
Bundesrechnungshof warnt vor EU-Corona-Fonds: Schulden- und Haftungsunion umgeht Fiskalregeln
Am 22. März wird im Haushaltsausschuss über das Ratifizierungsgesetz zum EU-Wiederaufbaufonds von über 750 Milliarden Euro beraten. Der Bundesrechnungshof warnt vor den Risiken – denn die EU-Mitgliedstaaten könnten sich mit den aktuellen Vorgaben theoretisch unbegrenzt verschulden.

Eine Außenansicht des Bundesrechnungshofes in Bonn, Deutschland.
Foto: Andreas Rentz/Getty Images
Der Wiederaufbaufonds der EU über 750 Milliarden Euro könnte nach Ansicht des Bundesrechnungshofes genau das Gegenteil von dem erreichen, was er tun soll. Er kann die EU „letztlich schwächen und die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion gefährden“, erklärt Bundesrechnungshof-Präsident Kay Scheller.
In einem 41-seitigen Sonderbericht, veröffentlicht am 11. März, beschreibt die Bonner Behörde die massiven Gefahren, die vom Wiederaufbaufonds ausgehen. Die Wirtschaftsprüfer warnen die Regierung Deutschlands, denn die Haftungsrisiken seien hoch und der Wiederaufbaufond könne zum Präzedenzfall werden.
„Er kann die Erwartung schüren, dass Kosten zukünftiger Krisen ebenfalls von der Staatengemeinschaft getragen werden. Dies verringert den Anreiz zur eigenverantwortlichen Vorsorge. Auch das wäre ein Fehlanreiz.“
Verbindlicher Tilgungsplan notwendig
Es ist unklar, „wer wann welchen Beitrag leistet“, so der Bundesrechnungshof. Die Experten weisen deutlich darauf hin, dass ein verbindlicher Tilgungsplan aufgestellt werden sollte. Vorgesehen ist, die Kredite im Zeitraum zwischen den Jahren 2028 und 2058 über den EU-Haushalt zurückzuzahlen.
Klar ist bereits: Deutschland zahlt mindestens 65 Milliarden Euro mehr ein, als es selbst an Zuschüssen bekommen wird. Hinzu kommen Haftungsrisiken in dreistelliger Milliardenhöhe.
Frankreich zahlt als zweitgrößter Nettozahler 22,7 Milliarden Euro. Die größten Nettoempfänger sind Spanien (37,6 Mrd.), Italien (32,6 Mrd.) und Griechenland (15,1 Mrd.). Darauf folgen Polen, Rumänien und Portugal im zweistelligen Milliardenbereich.
Grundlage für die Ratifizierung des EU-Wiederaufbaufonds ist das „Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz“ (hier der Gesetzentwurf als pdf), welches aktuell beraten wird. Stimmt der deutsche Gesetzgeber diesem zu, stimmt er dem EU-Haushalt sowie dem Wiederaufbaufonds und seiner Finanzierung zu – und garantiert dafür, diese Schulden zu übernehmen.
Das Gesetz ist am Montag, 22. März 2021, Gegenstand einer öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses. Die Sitzung unter Leitung von Peter Boehringer (AfD) beginnt um 13 Uhr in Berlin und dauert zwei Stunden.
Schulden- und Haftungsunion unter Umgehung der Fiskalregeln
Schulden und Haftung wurden mit dem Wiederaufbaufonds erstmals vergemeinschaftet – ein Novum in der EU. Seine Finanzierung bedeutet daher eine grundlegende Änderung der europäischen Haushalts- und Finanzarchitektur.
Bisher war es der EU als solcher nicht erlaubt, sich zu verschulden. Dieses Recht liegt (oder lag) bei den Nationalstaaten – in Deutschland beim Bundestag. Kay Scheller, Präsident des Bundesrechnungshofes weist nach:
„Der Wiederaufbaufonds eröffnet den Staaten einen Weg, sich auf EU-Ebene unter Umgehung der Fiskalregeln zu verschulden.“
Als Garantie für die Schulden dient der EU-Haushalt. Der Anteil der Haftung entspricht dem Anteil des jeweiligen Staates am EU-Haushalt. Deutschland hat in der aktuellen Haushaltsperiode von 2021 bis 2027 einen Anteil an der Finanzierung des EU-Haushalts von rund 24 Prozent. Damit haftet Deutschland etwa für ein Viertel der Gesamtsumme.
Von den 750 Milliarden Euro sind 360 Milliarden als Kredite gedacht, die von den Regierungen zurückgezahlt werden sollen. Die restlichen 390 Milliarden Euro sind Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen – um diese geht es.
Gefahr für Deutschland: 600 Milliarden Euro über 30 Jahre
Für Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ist die gemeinsame Schuldenaufnahme keine krisenbedingte Eintagsfliege, sondern „ein echter Fortschritt für Deutschland und Europa, der sich nicht mehr zurückdrehen lässt“. Olaf Scholz:
„All das sind tiefgreifende Veränderungen, vielleicht die größten Veränderungen seit Einführung des Euro.“
Die CDU stemmte sich jahrelang gegen das Vorhaben. Der Vorstoß der „gemeinsamen Schuldenaufnahme“ von Scholz war nicht mit der Fraktion abgestimmt. Im Zuge der Corona-Maßnahmen vollzog Kanzlerin Merkel zusammen mit Frankreich eine Kehrtwende und stimmten dem Wiederaufbaufonds der EU – mit der Schuldenaufnahme und Finanzen für überschuldete Länder wie Spanien und Italien – zu.
Der Präsident des Bundesrechnungshofes macht deutlich: „Die Mitgliedstaaten geben mit der Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses eine unwiderrufliche Garantie ab, für die Rückzahlung der EU-Anleihen insgesamt einzustehen.“
„Theoretisch könnte die Kommission, wenn sie die EU-Anleihen tilgen muss und einzelne Mitgliedstaaten nicht zahlen, auf die übrigen Mitgliedstaaten zugehen und bis zu 0,6 Prozent des Bruttonationalprodukts eines jeden Mitgliedstaats einfordern.“
Im Fall von Deutschland beliefe sich das auf 20 Milliarden Euro pro Jahr oder 600 Milliarden Euro über 30 Jahre.
Der Bundesrechnungshof warnt: „Sollte ein Mitgliedstaat seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können oder wollen, müssen die übrigen Mitgliedstaaten für dessen Anteil an den Schulden einstehen.“
Eine weitere Gefahr
Grundsätzlich bietet das Ratifizierungsgesetz die Möglichkeit, höhere Kredite als die 750 Milliarden Euro aufzunehmen. Die EU-Staaten geben Garantien für mindestens 4.000 Milliarden Euro ab – mehr als das fünffache. Diese Übersicherung lädt dazu ein, diesen Fonds dauerhaft zu etablieren und zu verstetigen.
„Viel zu viel“, erklärt der Bundesrechnungshof. „Verbunden mit der Gefahr Begehrlichkeiten zu wecken oder Spekulationen über eine Verstetigung der Verschuldung zu befeuern. Wir empfehlen daher, das Garantievolumen deutlich zurückzuführen.“
Auf EU-Ebene verschulden, sich dann die Zuschüsse zuweisen – und die EU haftet
In Krisenzeiten zeigte sich, dass die auf EU-Ebene eingeführten Instrumente stetig fortgeführt werden. Diese Gefahr besteht auch hier. Auf Dauer wäre ein Wiederaufbaufonds nicht gerechtfertigt, so der Bundesrechnungshof.
Auf EU-Ebene könnten sich die Mitgliedstaaten theoretisch unbegrenzt verschulden – und sich diese Gelder anschließend als Zuschüsse zuweisen. Grund dafür ist, dass die staatlichen Fiskalregeln nur die nationalen Defizite und Schulden begrenzen.
Um das zu verhindern, schlägt der Bundesrechnungshof der deutschen Regierung vor, die Schulden des Wiederaufbaufonds anteilig auf die Schuldenstände der Mitgliedstaaten anzurechnen. Damit würden die fiskalischen Regeln eingehalten. Gleichzeitig sollten die Mittel mit Reformauflagen verknüpft werden, um strukturelle Defizite – die zur Pandemie-Krise beitrugen – abzubauen. Die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten sollte gestärkt werden.
„Wenn das nicht gelingt, kann das langfristig sogar die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion gefährden.“
Der Bundesrechnungshof mahnt abschließend: Die „Einführung des Wiederaufbaufonds ist politisch gewünscht und auf EU-Ebene beschlossen. Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sollten aber sicherstellen, dass die gemeinschaftliche Kreditaufnahme unter Umgehung der Fiskalregeln nicht zu einer Dauereinrichtung wird.“
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