Bundeswehr-General: Russlands Fähigkeiten falsch eingeschätzt
Der Leiter des Ukraine-Lagezentrums im Bundesverteidigungsministerium, Generalmajor Christian Freuding, warnt vor allzu großen Hoffnungen auf eine rasche Wende zugunsten der Ukraine im Krieg gegen Russland.
Die Erwartung, dass die Ukrainer schnell möglichst große militärische Erfolge erzielen, „war in der Rückschau sicherlich überhöht“, sagte Freuding der „Süddeutschen Zeitung“ (Freitagausgaben) mit Blick auf die kaum vorankommende Gegenoffensive der Ukraine.
Durchhaltefähigkeit, Verbündete und die russische Industrie
„Wir haben die Durchhaltefähigkeit der Russen am Anfang nicht so gesehen, wie wir sie heute beurteilen“, räumte Freuding ein, der auch den Planungs- und Führungsstab im Ministerium leitet.
„Wir haben auch nicht gesehen, dass ihnen gelingen wird, was wir jetzt klar beobachten: Dass sie ihren militärisch-industriellen Komplex hochfahren, ausbauen, Produktionskapazitäten, trotz des drakonischen Sanktionsregimes, steigern.“
Zudem habe man zu wenig gesehen, dass Russland in der Lage sei, von Verbündeten weiterhin versorgt zu werden. Sei es Nordkorea, sei es China, auch von Staaten aus dem globalen Süden. „Und wenn diese Staaten nur Kühlschrank-Beleuchtungen liefern, die dann zu militärischen Zwecken verwendet werden können“, so Freuding.
Einfrieren des Konflikts
So wie die russische Armee es tue, erwarte er, dass nun auch die ukrainische Seite zunehmend und auf mehreren Kilometern Breite ihre Verteidigungslinien mit Minenfeldern absichern werde.
Auf die Frage, ob sich dadurch nicht ohnehin eine Grenze zementiere und der Druck wachsen werde, auf der Basis den Konflikt einzufrieren, antwortete Freuding: „Dies ist denkbar, aber nicht die Option, die wir wollen und genau deshalb ist auch unsere weitere Unterstützung für die Ukraine so wichtig.“
Gleichwohl seien die russischen Verluste enorm. Westliche Dienste gingen von 300.000 getöteten russischen Soldaten oder so stark Verwundeten aus, dass sie im Krieg nicht mehr einsetzbar sind. „Wir gehen davon aus, dass sie im hohen vierstelligen Bereich Verluste an Kampfpanzern und Schützenpanzern zu verzeichnen haben.“
Gleichzeitig gelinge es Russland weiterhin, Personal zu rekrutieren. „Unter anderem durch die Heranziehung von Strafgefangenen.“ Und man sehe massive Investitionen in die Rüstungsindustrie, die mit Erhöhung und Erweiterung der Kapazität insbesondere in der Munitionsproduktion einhergingen.
Fünf bis acht Jahre für die Bundeswehr
Darauf müsse sich auch Deutschland besser einstellen: „Wir müssen davon ausgehen, dass Russland fähig sein könnte, sich in einem Zeitraum von etwa fünf bis acht Jahren wieder neu aufzustellen.“
Dieses Zeitfenster sei für die Bundeswehr handlungsleitend, „wenn wir unsere Streitkräfte glaubhaft abschreckungsfähig ausrüsten und ausbilden“.
Großen Nachholbedarf sieht er für die Bundeswehr – als eine Lehre aus dem Krieg – im Bereich Drohnen, dazu habe man eine Task Force eingerichtet.
„Das ist ein Thema, das nicht nur für mechanisierte Verbände des Heeres relevant sein wird, sondern für die ganze Breite der Streitkräfte, etwa zum Schutz von Versorgungs- und Führungseinrichtungen.“ Einsatz und Abwehr von Drohnen werde in den Streitkräften eine „Jedermann“-Aufgabe werden.
Kampfpanzer, ihre Wartung und die Front
Zugleich sagte er, dass 80 Prozent der Ukraine immer noch frei seien und das nach zwei Jahren Krieg. Und die Schwarzmeerflotte der Russen sei de facto aus dem westlichen Schwarzmeer verdrängt.
In diesem Jahr seien bereits etwa 10.000 ukrainische Soldaten in Deutschland ausgebildet worden, erläuterte Generalmajor Freuding. Allerdings soll derzeit etwa die Hälfte der von Deutschland gelieferten 18 Leopard-2-Kampfpanzer nicht einsatzfähig sein, auch wegen fehlerhafter Reparaturen.
Zudem geht viel Zeit verloren, weil sie weit entfernt in ein Wartungszentrum in Litauen transportiert werden müssen. „Ich glaube, es wäre naiv anzunehmen, dass die Ukraine in der jetzigen Situation die Panzer nach unseren Wartungs- und Instandsetzungs-Vorschriften reparieren kann, was natürlich zu einem höheren Verschleiß führt und dies wiederum zu längeren Ausfallzeiten“, sagte Freuding.
Generell gelte bei der Wartung, je näher an der Front, desto besser. Man verhandele mit der Industrie, ob es Möglichkeiten zur Instandsetzung in der Ukraine geben könne. Aber die Transportdauer habe im Vergleich zu den langen Instandsetzungszeiten „keinen signifikanten Einfluss auf die Verfügbarkeit der Waffensysteme für den Kampf“. (dts/red)
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