Bundesregierung will EU-Klage wegen Karlsruher EZB-Urteil abwenden
Die Bundesregierung will Bedenken der EU-Kommission wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) entkräften und so eine Klage abwenden.
In einem vierseitigen Schreiben an Brüssel, über welches das „Handelsblatt“ (Mittwochausgabe) berichtet, nimmt die Bundesregierung Stellung zu dem EU-Vertragsverletzungsverfahren, das Brüssel Anfang Juni gegen Deutschland eingeleitet hat. Aus Brüsseler Sicht stellt das Bundesverfassungsgericht bei seinem kritischen Urteil zur EZB-Politik aus dem Vorjahr den Vorrang von EU-Recht vor nationalem Recht infrage.
Die Bundesregierung macht in ihrem Schreiben deutlich, dass sie den Vorwurf der Vertragsverletzung für unbegründet hält. Berlin betont die grundsätzliche Europafreundlichkeit der deutschen Verfassung. „Ebenso wie die Europäischen Verträge verpflichtet daher vor diesem Hintergrund das Grundgesetz alle deutschen Verfassungsorgane ihre jeweiligen Kompetenzen europarechtsfreundlich und im Einklang mit den [EU-]Unionsverträgen auszuüben“, heißt es in dem Brief.
Als Beleg verweist die Bundesregierung auf frühere Urteile des Bundesverfassungsgerichts, welche den Vorrang des EU-Rechts bestätigt haben. [Wie zum Beispiel beim uneingeschränkten Zugang von Frauen zu kämpfenden Einheiten bei der Bundeswehr (EuGH-Urteil im Jahr 2000).]
Bundesregierung gibt eine „Versicherung“ ab
Weiter schreibt die Bundesregierung, dass Deutschland den Anwendungsvorrang des [EU-]Unionsrechts genauso anerkenne wie die dem EuGH übertragenen Rechtsprechungskompetenzen, „insbesondere die Kompetenz im Einklang mit den Verträgen das Unionsrecht verbindlich und abschließend auszulegen sowie über seine Gültigkeit zu urteilen“.
Die Bundesregierung gibt in dem Papier daher eine „Versicherung“ ab. Sie werde „entsprechend ihrer vertraglichen Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um die vollständige Beachtung und Anwendung des Unionsrechts (…) zu gewährleisten“.
BVerfG : Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Anleihekäufe nicht ausreichend begründet
Das Bundesverfassungsgericht hatte der EZB in seinem Urteil im Mai 2020 vorgeworfen, die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ihrer umstrittenen Anleihekäufe nicht ausreichend begründet zu haben. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte zuvor entschieden, die Anleihekäufe seien rechtens.
Karlsruhe entschied dagegen, dieses Urteil sei „ultra vires“ gewesen, die Angelegenheit habe also außerhalb der Kompetenz des EuGH gelegen. Um den Konflikt zu entschärfen, regt Deutschland „die Einrichtung eines strukturierten gerichtlichen Dialogs zwischen dem Europäischen Gerichtshof und den Höchst- und Verfassungsgerichten der Mitgliedstaaten“ an, „um den Austausch und ein gemeinsames Verständnis innerhalb des Europäischen Gerichtsverbundes zu fördern und zu stärken“. Neben der Intensivierung bisheriger informeller Begegnungen könnte dazu eine „Plattform europäischer Richter“ geschaffen werden.
Verhältnis zwischen EU-Recht und Grundgesetz bis heute nicht eindeutig geklärt
Laut der Bundeszentrale für politische Bildung ist das Verhältnis zwischen EU-Recht und Grundgesetz bis auf den heutigen Tag nicht eindeutig geklärt. Obwohl das EU-Recht prinzipiell Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht genieße, auch gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht, stehe es nicht „über“ dem Grundgesetz, heißt es hier. Und weiter: „Zwischen der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der EU-Gemeinschaftsrechtsordnung besteht kein Über- oder Unterordnungsverhältnis.“
Die prinzipielle Vereinbarkeit des EU-Rechts mit dem Grundgesetz sei, laut Bundeszentrale, in Art. 23 Grundgesetz („Europaartikel“) dargelegt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hätte schon früh festgestellt, dass die EU-Gemeinschaftsrechtsordnung ihrerseits „eigenständig“ sei und nicht von den Rechts- und Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten abgeleitet oder diesen gar untergeordnet sei.
Dem entspricht auch, dass die „Hüter“ beider Rechtsordnungen, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sowie der EuGH miteinander ein „Kooperationsverhältnis“ pflegen würden und keines der beiden Gerichte den Anspruch erhebe, rechtlich über dem anderen zu stehen, so die Bundeszentrale.
In der Vergangenheit hätte Karlsruhe sich, wenn es um den Schutz der Grundrechte ginge, prinzipiell vorbehalten, als letzte Instanz Recht zu sprechen und gegebenenfalls sogar EU-Recht und EuGH-Rechtsprechung ignorieren zu können, falls der EU-Grundrechtsschutz das laut Grundgesetz erforderliche Schutzniveau unterschritten hätte, heißt es hier abschließend. (dts/er)
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