„Reitschuster“-Anfrage
„Punktuell“: Rechte und linke Extremisten besuchen Corona- und Gegenproteste
Immer mehr Menschen in Deutschland protestieren gegen die Corona-Maßnahmen. Was sagen die Sicherheitsbehörden?

Montagabendspaziergang gegen die Impfpflicht und die Corona-Maßnahmen am 10. Januar 2022 in Bonn.
Foto: Andreas Rentz/Getty Images
Gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ warnte Bayerns Innenminister Joachim Hermann in seiner neuen Funktion als Vorsitzender der Innenministerkonferenz (IMK) angesichts der Corona-Proteste in Deutschland nicht alle Menschen, die gegen Maßnahmen demonstrieren, automatisch als Extremisten oder Verfassungsfeinde abzustempeln.
Politisch gesehen sei die Zusammensetzung der Demonstranten „heterogen“ und „kunterbunt“ von Leuten, die sonst Grüne wählen, FDP oder eben auch AfD – „vermischt mit Esoterikern und Verschwörungstheoretikern“. Hermann verwies jedoch auch auf „Rechtsextremisten unter den Teilnehmern“, was aber von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden sei. Diese müsse der Staat im Auge behalten.
Protest und Gegenprotest im Blick des Verfassungsschutzes
Eine Anfrage von Journalist Boris Reitschuster bei mehreren Sicherheitsbehörden zu dem Thema ergab: In Bayern seien bei bis zu 10 Prozent der Proteste extremistische Personen beteiligt, in der Regel mit einstelliger bis niedriger zweistelliger Personenzahl.
Diese würden auch vom Verfassungsschutz beobachtet. Dabei handele es sich neben „rechtsextremistischen Einzelpersonen und Personen, die rechtsextremistischen Gruppierungen oder Parteien (z. B. der neonazistischen Kleinstpartei Der Dritte Weg (III. Weg)) zugerechnet werden können“, auch um Einzelpersonen der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ usw.
Dem Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz sind aber auch andere Personengruppen aufgefallen. So beschränke sich die Teilnahme von Linksextremisten an Gegendemonstrationen in Bayern bislang auf „gemeinsame Proteste mit demokratischen Bündnissen“. Es sei eine „generelle Taktik von Linksextremisten, gesellschaftlich virulente Themen und daraus resultierenden Protest aufzugreifen und in die eigenen ideologischen Forderungen mit einzuflechten“.
Da die Proteste sogenannter Coronakritiker von der linksextremistischen Szene tendenziell als rechts verortet würden, nutzten Linksextremisten auch in diesem Zusammenhang die Gegenveranstaltungen bürgerlich-demokratischer Bündnisse und Akteure als Gelegenheit, um dort Präsenz zu zeigen, erklärte der Verfassungsschutz Bayerns.
In Niedersachsen zeigten sich laut Innenministerium „zunehmend rechtsextremistische Einzelpersonen und Kleingruppen auf Demonstrationen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie“. Den Rechtsextremisten gelinge es allerdings bislang nicht, diese Demonstrationen zu prägen. Insgesamt sei aber eine Vernetzung zwischen Rechtsextremisten, Reichsbürgern und den sogenannten Corona-Leugnern festzustellen.
Die Teilnahme von Linksextremisten in Niedersachsen wird ähnlich hoch angegeben wie die der Rechtsextremisten in Bayern: „punktuell“ und „grundsätzlich im einstelligen bzw. niedrigen zweistelligen Bereich“.
Das Innenministerium zählte im Jahr 2021 im Zusammenhang mit Corona-Protesten vier extremistische Straftaten: drei rechtsmotivierte Volksverhetzungen gem. §130 StGB und eine linksmotivierte Körperverletzung/Gefährliche Körperverletzung gem. §§ 223/224 StGB.
Das angefragte Bundesinnenministerium verwies in seiner Antwort auf die Zuständigkeit der Länder und gab keine allgemeine Einschätzung ab.
Steinmeier brandmarkt „Spaziergänger“
Allgemein äußerte sich aber am 24. Januar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) bei einer Gesprächsrunde zu „Hass und Gewalt in Zeiten der Pandemie“ im Schloss Bellevue.
„Das Wort Spaziergang hat in den vergangenen Monaten seine Unschuld verloren“, sagte Steinmeier. „Hygiene-Regeln und Corona-Auflagen werden bewusst umgangen“, so der Sozialdemokrat. Steinmeier warf jedoch auch friedliche Demonstranten mit in Nacht und Nebel operierenden Kriminellen in einen Topf: Es seien Arztpraxen und Impfbusse auf Marktplätzen attackiert worden und die Wohnhäuser von Politikern belagert worden. Insbesondere seien Lokalpolitiker betroffen. Auch seien Polizeikräfte gezielt verletzt worden. Dann sprach Steinmeier noch davon, dass „Fackelträgern und Morddrohungen“ Schlagzeilen machten.
Diesen Spannungsbogen zog der SPD-Spitzenpolitiker noch weiter und erinnerte „mit Sorge und Entsetzen an die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke“ – begangen 2019 von einem Neonazi. Er erinnerte auch an die lebensgefährliche Messerattacke auf Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker 2015. Auch hier war der Täter ein Neonazi. Beide Taten geschahen vor der Pandemie. Sie standen im Zusammenhang mit der Migrationskrise. (sm)
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