges in der Ukraine kamen auch 2022 die meisten der ohne Begleitung eingereisten Minderjährigen aus Syrien oder Afghanistan.
Nach Jahren wieder steigende Zahl an Inobhutnahmen
Wie aus den Zahlen hervorgeht, stieg die Zahl der Inobhutnahmen infolge unbegleiteter Einreise um 17.300 Fälle oder 153 Prozent. Bereits im Jahr zuvor hatte es in diesem Bereich ein Plus von 3.700 Fälle oder 49 Prozent gegeben.
Im Jahr 2017 stellte das Statistische Bundesamt die Erfassung der Maßnahmen um. Seither trennt es sogenannte vorläufige Inobhutnahmen unbegleiteter Minderjähriger von den „regulären“. Diese können auf Ersuchen des Kindes selbst oder bei Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung verfügt werden.
Im Jahr 2011 hatte die Zahl der entsprechenden Maßnahmen bei 36.343 gelegen, in den darauffolgenden Jahren war sie deutlich angestiegen. Nach der Reform der Erfassung war die Zahl der Inobhutnahmen über einige Jahre rückläufig gewesen. Mit 45.444 war im Corona-Jahr 2020 der geringste Wert seit 2014 zu verzeichnen.
Nur in 37 Prozent der Fälle kehren Kinder zurück an alten Lebensmittelpunkt
Allerdings ist auch die Zahl der Inobhutnahmen aufgrund dringender Kindeswohlgefährdung um fünf Prozent angewachsen. Im Jahr 2022 belief sich die Gesamtzahl dieser Fälle auf 29.800 Fälle. In 8.000 Fällen hatten betroffene Minderjährige selbst um Inobhutnahme gebeten.
Prozentual war die unbegleitete Einreise der häufigste Anlass für Inobhutnahmen (43 Prozent). Dahinter rangierten Überforderung der Eltern (26 Prozent), Anzeichen von Vernachlässigung (11 Prozent) und körperliche Misshandlung (10 Prozent). Etwa jeder fünfte Betroffene war vor der Inobhutnahme von zu Hause weggelaufen.
In den meisten Fällen endete die Maßnahmen nach maximal zwei Wochen. Etwa zehn Prozent davon nahmen drei Monate oder länger in Anspruch. Allerdings kehrten nach Beendigung der Inobhutnahme nur etwa 37 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen an ihren vormaligen Lebensmittelpunkt zurück. Im Regelfall war dies die Familie. In etwa 36 Prozent der Fälle erfolgte eine Unterbringung in Pflegefamilien, Heimen oder betreuten Wohnformen.
„Deutlich herabgesetzte Eingriffsschwelle“
In der Vergangenheit wurde deshalb vielfach Kritik von Elternrechtsaktivisten an dieser Praxis geübt. Eine Studie des Hamburger Jugendhilfeexperten Wolfgang Hammer, die Fälle aus den Jahren 2014 bis 2019 ausgewertet hatte, sprach von einer „deutlich herabgesetzten Eingriffsschwelle“ zur Kindeswegnahme. Die „taz“ berichtete.
Auch zahlreiche Elternverbände meinen, die Eingriffsschwelle würde immer geringer und die Interventionen gingen weit über die tatsächliche Anzahl der Fälle von Gefahr oder Vernachlässigung hinaus. Zudem seien Einwandererfamilien weit überdurchschnittlich von Maßnahmen dieser Art betroffen.
Betroffen seien in vielen Fällen nicht einmal Familien oder Alleinerziehende aus desolaten Verhältnissen. Auch Mütter mit Abitur oder Hochschulabschluss blieben von Maßnahmen dieser Art häufig nicht verschont.
„Symbiontische Beziehung“ als Anlass „hoch im Kurs“
In einigen Fällen hätten sich Frauen dabei von sich aus an das Jugendamt gewandt – in der Hoffnung auf Unterstützung und möglicherweise Gewährung einer Mutter-Kind-Kur. Einige Jugendämter hätten deren offene Ansprache bestehender Probleme jedoch zum Anlass genommen, initiativ zu werden.
Nach Rücksprache mit Ex-Partnern, deren Eltern oder Nachbarn hätten sie häufig die Hilfebitte gegen die Mütter selbst instrumentalisiert. Am Ende kam es zu Fremdunterbringungen – in manchen Fällen sogar wegen „zu enger“ oder „symbiontischer“ Beziehungen zwischen Mutter und Kind.
Die Theorie sogenannter symbiotischer Mutter-Kind-Beziehungen stehe gerade bei jüngeren Fachkräften „hoch im Kurs“, erklärte Hammer. Dies hätten ihm sechs Gesprächspartner aus Jugendämtern selbst anvertraut.
Überdurchschnittlich viele Inobhutnahmen bei Familien mit Migrationshintergrund
Auch die türkische Regierung hatte 2020 gegen das Gebaren deutscher Jugendämter protestiert. Anlass war eine Maßnahme gegen eine Familie in Dormagen, die zu einer Demonstration geführt hatte. Am Ende erkämpfte der Anwalt und Bürgerrechtler Fatih Zingal die Rückkehr ihrer beiden Kinder. Ein Gericht hielt den Vorwurf einer angeblichen Kindesmisshandlung offenbar für nicht tragfähig.
Bereits im Jahr 2012, also vor der Flüchtlingskrise, berichtete das „Deutsch-Türkische Journal“, jedes vierte betroffene Kind einer Inobhutnahme sei eines ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Dazu kommen noch deutsche Staatsangehörige mit sogenanntem Migrationshintergrund. Diese Zahl würde die Einschätzung stützen, dass Einwandererfamilien in überdurchschnittlichem Maße von Inobhutnahmen betroffen seien.
Ohne die Fälle unbegleiteter Einreise waren es 2022 insgesamt 16.922 Inobhutnahmen, die Kinder mit Migrationshintergrund betrafen. In 20.958 Fällen waren Kinder aus Familien ohne Migrationsgeschichte betroffen. Damit betrafen etwa 44,7 Prozent der Inobhutnahmen Einwandererfamilien – während der Anteil der Minderjährigen mit Migrationshintergrund 2019 insgesamt nur 39 Prozent betrug.
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