Chefredakteur der Budapester Zeitung: In Ungarn protestiert die Opposition, nicht die Bevölkerung
Die seit Tagen andauernden Proteste in Ungarn wegen einer Modifizierung des Arbeitsgesetzes gegen die Politik der Regierung von Viktor Orbán zeichnen ein Bild der unzufriedenen ungarischen Bevölkerung und erinnern an die Proteste der Gelbwesten in Frankreich.
Auch Orbans Vorhaben, regierungsnahe Medien unter dem Dachverband der „Zentralen Europäischen Presse- und Medienstiftung“ zu bündeln, wird, wie der „mdr“ berichtet, als Versuch der Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit gewertet und der Verschlechterung der Lage des Landes.
Das Politmagazin „Cicero“ sprach mit Jan Mainka, dem Chefredakteur der deutschsprachigen Budapester Zeitung über die Proteste in Ungarn und die Lage der aktuellen Medienlandschaft.
Laut Mainka sind die Poteste in Ungarn nicht mit den Protesten der Gelbwesten in Frankreich zu vergleichen. Die Proteste der Gelbwesten hätten tiefere Wurzeln und würden die Bevölkerung auf die Straße bringen. Bei den Protesten in Ungarn handelt es sich hauptsächlich um Studenten und Anhänger der Oppositionsparteien.
Die Opposition würde seiner Ansicht nach kräftig übertreiben. Die Proteste seien am Anfang heftig gewesen, würden aber immer stärker nachlassen. Auslöser für die Protestwelle war eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes, in dem unter anderem die erlaubte Überstundenzahl pro Jahr von 250 auf 400 angehoben wurde.
Mainka sieht keinerlei Gefahren für die normalen Arbeitnehmer in Ungarn. Er könne sich nicht vorstellen, dass die Unternehmen das Potenzial der neuen gesetzlichen Möglichkeiten voll ausschöpfen.
Wegen der Vollbeschäftigung sei der Wettbewerb um Arbeitskräfte groß und viele „Unternehmer würden sich schon sehr genau überlegen, ob sie ihre Arbeitsplätze wirklich unattraktiver machen wollen“.
Eine mögliche Erklärung für die Neuregelung sei, dass die Änderung vor allem die immer zahlreicheren Ukrainer im Fokus habe, die in Ungarn arbeiten und ihren Familien in ihrer Heimat Geld senden. Diese würden laut Mainka „nach Ungarn kommen, um viel zu arbeiten und seien andere Sozialstandards gewöhnt.“
Proteste „ein neues politisches Moment“
Der Chefredakteur sieht in den Protesten dennoch „ein neues politisches Moment in der ungarischen Politik“. „Es gibt viele kleine Oppositionsparteien, die teilweise von Egomanen geführt werden“, so Mainka. Zum ersten Mal würden Angehörige der rechten und linken Oppositionsparteien gemeinsam auf die Straße gehen.
Da das ungarische Wahlrecht stärkere Parteien begünstigt, könnte eine geschlossene Opposition erstmals zu einer ernstzunehmenden Gefahr für Orbán werden und Auswirkungen auf die Kommunalwahlen und Europawahlen im kommenden Jahr haben, vermutet der Chefredakteur.
Die neu entdeckte Einheit der Opposition habe aber auch mit dem Vorfall am vergangenen Sonntag zu tun. Sicherheitsleute hatten verhindert, dass oppositionelle Demonstranten ihre Forderungen im Fernsehen kundtaten, sodass sich die Situation vor Ort gewaltig zuspitzte.
Dies habe „den Zorn der Regierungsgegner gewaltig angestachelt“. Der Zorn – gepaart mit der neuen Einheit gegen Orbán – könnte interessant werden, so Mainka. Die „gedemütigte Opposition“ habe schon jetzt landesweite Streiks im neuen Jahr angekündigt.
Drohungen gegen unsere Zeitung gab es nur aus Deutschland
Die Vorwürfe wegen Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit kann der Chefredakteur nicht bestätigen. „Die Medienlandschaft ist hier offen und frei“, so Mainka. Die einzige Drohung, die seine Zeitung je bekommen hatte, kam von deutscher Seite, als seine Zeitung über die Flüchtlingskrise berichtet hatte.
„Da gab es plötzlich Reaktionen von deutscher Seite, verbunden mit der deutlichen Drohung mit materiellen Konsequenzen, wenn wir einige Aspekte der deutschen Außen- und Flüchtlingspolitik weiterhin in der bisherigen Weise kritisieren würden“, so Mainka.
So etwas sei ihm „von Seiten des ungarischen Staates noch nicht einmal andeutungsweise passiert“. In Ungarn gebe es so gut wie keine politische Gewalt. „Kein Oppositionspolitiker muss in Ungarn Angst haben, dass ihm sein Auto demoliert oder die Hauswand seiner Wohnung beschmiert wird“, so der Chefredakteur weiter.
Es würde auch kein Gastwirt bedroht, weil er in seinen Räumlichkeiten Vertreter einer Oppositionspartei zusammenkommen. In Deutschland sehe das inzwischen nach seinen Beobachtungen leider etwas anders aus.
Die größte oppositionelle Zeitung Népszava sei auch nicht geschlossen worden, um sie mundtot zu machen, wie das von der Süddeutschen Zeitung berichtet wurde. Die Wahrheit sei vielmehr, dass die meisten linken Zeitungen finanzielle Probleme hätten.
Die Népszava sei zu ca. 50 Prozent von staatlichen Anzeigen finanziert worden. Dennoch habe sie das nicht abgehalten, die Orbán-Regierung massiv anzugreifen, so Mainka. Die ungarischen Sozialisten hätten mehrfach die Chance verstreichen lassen, die Zeitung zu kaufen und ihr Überleben sicherzustellen.
Zudem sei die Meinungsfreiheit in Ungarn lau Mainka alleine dadurch sichergestellt, dass es ausreichend regierungskritische Medien gebe. Aktuell gebe es zwei regierungskritische Fernsehkanäle, vier bis fünf große Printmedien und mit index.du das größte Online-Portal.
Lediglich das öffentlich-rechtliche Kossuth-Radio würde regelmäßig am Freitag Orbáns Redebeiträge bringen. In Deutschland sei das nicht anders, wenn Merkel in einer Talkshow auftritt, um ihre Politik zu erklären. (nh)
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