Corona: Einkaufen macht keinen Spaß mehr, Innenstädte sterben aus

Einkaufen bekomme wieder „den Charakter einer eher unangenehmen Notwendigkeit“, der Unterhaltungs- und Spaßfaktor nehme ab, erklärt ein Bonner Stadtplaner. Auch Christoph Werner, CEO der Drogeriekette dm, meint: „Die Karlsruher Kaiserstraße wird auf Dauer anders aussehen. Davon bin ich überzeugt.“
Von 15. Juli 2020

In den Augen von Christoph Werner, CEO der Drogeriekette dm, hat sich der Einzelhandel im Juli noch längst nicht erholt. Die Besucherfrequenzen in dm-Märkten im Innenstadtbereich, in Fußgängerzonen und an Bahnhöfen sind weiterhin schwach.

Im Interview mit Dirk Neubauer sieht er bei einigen Warenbereichen, die mit Putzen und Reinigen zu tun haben, einen großen Schub. Während des Klopapier-Hamsterns gingen die Umsätze zunächst steil hoch, um dann extrem zu fallen.

Der Einkauf, der ja viel von Inspiration lebt, ist maßgeblich beeinträchtigt worden. Wir verkaufen zum Beispiel weniger Lippenstifte, Rouge und andere dekorative Kosmetik.“

Für Werner ist deutlich, dass sich die Innenstädte dauerhaft verändern werden. Die Politik habe es vor Corona ermöglicht, dass „viele ‚Lebensmittler‘ in die Vorstädte und auf die grüne Wiese gezogen sind. Das Parken in den Innenstädten wird immer teurer, auch hier in Karlsruhe. Jetzt kommt hinzu, dass die Menschen durch die Pflicht zum Mund-Nase-Schutz das Einkaufen so kurz wie nur möglich halten wollen.“

So sei es kein Wunder, wenn Kunden ins Internet abwandern oder „in die Vorstädte“ gingen. Werner fügt hinzu: „Die Karlsruher Kaiserstraße wird auf Dauer anders aussehen. Davon bin ich überzeugt.“

Dr. Winterhager: „19-mal Stadt und Covid-19“

Dr. Robert Winterhager, Projektentwickler, Stadtplaner und Architekt in Bonn, veröffentlichte Anfang Juli unter dem Titel „19-mal Stadt und Covid-19“ 19 Denkanstöße für Planer, Architekten, Stadtmacher und alle Interessierten. Auch für ihn wandelt sich der Einzelhandel massiv. Der stationäre Einzelhandel verliere, E-Commerce gewinne:

Generell tritt der Unterhaltungs- und Spaßfaktor beim Shoppen zurück, der Einkauf bekommt wieder den Charakter einer eher unangenehmen Notwendigkeit, die man so schnell wie möglich oder eben online erledigt.“

Der Lebensmitteleinzelhandel spüre in Supermärkten und Discounter die Krise etwas weniger. Doch er vermutet, dass der Ladenleerstand zunehme. Gleichzeitig verlagere sich einiges wieder auf traditionelle Freiluft-Märkte.

Hotel- und Gaststätten müssten mit erheblich geringerer Gästedichte leben (lernen): „Die Bewirtungspreise müssten eigentlich steigen, die Löhne stagnieren und Lokalmieten ermäßigt werden, um ein Überleben zu sichern.“ Winterhager fielen dabei die Gourmet-Restaurants auf, die sich als recht krisenfest erwiesen. Vielleicht gelte dort, so meint er: „Wer morgen schon tot sein könnte, will vorher wenigstens noch einmal gut essen.“

Das Wohnen lässt sich nicht im digitalen Raum erledigen

Großraumbüros könnten hingegen in der Arbeitswelt künftig eine eher aussterbende Gattung darstellen. Co-Working oder sogar eine Umwandlung von Büro- in Wohnflächen erscheinen denkbar.

Der Arbeitsmarkt einer Metropole, so beobachtete Dr. Winterhager, zerfalle mit Corona „in viele kleinere Teilarbeitsmärkte“ aufgrund der möglichst vermiedenen Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. Der Weg zur Arbeit wurde beschwerlicher.

Wohnen lasse sich hingegen nicht virtualisieren wie Büroarbeit, Wohnungen würden weiterhin gebraucht. Dabei übernehme derzeit „das große Abwarten“ die Regie. Es werde weniger umgezogen, die Mieten blieben auf hohem Niveau.

Gleichzeitig verändere sich die Art, wie Menschen ihre Stadt nutzen: „Viele Aktivitäten mit direktem Mensch-zu-Mensch-Kontakt verlagern sich aus geschlossenen Räumen in den Außenraum.“ Schulen unterrichten in Parks, Teambesprechungen finden auf der Wiese hinter dem Büro statt, Treppen werden neue Treffpunkte.

Städte gegen Pandemien absichern?

Im Lockdown-Modus von Corona könnten ländliche Räume „durchaus eine gewisse Renaissance“ durchmachen, stellten auch Doris Kleilein und Friederike Meyer in der „taz“ fest. „Die Arbeit im Home-Office macht das Leben überall möglich, wo es Netzanschluss gibt, und viele Kommunen würden sich über Zuzug und mehr Steuereinnahmen freuen. Man könnte Dorfkerne wiederbeleben, Schulen, Kindergärten, Läden und die soziale Versorgung erhalten.“

In eng bebauten Gebieten, Hochhauswüsten und Favelas ist es hingegen nahezu unmöglich, Hygieneregeln einzuhalten oder sich im Krankheitsfall zu isolieren. Ihrer Ansicht nach muss sich die Gesellschaft auf „wechselnde Routinen“ einstellen: Mal findet Schule statt, mal nicht, mal nur in Schichten. Konzerte und Sport findet im Internet statt, Unternehmen behelfen sich mit Home-Office oder A- und B-Wochen. Sie fragen sich: „Wie plant man Städte für den On-off-Modus?“

Hinzu kommt: „Niemand kann Städte gegen Pandemien absichern oder gar ‚pandemietauglich‘ bauen“ ebensowenig wie Poller und Betonblöcke eine Stadt gegen Terroranschläge absichern können.

Traditionelle europäische Städte

Traditionell entstanden europäische Städte um einen Repräsentativbau herum, einen Dom, eine Burg oder ein Schloss. Die klassische Altstadt war das deutliche Zentrum der Stadt, geprägt durch enge Straßenführung für Fußgänger und Lastkarren, Gewerbe und Wohnen sowie Repräsentativbauten weltlicher und geistlicher Macht.

Später siedelten sich außerhalb der Stadtmauern Produktion, Industrie und Wohnzentren an. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es um eine Verdichtung der Städte, autogerechte Bebauung, Plattenbauten und um Eigenheime in den Vorstädten.

Seit einigen Jahren zeigt sich der Trend, dass mittelständige Familien zunehmend aus den engen Innenstädten auswandern „Speckgürtel“ entstehen.

Nicht nur in Deutschland steigt in den Innenstädten anschließend der Anteil von A-Gruppen: den Alten, Armen, Auszubildenden, Arbeitslosen, Ausländern, Asylbewerbern und Ausgegrenzten. Stadtentwicklungspolitik versucht, dem entgegenzuwirken und demographische, ethnische und soziale Segregation zu vermindern.

Ghettobildung, Gentrifizierung und das Aussterben der Innenstädte für den Handel sind typische Probleme heutiger Städte.

 



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