Die SPD und das Unwort: Was tun mit Hartz IV?
Wenn in dieser Zeit, wo so wenig sicher scheint, auf eines noch Verlass ist, dann auf die SPD. Und zwar auf das ständig wiederkehrende Gespenst mit dem Namen Hartz IV.
Kurz nach dem Start der großen Koalition gab es dazu im März eine hitzige Debatte – und nun, die SPD ist auf 14 Prozent abgestürzt, ist das Thema wieder da.
Einige in der Partei halten „Erneuerung“ für das Unwort des Jahres bei der SPD. Das Unwort des Jahrzehnts heißt wohl Hartz IV. Bis heute leiden die Sozialdemokraten an der Reform, die die Kanzlerschaft von Gerhard Schröder prägte – so wie das Flüchtlingsthema Angela Merkels Kanzlerschaft heute droht, zum „Hartz IV der CDU“ zu werden.
Ist das Hartz-IV-System noch zeitgemäß? Oder mitverantwortlich dafür, dass viele Bürger sich abgehängt fühlen und sich der AfD und anderen Alternativen zuwenden? Vizekanzler Olaf Scholz hatte Ende März bei der letzten Debatte klar gesagt: Am Hartz-IV-Prinzip des Forderns und Förderns werde nicht gerüttelt. Auslöser der damaligen Debatte war Berlins Regierungschef Michael Müller, der als Hartz-Alternative ein „solidarisches Grundeinkommen“ von 1200 Euro für alle will, die zu gemeinnütziger, sozialversicherungspflichtiger Arbeit bereit sind.
Nun schweigt Scholz. Während die SPD-Bewegung wächst, programmatisch nach links abzubiegen, und Hartz IV abzuschaffen. Interessant ist, dass der Höhenflug der Grünen – 23 Prozent in einer ARD-Umfrage, nur noch knapp hinter CDU/CSU (26) – mit einem Mitte-Kurs geschieht.
Werden die Grünen zur neuen Volkspartei? Schröders Mantra – das Scholz sofort unterschreiben würde -, lautete stets: „Wahlen werden in der Mitte gewonnen.“ Während die CDU im offenen Kandidatenrennen um die Nachfolge Merkels einen Frühling erlebt, wird bei der SPD über Andrea Nahles, die ihren Vorsitz einer Absprache im kleinen Kreis verdankt, und Scholz zunehmend kritisch gesprochen. Ein etwas böser Spitzname lautet: „Pippi Langstrumpf und der Mann von der Hamburg-Mannheimer“.
Aber Personen sind das eine, die SPD versteht sich immer schon mehr als Programm- statt als Machtpartei wie die Union. Unbestritten ist, dass die von der rot-grünen Koalition vor rund 15 Jahren angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen auf den Weg gebrachte Agenda 2010 mitverantwortlich ist für die heute weit bessere Konjunkturlage.
Die Vorschläge basierten auf den Ideen einer Kommission unter Leitung des früheren VW-Managers Peter Hartz. Es ging um mehr Flexibilität – aber auch eine Ausweitung des Niedriglohnsektors und von Leiharbeit. Viele Menschen wurden zu Verlierern, fühlen ihre Arbeit nicht genug wertgeschätzt. Und um Geld zu sparen, wurden Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt, im Volksmund „Hartz IV“. Wer lange gearbeitet und eingezahlt hatte, konnte nun schnell tief fallen.
Nahles wirkte fast euphorisch nach dem jüngsten Debattencamp, das Aufbruch bringen soll. „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“, rief sie dort in den Saal. Ähnlich gut war die Stimmung schon 2016 beim Zukunftskongress, 2015 gab es ein Kampagnencamp, 2014 Themenlabore. Es gibt wohl kaum eine Partei, die so intensiv nach den Themen der Zukunft sucht. Und dabei oft wieder in der Vergangenheit landet.
In 8839 Zeichen schreibt Nahles nun in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ über „eine große Sozialstaatsreform – und was nach Hartz IV kommen muss“. Doch die Antwort, was kommen muss, ist bisher noch unklar. „Wir müssen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“, schreibt sie – und mit höheren Mindestlöhnen, Steuerrabatten und Zuschüssen zu den Sozialabgaben dafür sorgen, dass mehr netto bleibt.
Gerade die zwei Millionen Kinder auf Hartz-IV-Niveau sind ihr ein Anliegen – sie sollen eine eigene Kindergrundsicherung bekommen. Und für den Rest – derzeit bekommen rund sechs Millionen Menschen Hartz-IV-Leistungen (Regelsatz: 416 Euro im Monat) – will sie eine auskömmliche Leistung und weniger Sanktionsdrohungen. Sie sagt: „Es sind oft gar nicht die Leistungen, die für Verdruss sorgen, sondern die erfahrenen Demütigungen und Stigmatisierungen.“ Nahles will auch mehr Wohngeld, um zu verhindern, „dass Menschen angesichts explodierender Mieten in die Grundsicherung getrieben werden“.
Selbst aus Schröders Umfeld heißt es nun: „Das ist nicht alles in Stein gemeißelt.“ Aber Sorge bereitet vor allem das zum Teil plan- und kopflose Agieren. Nahles schlägt als Begriff für das neue System vor: „Die neue Grundsicherung muss ein Bürgergeld sein.“
Doch den Begriff „Bürgergeld“ hat schon die FDP für ihr Konzept geprägt. Und das zielt auf deutlich weniger Sozialleistungen ab. Dabei sollen steuerfinanzierte Sozialleistungen in einer Komplettleistung und an einer staatlichen Stelle gebündelt werden.
Es ist das Dilemma der SPD – kann am Ende immer mehr Geld die Lösung sein? Bisher nutzt ihr das Verteilen, auch beim Thema Rente, in der Wählergunst wenig. Und der Sozialstaat ist schon längst – auch wegen des demografischen Wandels – an der Grenze. Die Krisensignale verdichten sich.
Nahles‘ Ausführungen sind auch eine schnelle Antwort auf Grünen-Chef Robert Habeck, dessen zuvor vorgelegtes Konzept aber noch teurer sein dürfte. Er will eine feste „Garantiesicherung“ – die Menschen sollen nicht mehr gezwungen werden, Termine im Jobcenter zu machen oder Arbeit zu suchen. DGB-Chef Reiner Hoffmann nennt das eine „Stilllegungsprämie“.
Der sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Pascal Kober, meint: „Ein Überbietungswettbewerb, wer am Ende noch mehr umverteilen wird, ist falsch und löst nicht die Probleme unseres Sozialstaates.“
Gerade durch die Digitalisierung und Maschinisierung vieler Prozesse könnten künftig Millionen Jobs gefährdet sein. Daher ist das Ganze natürlich schon auch eine Zukunftsdebatte – Richtung Agenda 2020 oder Sozialstaat 2025, wie Nahles es nennt. Das Problem der SPD war bisher oft, dass die Debatten verpuffen – und die Bürger enttäuscht sind, dass im Grunde alles beim Alten bleibt. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagt klar, dass in der großen Koalition hier nichts passieren wird: „Wir dürfen und werden Hartz IV nicht abschaffen.“ (dpa)
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