„Bürgergeld“: Arbeitssuchende sollen einen Kooperationsplan abschließen
Zum 1. Januar 2023 möchte die Bundesregierung ein neues Bürgergeld einführen. Der Gesetzentwurf aus dem Hause von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wird aktuell in der Regierung abgestimmt. Konkret sieht die „größte Arbeitsmarktreform seit 20 Jahren“, wie es Heil nennt, Karenzzeiten für Menschen vor, die nach einem Jahr Arbeitslosigkeit ins Bürgergeld (das heutige Arbeitslosengeld II) rutschen.
Heil will nach eigenen Worten Betroffene in einer existenziellen Situation ein Stück „entstressen“. Deshalb plant er für die ersten beiden Jahre im Bürgergeld-Bezug eine Anerkennung der tatsächlichen Kosten für die Wohnung, auch wenn diese größer und teurer ist und über dem als „angemessen“ eingestuften Niveau liegt. Der Druck, sich schnell eine kleinere Wohnung zu suchen, wäre damit weg. Möglicherweise steckt dahinter, dass der Wohnungsmarkt sehr angespannt ist und kleinere Wohnungen schwer zu finden sind.
Vertrauenszeit und Kooperationsplan
Arbeitssuchende sollen einen Kooperationsplan abschließen, der „so etwas wie ein roter Faden im Beratungs- und Vermittlungsprozess“ sein soll, erklärt Hubertus Heil. Eine „Vertrauenszeit“ von sechs Monaten ist angedacht. In dieser Phase sollen keine Leistungen gekürzt werden, wenn Pflichtverletzungen vorliegen, also zum Beispiel Termine nicht wahrgenommen werden.
Empfänger des Bürgergeldes sollen verglichen mit denjenigen, die Hartz IV erhalten haben, milder behandelt werden. Vorhandenes Vermögen soll in den ersten beiden Jahren erst ab einer Grenze von 60.000 Euro angerechnet werden, für jede weitere Person im Haushalt steigt die Grenze um 30.000 Euro.
„Es soll so sein, dass die Menschen, die in das neue Bürgergeld kommen, (…) sich nicht die Sorge machen müssen, dass ihr kleines Erspartes oder Vermögen weggesäbelt wird“, sagte Heil. Nach den zwei Jahren soll das Schonvermögen bei 15.000 Euro liegen.
Die Höhe ist noch ungewiss
Eine wesentliche Frage bleibt bisher unbeantwortet: Wie viel Bürgergeld soll es geben? Der Hartz-IV-Regelsatz für alleinstehende Erwachsene liegt im Moment bei 449 Euro im Monat. Die genaue Höhe soll im September festgelegt werden, wenn Daten zur Lohn- und Preisentwicklung vom Statistischen Bundesamt vorliegen, anhand derer die Sätze jährlich fortgeschrieben werden.
Geplant sind neue Berechnungsmethoden, sodass die Leistungen nicht mehr der Inflation hinterherhinken. Heil bekräftigte seine Wunschgrößenordnung von rund 40 bis 50 Euro mehr im Monat.
„Es geht um einen Sozialstaat auf der Höhe der Zeit“, kommentiert Hubertus Heil. „Es geht darum, dass Menschen, die in Not sind, verlässlich abgesichert werden, ist eine Frage der gesellschaftlichen Solidarität. Aber es geht vor allen Dingen darum, dafür zu sorgen, dass viel mehr Menschen nicht in Bedürftigkeit sind, sondern wo immer es geht, selbstbestimmt in Arbeit leben können. Dass wir neue Chancen eröffnen, dass wir für mehr Respekt und Verlässlichkeit des Sozialstaates auch sorgen.“
Die Reform sieht auch bürokratische Entlastungen der Jobcenter vor. Es ist eine Bagatellgrenze von 50 Euro bei Rückforderungsbescheiden geplant. Ein starker Fokus soll auf Weiterbildung liegen. Bürgergeld-Empfänger, die einen Berufsabschluss nachholen, sollen mehr Zeit und ein monatliches „Weiterbildungsgeld“ in Höhe von 150 Euro bekommen. Geplant sind auch höhere Hinzuverdienstgrenzen für Schüler, Studierende und Azubis.
FDP warnt vor „Bürgergeld als bedingungslosem Grundeinkommen“
Christian Lindner (FDP) warnt vor einer pauschalen Bindung der Regelsätze an die Inflation. „Stattdessen müssen wir die Zuverdienstmöglichkeiten verbessern. Aus dem Bürgergeld darf kein bedingungsloses Grundeinkommen werden.“
Auch eine Debatte über andere Berechnungsmethoden wird in der FDP abgelehnt. Es sollte weiterhin Leistungskürzungen geben, wenn Empfänger Arbeits- oder Weiterbildungsangebote nicht annehmen oder Termine versäumen.
2005 hat die FDP ein erstes umsetzbares Bürgergeld-Konzept vorgelegt. Es wurde an die durch Hartz-IV gewonnenen Erfahrungen angepasst und 2019 vom Ifo-Institut bezüglich Anreizwirkung und Finanzierungsbedarf berechnet. Es sieht eine vermögens- und einkommensabhängige Bedürftigkeitsprüfung vor.
Mittlerweile gibt es verschiedene Modelle von bedingungslosem Grundeinkommen (BGE). Die Grundidee ist stets, dass es ein Einkommen ist, welches bedingungslos jedem Mitglied einer politischen Gemeinschaft gewährt wird. Dabei wird von vier Kriterien gesprochen: Es soll die Existenz sichern sowie gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, einen individuellen Rechtsanspruch darstellen, ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden und darf keinen Zwang zur Arbeit beinhalten.
Das „Solidarisches Bürgergeld“ des ehemaligen Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus schlug einen Betrag von 800 Euro für jeden deutschen Staatsbürger und 500 Euro für jedes Kind vor. Es führt laut einer Berechnung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Jahresgutachten 2007/08 zu einer Finanzierungslücke zwischen 227 und 246 Milliarden Euro jährlich.
Missbrauch denkbar: Wenn die Höhe geradeso zu gering ist
Grundeinkommen könnte zum Arbeitszwang führen, „indem eine Höhe festgelegt wird, die geradeso nicht zum Leben reicht“, heißt im Filmessay von Daniel Häni und Enno Schmidt „Grundeinkommen – ein Kulturimpuls“ von 2008.
Sei die Höhe zu gering und würden gleichzeitig alle Sozialleistungen dafür gestrichen, dann „gilt Arbeitszwang für alle“, ohne dass man dazu persönlich aufgefordert wird: „Zu Löhnen wie in China und ohne, dass im Grundeinkommen die Möglichkeit enthalten wäre, auf ein Arbeitsangebot zu verzichten. Wenn man die Zahlungen dann noch durch verschiedenste Quellen, Sondermodelle, Gegenrechnungen und Auflagen verkompliziert, hat man ungefähr die Situation von heute – nur verschärft.“
Während Konservative ein Grundeinkommen als „sozialistisch/kommunistisch“ betrachten, stoßen sich Sozialdemokraten und Linke eher an der Bedingungslosigkeit. Es könnte nicht bedingungslos sein, da mit einem bedingungslosen Grundeinkommen die Armen nicht mehr arm wären, ihr Klientel wäre dann weg.
Eine andere Variante ist ein neoliberaler Ansatz, wie ihn Prof. Dr. Thomas Straubhaar erforscht. Ein Grundeinkommen sollte demnach möglichst gering sein und alle anderen Sozialleistungen ersetzen, so der Schweizer Ökonom, Migrationsforscher und Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg.
Viele Unternehmer im Silicon Valley sprachen sich bisher eher für ein BGE aus. Ihnen ist klar, dass die Wirtschaft nur funktioniert, wenn die Menschen ein Einkommen haben.
(Mit Material von dpa/afp)
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