CDU zwischen „liberalerer Haltung“ und Kampf gegen „linke Zuwanderungs-Utopien“

Die CDU ringt um die künftige Migrationspolitik: Daniel Günther will Bleibeperspektiven schaffen. Innenpolitiker de Vries hingegen fordert „Stopp-Signale“.
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CDU-Logo.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 31. Dezember 2022

In der CDU spitzt sich der Streit um die künftige Positionierung der Partei in der Migrationspolitik zu. Hintergrund ist zum einen der Vorstoß der Ampel-Koalition, Einbürgerungen zu erleichtern. Die Union muss befürchten, durch eine zu rigide Position Zuspruch unter Wählern mit Migrationshintergrund einzubüßen. Zum anderen gibt es in der Union selbst zunehmenden Druck aus den Kommunen, die sich mit der Betreuung von Flüchtlingen überfordert fühlen.

Günther: CDU soll Deutschland als Zielland attraktiver machen

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther hatte jüngst in der „Welt“ geäußert:

Insgesamt steht es der Union gut zu Gesicht, wenn sie bei Zuwanderungsthemen eine liberalere Haltung einnimmt.“

Die sei entscheidend, um Deutschland als Zielland für Fachkräfte attraktiv zu halten. Das aktuelle Regelwerk zur Anwerbung und das derzeitige Staatsbürgerschaftsrecht reichten dazu nicht aus. Vor allem für Geflüchtete seien die Hürden für den Eintritt in den Arbeitsmarkt noch zu hoch, bemängelt der Ministerpräsident. Unternehmen in seinem Bundesland klagten über fehlende Bleibeperspektiven für Beschäftigte aus diesem Segment.

Günther hält deshalb „Spurwechsel“-Optionen ebenso für erforderlich wie ein moderneres Einbürgerungsrecht. Zwar solle die Einbürgerung erst „am Ende einer gelungenen Integration“ stehen und es in der Regel bei nur einer Staatsbürgerschaft bleiben. Gleichzeitig plädiert Günther aber auch dafür, „in Ausnahmefällen etwas großzügiger zu verfahren, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist“.

Kapazitäten der Kommunen erschöpft

Der Hamburger Landeschef und Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries hält nun in der gleichen Publikation dagegen. Er fordert in der Zuwanderungspolitik „Stopp-Signale“ statt neuer Anreize und will die CDU auf eine restriktive Position festnageln.

Aus der Sicht von de Vries geht die Debatte „komplett an der Wirklichkeit vorbei“. Von 300.000 ausreisepflichtigen Personen in Deutschland mussten im ersten Halbjahr 2022 demnach nur 600 tatsächlich das Land verlassen. Gleichzeitig steige die Zahl der illegalen Einreisen ins Land. Deutschland stecke, so de Vries, „mitten in einer neuen Migrationskrise“. Dies sei vor Ort zu spüren:

Die Kapazitäten in den Kommunen sind weitgehend erschöpft und die Hilferufe aus den Ländern unüberhörbar. Deshalb ist es das Gebot der Stunde, über Stopp-Signale zu sprechen und nicht über weitere Anreize für noch mehr Zuwanderung.“

CDU soll Fachkräfte-Problematik vom Asyl-Komplex trennen

De Vries räumt zwar ein, dass es einen „eklatanten Fachkräftemangel“ gebe, der „unseren Wohlstand bedroht“. Die richtigen Wege, um dem gegenzusteuern, seien jedoch ein höheres Rentenalter und der Verzicht auf das Bürgergeld. Zudem gebe es ungenutzte Potenziale in EU-Staaten. Erst als dritter Eckpfeiler komme Fachkräfte-Einwanderung in Betracht. Erforderlich sei es auch, administrative Hürden und unnötige Bürokratie zu beseitigen.

Die „Legalisierung illegaler Migration“ löse das Fachkräfteproblem jedoch nicht, so de Vries. Jene oft aus dem Irak, Afghanistan oder Nigeria stammenden Bevölkerungsgruppen, die trotz Ausreisepflicht geduldet würden, „die helfen uns zum überwiegenden Teil am Arbeitsmarkt nicht weiter“.

Auch bezüglich des Staatsbürgerschaftsrechts sieht de Vries „keinen größeren Reformbedarf“. Während bei der Fachkräfte-Zuwanderung eine „liberale Haltung“ erforderlich sei, gelte es, diese von der „Asyl-Migration und der Armuts-Zuwanderung“ zu trennen. Angesichts von hoher Inflation und drohenden Wohlstandsverlusten solle sich die CDU „deutlich von den linken Zuwanderungs-Utopien der Ampel-Koalition distanzieren“.

Fachkräftemangel im Alltag immer stärker spürbar

Die Bundesregierung bleibt unterdessen in wesentlichen Bereichen hinter ihren Zielen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels zurück. Derzeit gehen Statistiker von etwa 800.000 offenen Stellen aus, für die geeignete Bewerber fehlen.

Dieser Mangel wirkt sich unterschiedlichen Bereichen des Alltags aus. Er trägt zur angespannten Lage in den Krankenhäusern bei, ebenso wie zu verspäteten Rettungsdiensten oder verkürzten Öffnungszeiten von Bäckereien. Auch die Postzustellung leidet darunter, dass es zu wenige Fachkräfte dafür gibt.

Derzeit stellen 1,2 Millionen Schutzsuchende in Deutschland zumindest theoretisch ein Potenzial zum „Spurwechsel“ dar. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wollte zudem 400.000 Menschen mittels „Chancenkarte“ anwerben. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach davon, dass die deutsche Wohnbevölkerung in den kommenden Jahren auf 90 Millionen ansteigen könnte.

Wohnungsbau bleibt deutlich hinter den Ampel-Zielen zurück

Tatsächlich droht die Zahl der fehlenden Fachkräfte bis 2035 auf bis zu sieben Millionen anzuwachsen. Neben einer Reihe weiterer Faktoren, die Deutschland als attraktives Zielland hinter die USA, die Schweiz oder Großbritannien zurückfallen lassen, könnte auch die Wohnungspolitik dazu beitragen.

Die „Welt“ schreibt, dass die Bundesregierung das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen gar nicht erst in die Ausarbeitung ihres geplanten Zuwanderungspakets integriert habe. Dieses sei dafür verantwortlich, 400.000 neue Wohnungen in Deutschland zu errichten. Zumindest ist dieses Ziel im Koalitionsvertrag verankert.

Tatsächlich bleibe die Zahl der fertiggestellten neuen Wohneinheiten deutlich hinter dieser Zahl zurück. Schon im Jahr 2021 seien es dem Gesamtverband der Wohnungswirtschaft (GdW) zufolge nur 293.000 gewesen. Im zu Ende gehenden Jahr sei mit einem Ergebnis von 250.000 zu rechnen. Im kommenden Jahr seien es dann „vielleicht noch 200.000“.

Bürokratie, Auflagen und steigende Kreditzinsen deuteten nicht auf eine Trendwende im Wohnbau hin. Gleichzeitig liege der Anteil an leer stehenden Wohnungen insbesondere in Großstädten unter einem Prozent. In der Praxis bedeutet das: Für viele Wohnungssuchende erscheint es derzeit als illusorisch, eine Bleibe zu finden.

Deutschland erlebt drastischen Prozess der Überalterung

Das demografische Problem wird sich unterdessen in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen. Wie Lukas Steinwandter im Onlinemagazin „corrigenda“ analysiert, hat Deutschland jetzt schon die zweitälteste Bevölkerung der Welt nach Japan.

Das Medianalter liegt demnach bei 47,8, das heißt: Die Hälfte der Deutschen ist noch älter. Italien steht mit einem Medianalter von 46,5 nur wenig besser da. Auch die anderen europäischen Länder eint ein ähnlicher Problemkreis: Geburtenmangel und Überalterung. Während derzeit noch 37 Prozent der deutschen Wohnbevölkerung älter als 65 Jahre ist, wird deren Anteil in den kommenden Jahrzehnten auf fast 70 Prozent steigen. In Ostdeutschland sind es jetzt schon 48 Prozent.

Zum Vergleich: Im Jahr 1870 waren weniger als zehn Prozent der Wohnbevölkerung in den Gebieten des späteren Deutschen Reiches älter als 65.

Geburtenarme Gesellschaft begünstigt soziale Kälte

Die UNO erwartet für ganz Europa einen drastischen Bevölkerungsrückgang. In Deutschland würden demnach zum Ende des Jahrhunderts 16 Prozent weniger Menschen leben als im Jahr 2000. Dabei sei die Zuwanderung bereits einberechnet. In Ungarn erwartet sie ein Minus von 30 Prozent, in Italien von 35 und in Polen gar von 40 Prozent.

Dabei seien die Aussichten auf einen Mentalitätswechsel gering. Im Gegenteil: Ein geburtenarmes Gemeinwesen verliere an sozialen Bindungskräften, weil die Überalterung auch die biochemischen Prozesse verändere.

In seinem Buch „Die Altenrepublik“ nennt beispielsweise eine Verringerung des Oxytocin-Wertes. Das auch als „Kuschelhormon“ bekannte Oxytocin, das Frauen bei der Geburt ausschütten, sei mitverantwortlich dafür, wie wir als Gesellschaft miteinander umgingen. Bei „corrigenda“ heißt es dazu:

Es stärkt die Paarbindung, hilft Vertrauen in andere Menschen aufzubauen, reduziert Stress und Angst, macht uns empathisch. […] Eine im Oktober publizierte Studie kam zu dem Ergebnis, dass es auch eine heilende Wirkung auf das Herz haben kann. Was nun eine kollektive Verringerung dieses Hormons für den Zusammenhalt einer Gesellschaft, für ihre Humanität und zwischenmenschliche Solidarität bedeuten könnte? Wahrscheinlich nichts Gutes.“



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