Bürgerrat für Ernährung: Neun Empfehlungen an die Bundesregierung

Ende Februar ist der erste Bürgerrat für Ernährung zu Ende gegangen. Die neun Empfehlungen, die durch 160 Freiwillige in den letzten Monaten erarbeitet wurden, sind an die Regierung übergeben. Während Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und das Gremium selbst ihr Projekt in den höchsten Tönen loben, wurde auch Kritik laut.
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Für Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) sind Bürgerräte gelebte Demokratie.Foto: Michael Kappeler/dpa/dpa
Von 5. März 2024

Der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ hat Ende Februar 2024 seine Empfehlungen zur Verbesserung der Ernährungspolitik an die Fraktionen des Bundestages übergeben. Zu den neun Vorschlägen, die im vergangenen Jahr erarbeitet wurden, gehören unter anderem kostenloses Kitaessen, ein verpflichtendes staatliches Label, Altersbegrenzung für Energydrinks, gesunde Lebensmittel ohne Mehrwertsteuer und eine bessere Tierwohlkennzeichnung.

Echte Demokratie oder „Mitmachtheater“?

Die Mitglieder des Bürgerrates sollen dem Bundestag Impulse geben und mit einem Abschlusspapier eine neue Form der politischen Beteiligung ausprobieren – ohne jedoch etwas zu entscheiden. Nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen entscheidet der Bundestag, wie er mit den Ergebnissen umgeht. Auch das Thema des ersten Bürgerrates „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ wurde vom Bundestag vorgegeben.

Dass ein solcher Bürgerrat als bloßes Alibi dienen könnte, um den Anschein von Bürgerbeteiligung zu erwecken, während die tatsächliche Entscheidungsfindung und politische Agenda von den traditionellen politischen Akteuren und Interessengruppen vorangetrieben werden, lautete nur eine der kritischen Stimmen im Vorfeld. Sind Bürgerräte, von denen es bis dato sieben gab, nur eine Art „Mitmachtheater“?

Die AfD-Fraktion hatte am 10. Mai 2023, als der Bundestag über die Einsetzung des Bürgerrates abgestimmt hatte, zeitgleich einen Antrag mit dem Titel „Mehr Demokratie wagen – Echte Bürgerbeteiligung durch bundesweite Volksentscheide statt deliberative Bürgerräte“ eingebracht, der keine Mehrheiten unter den Parlamentariern fand – 592 Nein-Stimmen standen gegen 69 Ja-Stimmen. Die AfD hatte in ihrem Antrag für dringend geboten erklärt, „keine Bürgerräte zu schaffen, sondern stattdessen mehr und echte demokratische Beteiligung auf Bundesebene in Form von Volksinitiativen, Volksbegehren, Volksabstimmungen und (fakultativen) Referenden zu schaffen.“

Lob für Bürgerrat von Bürgerrat

Im Nachgang kommentierte der AfD-Abgeordnete Götz Frömming die Bürgerratempfehlungen, dass da viel Herzblut drinstecke, seine Fraktion gegenüber dem Instrument Bürgerrat trotzdem skeptisch bleibe; denn die AfD wünsche sich mehr direkte Demokratie durch Volksentscheide.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hingegen befand:

Im Bürgerrat wurde Demokratie gelebt.“

Auch die anderen Parteien gaben Einschätzungen ab in der offiziellen Bürgerratsverlautbarung:

Stephan Thomae (FDP) bezeichnete das Experiment Bürgerrat als geglückt mit den Worten: „Demokratie bleibt nie stehen, wir brauchen neue Experimente.“ Für die CDU/CSU-Fraktion meldete sich Philipp Amthor mit dem Hinweis zu zukünftigen Bürgerräten. „Notwendig sind […] und die effektive Wahrung von Minderheitsrechten.“ Die Grünen sehen einer nächsten Runde offen entgegen und die SPD-Abgeordnete Marianne Schieder kündigte schon einmal an: „Wir freuen uns darauf, den nächsten Bürgerrat zu beauftragen.“

Diskussionen in gewünschte Richtung gelenkt

Während die Parteien voller Eigenlob schienen, waren das nicht alle der 160 Teilnehmer, die nach einem Schlüssel beim Losverfahren für den Bürgerrat ausgewählt wurden. Stefan Staudenecker aus Ehningen bei Stuttgart „wird Geschichte schreiben“, titelte dazu die „Schwäbische Zeitung“. Staudenecker war dann aber selbst schnell Geschichte beim Bürgerrat.

Nach dem Auftaktwochenende verließ er das Gremium gleich wieder mit der Begründung: „Es macht aus meiner Sicht keinen Sinn, mit solchen Personen ein Arbeitspapier zu erarbeiten.“ An zwei weiteren Wochenenden in Berlin und insgesamt sechs Onlinesitzungen nahm er nicht mehr teil.

Die „Schwäbische“ titelte: „Zu ‚links und grün‘: Ex-Mitglied attackiert Bürgerrat für Ernährung.“ Damit waren laut Staudenecker nicht die Zusammensetzung der Mitglieder des Bürgerrates gemeint. Diese sei ziemlich vielfältig gewesen: „Da waren Leute mit ganz unterschiedlichen Meinungen dabei, so wie es sein soll. Aber eben leider nur bei den Teilnehmern und nicht bei den moderierenden Gegenübern.“

Diese seien in vielen Bereichen nicht neutral gewesen und hätten die Diskussionen durch gezielte Formulierungen von Fragen in die von ihnen favorisierte Richtungen gelenkt – politisch eher grün und links.

Linke Verquickungen und grüne Klüngelei

Hauptmoderatorin Jana Peters habe 2021 noch für die Grünen für den Bundestag kandidiert. Sie ist Beraterin bei ifok, einem Beratungsunternehmen, das auch am Bürgerrat beteiligt ist. Weitere personelle Verquickungen gab es bei Betreuern des Bürgerrates. Die „Schwäbische“ schreibt, eine der Tischassistentinnen der Kleingruppen soll die Schwägerin eines Sprechers der „Letzten Generation“ sein und auch andere Betreuer waren mit den Klimaaktivisten in Verbindung zu bringen.

Vonseiten der Stabsstelle Bürgerräte des Deutschen Bundestages hieß es dazu, dass davon nichts bekannt sei. Im Anschluss an die Bürgerratssitzungen hätten die Teilnehmer anonym Feedback gegeben – auch zur Neutralität von Moderatoren und Experten. Hier seien die meisten Teilnehmer zufrieden gewesen.

In der Parteizugehörigkeit sieht die Stabsstelle kein Problem. Es komme ausschließlich auf die inhaltliche Neutralität bei der Moderation an, bei der die Stabsstelle keine Anhaltspunkte sieht, diese anzuzweifeln. Das Gleiche gelte für die beteiligten Experten. Die politischen Präferenzen der Wissenschaftler seien für die Erfüllung ihrer Expertenrolle unerheblich, da sie sich schließlich auf wissenschaftliche Erkenntnisse berufen.

Schaden Bürgerräte unserer Demokratie?

Den Eindruck von Ausgewogenheit hatte das ehemalige Bürgerratsmitglied Stefan Staudenecker nach eigener Aussage nicht, vielmehr kam bei ihm die unterschwellige Aussage an: „Wir geben euch vom Bundestag vor, was rauskommen soll.“ Nicht zuletzt deshalb befürchtet Staudenecker jetzt, dass die Regierung sich nur die Empfehlungen des Bürgerrates heraussuchen werde, die in ihre Agenda passen:

„Ich möchte nicht, dass mein Name später mal mit den jetzt schon absehbaren und doch leider sehr einseitigen Empfehlungen dieses Bürgerrats in Zusammenhang gebracht wird.“

CDU-Mittelstandschefin Gitta Connemann (59, CDU) forderte bei Bekanntwerden dieser Vorwürfe, wie „Bild“ berichtet, die Bürgerräte gleich wieder ganz abzuschaffen: „Wir brauchen keine Alibi-Parlamente, die durch Los zusammengewürfelt werden. Die ideologisch-verzerrten Bürgerräte schaden unserer Demokratie.“

Lob für den Bürgerrat kommt vorrangig aus den eigenen Reihen von der in den wissenschaftlichen Beirat berufenen Professorin Melanie Speck; für sie spiegeln die Empfehlungen den wissenschaftlichen Konsens zum Thema Ernährung wider.

Im Bundeshaushalt 2023 waren drei Millionen Euro Budget für die Bürgerratsdurchführung eingeplant.

Bürgerräte gestern, heute, morgen

In Deutschland fanden von 2019 bis heute neun bundesweite Bürgerräte statt. 2021 war das Thema beispielsweise „Deutschlands Rolle in der Welt“ unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Schäuble eines der Ergebnisse der fast 160 Ausgelosten.  „Deutschlands Rolle in der Welt sehen wir zukünftig als faire Partnerin und Vermittlerin, die gemeinschaftlich mit anderen, insbesondere mit der EU, eine Welt gestaltet, in der auch zukünftige Generationen selbstbestimmt und gut leben können.“ Auch 2021 hatten 160 zufällig geloste Teilnehmer am Bürgerrat „Klima“ den Leitsatz verabschiedet: „Um den Erhalt der Lebensgrundlagen aller Menschen sicherzustellen, ist das 1,5 Grad Ziel nicht verhandelbar.“

Am 24. Januar 2024 startete das „Forum gegen Fakes – Gemeinsam für eine starke Demokratie“, ein deutschlandweites Beteiligungsprojekt der Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat, bei dem auch das Nachrichtenportal „t-online“ ist mit von der Partie. In der Eigenbeschreibung ist zu lesen: „Mit dem Projekt „Forum gegen Fakes – Gemeinsam für eine starke Demokratie“ will die Stiftung der Gefahr durch Desinformation aktiv etwas entgegensetzen. Denn die Verbreitung von gezielten Falschinformationen kann das Vertrauen in Politik und Medien sowie den demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozess untergraben.“



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