Die Innenstadt in Corona-Krise: Leerstand zieht Leerstand an

"Wenn eine Innenstadt über 20 Prozent Leerstand hat, dann schafft sie es meistens nicht mehr aus eigener Kraft, diesen Leerstand zu beseitigen", sagte Müller-Schleipen der AFP. Leerstand ziehe dann Leerstand an – und Quoten von "deutlich über 20 Prozent" seien mittlerweile fast schon normal.
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Nachts im Stadtzentrum.Foto: iStock
Epoch Times26. Juli 2021

Nochmal schnell in die Stadt, ein paar Besorgungen machen – der Einzelhandel war lange Zeit das Herz der deutschen Innenstadt. Doch Digitalisierung, ein verändertes Kaufverhalten der Kunden und zuletzt die Coronakrise machten den Händlern in Deutschlands Fußgängerzonen schwer zu schaffen. Als Stefan Müller-Schleipen vor einem guten Jahr die Plattform „Stadtretter“ ins Leben rief, war die Nachfrage entsprechend groß: Innerhalb einer Woche meldeten sich rund hundert Städte und Gemeinden, um sich zu vernetzen und voneinander zu lernen.

„Wenn eine Innenstadt über 20 Prozent Leerstand hat, dann schafft sie es meistens nicht mehr aus eigener Kraft, diesen Leerstand zu beseitigen“, sagte Müller-Schleipen der AFP. Leerstand ziehe dann Leerstand an – und Quoten von „deutlich über 20 Prozent“ seien mittlerweile fast schon normal.

Problematisch sei das, weil mit den Innenstädten die „Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens verloren gehen“. Den Trend zu mehr Leerstand habe es allerdings bereits vor Corona gegeben: Hohe Mietpreise führten dazu, dass mittelständische Unternehmen sich kein Geschäft in der Innenstadt mehr leisten konnten.

Großkonzerne wie H&M, Zara und Kik zogen ein, die Folge: eine „Uniformierung“ der Innenstädte. „Ob ich in Frankfurt über die Zeil, in Düsseldorf über die Kö oder in Hannover über die Georgstraße laufe, ist Wurst“, sagte Müller-Schleipen. Die immer gleichen Filialen bildeten den gesellschaftlichen Trend hin zu mehr Regionalität und Nachhaltigkeit schlicht nicht mehr ab.

Reink: Mittelgroße Städte in der Nähe von Metropolen von Leerstand betroffen

Auch Michael Reink, Bereichsleiter für Standort- und Verkehrspolitik beim Handelsverband Deutschland (HDE), sieht eine klare Tendenz hin zu mehr Leerstand. Leerstandsquoten müssten allerdings mit Vorsicht genossen werden, warnte er – denn eine klare Definition von Leerstand gebe es nicht.

Einzelne Trends ließen sich dennoch erkennen: Besonders betroffen vom Leerstand sind laut Reink mittelgroße Städte in der Nähe von Metropolen. Denn: Haben sich Kunden einmal für den Einkauf vor Ort entschieden, so seien sie zunehmend dazu bereit, eine längere Strecke in die nächstgelegene Großstadt zurückzulegen, um dann aus einem größeren Sortiment wählen zu können. „Die Mittelstädte können aller Voraussicht nach das Einkaufsversprechen, das sie Jahrzehnte lang halten konnten, in Zukunft immer weniger erfüllen“, sagte Reink.

Nötig sind also alternative Konzepte zur Nutzung der freiwerdenden Flächen – darin liegt auch eine Chance, findet die Innenstadt-Expertin Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). „Man hätte ja eine Gelegenheit, sich zu überlegen, welche Innenstadt braucht es eigentlich?“, sagte sie der AFP. Das Leitbild dabei sei „Multifunktionalität“ – gemeint sind damit nicht nur unterschiedliche Geschäfte, sondern auch andere Bereiche wie Verwaltung, Kultur, Bildung und öffentlicher Raum.

Fraglich sei jedoch, ob wirklich alle beteiligten Akteure an einem Strang ziehen, sagte Pätzold weiter. Viel zu stark sei noch immer die Vorstellung, dass alles „schon irgendwie weitergehen“ werde. Künftig bräuchte es jedoch Innenstädte, die von mehr gesellschaftlichen Akteuren geschultert werden – die Innenstadt sei ein „Gemeinschaftswerk“, sagte Pätzold.

Reink: Gemeinsames Konzept und bessere Koordination unabdingbar

Ein gemeinsames Konzept und bessere Koordination hält auch der HDE-Experte Reink für unabdingbar. Eine Umfrage unter den zehn bedeutendsten kommunalen Beratungsbüros habe ergeben, dass vorliegende Stadtentwicklungskonzepte im Schnitt acht bis neun Jahre alt seien. „Diese Konzepte agieren mit Zahlen und mit Annahmen, die mit der zukünftigen Stadtentwicklung überhaupt nichts zu tun haben“, sagte Reink.

Eine wichtige Ressource bei der künftigen Stadtplanung seien die Bürger der Städte selbst, sagte Stadtretter-Geschäftsführer Müller-Schleipen. In seiner Arbeit mit den rund 800 Städten und Gemeinden, die sich über die Stadtretter-Plattform organisiert haben, merke er immer wieder, dass „der größte Veränderungswille in einer Stadt, die größte Expertise“ nicht in externen Experten stecke. „Sondern der steckt in den Bürgern einer Stadt – und wichtig ist, die schweigende Mehrheit dieser Bürgerschaft zu motivieren“. (afp)



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