Bürgergeld vorerst gestoppt – FDP setzt sich für Kompromiss ein

Die FDP bietet der Union an, auf die sogenannte Vertrauenszeit beim Bürgergeld zu verzichten. So könnte die Reform in diesem Jahr noch möglich werden.
Das Bürgergeld soll nach den Plänen der Bundesregierung zum 1. Januar die bisherige Grundsicherung Hartz IV ablösen.
Das Bürgergeld soll nach den Plänen der Bundesregierung zum 1. Januar die bisherige Grundsicherung Hartz IV ablösen.Foto: Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa
Von 15. November 2022

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Am Montag, 14. November, ließ die Mehrheit der unionsgeführten Länder in der Sondersitzung des Bundesrates die Pläne der Ampel-Koalition zum Bürgergeld scheitern. CDU und CSU hätten sich bereit erklärt, die geltenden Hartz-IV-Sätze anzupassen, dem Konzept insgesamt aber nach wie vor die Zustimmung verweigert.

Vertrauenszeit beim Bürgergeld als Zankapfel

Nun bemüht sich die FDP, eine mögliche Verständigung zwischen Koalition und Union zu initiieren. Auf diese Weise soll die Systemumstellung von Hartz IV auf Bürgergeld doch noch wie geplant zum 1. Januar 2023 vonstattengehen können.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr äußerte am Dienstag im Vorfeld der Gespräche im Vermittlungsausschuss gegenüber der Funke-Mediengruppe:

Es bringt ja nichts, wenn alle auf dem Baum bleiben.“

Als möglichen Ansatz für einen Kompromiss bietet Dürr einen möglichen Verzicht auf die sogenannte Vertrauenszeit zu Beginn des Bezugs des Bürgergelds an. Zwar beharrt der FDP-Politiker auf der Darstellung, die Union erzähle „Märchen“, wenn sie die ersten sechs Monate als jedenfalls sanktionsfreie Zeit darstelle, allerdings sei man bereit, der Union bei diesem für sie offenbar mit hoher Symbolkraft ausgestatteten Punkt entgegenzukommen.

Regelung soll „Bürokratie einsparen“

Eine sechs Monate lange sanktionsfreie Zeit zu Beginn wäre nach dem Konzept der Ampel an eine Kooperationsvereinbarung mit dem Jobcenter geknüpft. Diese müsse der Neubezieher von Bürgergeld abschließen und einhalten, um darauf vertrauen zu können, dass ihn keine Sanktionen treffen.

Die Verwaltungsgerichte hatten in ihrer Rechtsprechung bereits während der vergangenen Jahre den Spielraum für Sanktionen der Jobcenter eingeschränkt. Die Koalition trage Erfahrungen wie diesen aus 17 Jahren Hartz IV mit ihrem Bürgergeld-Konzept Rechnung, äußerte Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles.

Auch Dürr ist der Auffassung, dass die Vertrauenszeit nur Bürokratie einzusparen helfe. Es würden nur mögliche Sanktionen für Empfänger wegfallen, die am Anfang des Bezugs ohnehin keine Relevanz hätten.

Aber wenn die Union dieses Symbol braucht, bin ich dafür offen, Sanktionsmöglichkeiten beizubehalten.“

FDP-frei: „Union blockiert selbst Anreize zur Arbeitsaufnahme“

Mehrere unionsgeführte Bundesländer hatten im Bundesrat gegen das Bürgergeld gestimmt oder sich der Stimme enthalten. Aus Sicht der Union dürfe „kein Zweifel daran gelassen werden, dass Sanktionen von Anfang an verhängt werden können“. Dies sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, am Dienstag der „Augsburger Allgemeinen“. Frei ist Mitglied im Vermittlungsausschuss.

Die Union bot als Minimalkonsens an, vorerst lediglich die Hartz-IV-Sätze anzupassen. FDP-Politiker Dürr sieht gerade darin aber eine Verringerung des Anreizes für Betroffene, eine Arbeit aufzunehmen. Das Bürgergeld solle, so Dürr, gerade diesen Anreiz schaffen, indem es Aus- und Weiterbildungen sowie Teilzeittätigkeiten flankiere.

Der Vermittlungsausschuss gilt nun als die letzte Chance, das Ende des Hartz-IV-Systems rechtzeitig möglich zu machen. Bis Ende November haben seine Mitglieder nun Zeit, eine Einigung zu finden. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte bereits betont, dass er auf eine schnelle Vermittlung setze. Der Ausschuss könne bereits in der kommenden Woche tagen.

CDU und CSU vor politischer Gratwanderung

Ob ein Wegfall der sogenannten Vertrauenszeit für die Union ausreichen wird, um das Bürgergeld mitzutragen, ist ungewiss. Einige Unionspolitiker hatten auch Bedenken bezüglich der großzügigeren Regelungen zum Schonvermögen geäußert.

Allerdings wäre es für CDU und CSU mit einem gewissen politischen Risiko verbunden, sich gerade in diesem Bereich querzustellen. Immerhin betrifft dieser Punkt weniger den idealtypischen Totalverweigerer, der von vornherein wenig Anstalten macht, sich aus der Stütze herauszuarbeiten.

Dass viele Hartz-IV-Bezieher in diesem Sinne das System ausnutzen, ist unter Beziehern der Grundsicherung selbst nicht umstritten. Bezüglich dieser ist auch dort eine Bereitschaft vorhanden, Sanktionen zuzustimmen. Dies zeigten die Ergebnisse einer jüngst durchgeführten Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Kooperation mit der Ruhr-Universität Bochum.

Höheres Schonvermögen beim Bürgergeld könnte Wählerschichten der Union nützen

Die Regelung bezüglich des Schonvermögens soll hingegen die Lebensleistung von Menschen anerkennen, die sich bereits etwas anschaffen konnten und im Alter arbeitslos wurden. Viele der Betroffenen gehörten lange Zeit zur Kernwählerschaft der Union. Je mehr sich die Wirtschaftskrise verschärft und den Arbeitsmarkt erreicht, umso schwieriger könnte deren zeitnahe Vermittlung werden.

Zwei Jahre lang sollen Betroffene bis zu 60.000 Euro an Schonvermögen behalten dürfen, auch wenn man Bürgergeld bezieht. Zudem sollen Bedürftige in dieser Zeit auch in Wohnungen bleiben dürfen, die nach den bisherigen Regelungen als zu groß eingestuft worden wären. Nach 24 Monaten Bürgergeldbezug sollen Vermögen und Angemessenheit der Wohnung überprüft werden können. Generell soll mehr Vermögen als bisher unangetastet bleiben.

Beamte können bei höherem Regelsatz auf höhere Bezüge hoffen

Eine zu rigorose Verweigerungshaltung könnte der Union aber auch in einem weiteren Segment ihrer Wählerschaft schaden – nämlich in der Beamtenschaft. Wie das „Handelsblatt“ berichtet, ist gerade dort ein hohes Interesse vorhanden, eine Erhöhung der Regelsätze für die Grundsicherung zu ermöglichen.

Grund dafür sind zwei Grundsatzurteile des Bundesverfassungsgerichts. Diese hatten ein Mindestabstandsgebot formuliert zwischen der staatlichen, steuerfinanzierten Absicherung des Existenzminimums und der Besoldung. Im Mai 2020 hatte Karlsruhe in zwei Urteilen für die Länder Berlin und NRW entschieden: Die Nettobesoldung – inklusive familienbezogener Leistungen und Kindergeld – müsse um mindestens 15 Prozent über der Grundsicherung liegen.

Auch in den übrigen Ländern solle dieser Abstand überprüft werden. Einige Länder haben deshalb bereits niedrigere Besoldungsstufen gestrichen oder diverse Zuschläge für Beamte erhöht. Sollte jedoch die Grundsicherung steigen, müssen auch einige Staatsdiener Einkommenszuwächse erhalten, um dem Abstandsgebot zu entsprechen. Ihnen diese – wenn auch nur indirekt – vorzuenthalten, könnte die Union Wähler kosten.

(Mit Material von dpa)



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