„Corona-Kumpel“ nicht vom Tisch: Experten warnen vor Merkels Ein-Freund-Vorstoß
Im August letzten Jahres veröffentlichte die „Brigitte“ einen Bericht über Pädagogen in westlichen Ländern, die es als „faszinierendes soziales Experiment“ betrachteten, Kindern zu untersagen, einen einzigen „besten Freund“ zu haben. Dies, so hieß es zur Begründung, würde die Fähigkeit eines Kindes beschränken, die Welt zu erkunden und laufe der Gleichstellung zuwider. Mittlerweile hat sich die Situation angesichts der Corona-Krise geändert. Auf Initiative von Bundeskanzlerin Angela Merkel könnte der exklusive Kontakt zu einem „besten Freund“ bald zur Pflicht werden.
Merkel könnte das Thema am 25. November erneut ansprechen
Wie der „Münchner Merkur“ berichtete, soll Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch (18.11.) persönlich im Rahmen der jüngsten Gesprächsrunde mit den Ministerpräsidenten der Länder das Thema noch strikterer Kontaktbeschränkungen für Kinder und Jugendliche angesprochen haben. So sollte diesen außerhalb der Schule nur noch erlaubt sein, einen bestimmten Freund oder eine bestimmte Freundin zu treffen.
Einen Konsens über eine solche Maßnahme konnten die Akteure nicht herstellen. Dennoch könnte sie jederzeit wieder auf die Tagesordnung kommen, insbesondere gegen Ende des Monats, wenn die Entscheidung darüber ansteht, ob der derzeitige bundeseinheitliche Lockdown verlängert oder verschärft werden soll. Dass die Zahl der positiv auf SARS-CoV-2 Getesteten pro Tag nach einer kurzen Phase des Rückgangs am Mittwoch wieder auf über 20.000 gestiegen ist, dürfte Wasser auf die Mühlen der Befürworter eines verlängerten Lockdowns bis Jahresende darstellen.
Haseloff: „Nicht mit der Lebensrealität vereinbar“
Ursprünglich war in einer ersten Beschlussvorlage des Kanzleramts die Rede davon, dass Kinder und Jugendliche dazu angehalten werden sollten, sich „nur noch mit einem festen Freund oder einer festen Freundin in der Freizeit zu treffen“. In der Endfassung hieß es, Bürger sollen „private Zusammenkünfte (…) auf einen festen Haushalt beschränken“, das schließe auch Kinder und Jugendliche in den Familien mit ein. Vom Tisch ist die explizite Verankerung der ursprünglich angestrebten Fassung aber noch nicht. Am 25. November wollen Bund und Länder über das weitere Vorgehen beraten.
Der Gegenwind, der den Befürwortern einer so weitreichenden Kontaktbeschränkung für Kinder und Jugendliche entgegenschlägt, ist stark. Er kommt unter anderem aus der Politik selbst, wo etwa Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff gegenüber der „Bild“ erklärte, er habe „fünf Enkel und weiß, dass das nicht funktioniert“ – und dass er eine solche Regelung verhindern würde. Auch in Bayern wenden sich die Freien Wähler gegen eine „lebensfremde“ Vorschrift dieser Art, ebenso wie Regierungspolitiker mehrerer anderer Länder.
Potenziell traumatisierend, von niemandem als Freund ausgewählt zu werden
Aber auch die Fachwelt ist von der Idee wenig angetan. Kontaktbeschränkungen träfen jüngere Menschen härter als ältere, meint etwa die Diplom-Psychologin Ulrike Scheuermann gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Besonders bei Jugendlichen könnten solche Einschnitte zum Problem werden, erklärt sie weiter. Denn gerade Freunde seien in diesem Alter für die Identitätsentwicklung von zentraler Bedeutung.
Auch Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort spricht gegenüber der „Zeit“ von einem „unverhältnismäßigen“ Vorschlag und gibt zu bedenken, dass es für Kinder und Jugendliche mit einem erheblichen psychischen Stress verbunden sein könnte, einen „Corona-Kumpel“ auswählen zu müssen. Festlegen zu müssen, zu wem man temporär den Kontakt abbreche, gehe „völlig an dem vorbei, was sie in ihrer Entwicklungsphase verkraften können“. Zudem blieben Kinder übrig, die „keiner als einzigen Freund ausgewählt hat“, was potenziell eine traumatisierende Erfahrung sein könnte.
Giffey: Vorschrift zu Corona-Kumpel würde nur in der Freizeit gelten
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey versucht gegenüber dem „Tagesspiegel“ hingegen, die Maßnahme zu entdramatisieren. Sie erklärt: „Wenn, dann ginge es ja nur um die Freizeit und die Kinder hätten trotzdem weiterhin Kontakte in Kita und Schule – oft sind das die wichtigsten Freundinnen und Freunde.“
Kritik an dem Vorstoß kam, wie der „Merkur“ schreibt, auch aus Verbänden wie dem Deutschen Kinderschutzbund oder der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die das Ansinnen mit „Sorge“ betrachten.
(Mit Material der dpa)
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