Anfang oder Ende des Familiennachzugs – neues Gesetz wird unterschiedlich interpretiert
Selten zuvor hat ein Gesetz soviel Interpretationsspielraum gelassen wie die Neuregelung des Familiennachzuges bei Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus: Nach Lesart der Union gibt es damit keinen Rechtsanspruch für den Familiennachzug mehr – und die SPD findet, dass dieser jetzt endlich wieder möglich wird.
Die Wahrheit liegt in der Mitte: Der Familiennachzug kommt wieder – aber angeblich in geringem Umfang.
Um wen geht es beim Familiennachzug?
Anerkannte Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge können ihre Angehörigen nach Deutschland nachholen – dabei wird es auch bleiben. Das jetzige Gesetz bezieht sich auf jene Flüchtlinge, die nur eingeschränkten, subsidiären Schutz genießen. Für sie wurde der Familiennachzug im März 2016 für zwei Jahre ausgesetzt. Er soll jetzt eingeschränkt wieder möglich sein, für Ehegatten und „minderjährige ledige Kinder“, wie es im neuen Gesetz heißt.
Was steht in dem neuen Gesetz?
Die seit März 2016 bestehende Aussetzung des Nachzuges zu Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutz wird bis Ende Juli verlängert. Ab August sollen 1000 Angehörige pro Monat aus humanitären Gründen wieder nach Deutschland kommen dürfen, Härtefälle kommen hinzu.
Nach welchen Kriterien werden die 1000 Angehörigen ausgewählt?
Das wollen Union und SPD in einem weiteren Gesetz bis Ende Juli regeln. Die CDU/CSU nennt aber schon jetzt Bedingungen, die erfüllt sein müssen: eine Ehe muss schon vor der Flucht bestanden haben, es dürfen keine schwerwiegenden Straftaten vorliegen und es darf sich nicht um sogenannte Gefährder handeln. Zudem darf nicht die Ausreise desjenigen, der seine Angehörigen nach Deutschland holt, bevorstehen.
Was hat es mit den Härtefällen auf sich?
Die Zahl derer, die trotz der derzeitigen Aussetzung Familienangehörige nachholen dürfen – etwa wegen schwerer Erkrankung – ist bislang sehr gering. Im vergangenen Jahr gab es nach SPD-Angaben ganze 66 Fälle. Nach dem Willen der Sozialdemokraten sollen es mehr werden. Sie verweisen insbesondere auf den Paragrafen 23 des Aufenthaltsgesetzes, demzufolge die oberste Landesbehörde „aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen“ Ausländern aus bestimmten Staaten eine Aufenthaltserlaubnis erteilen kann.
Unter Umständen müssen diejenigen, die ihre Familie nachholen, garantieren, dass sie für den Unterhalt ihrer Angehörigen aufkommen. Auf dieser Grundlage hat die niedersächsische Landesregierung bereits 2013 ein Programm für 5000 Familienangehörige aufgelegt. In der SPD gibt es Hoffnungen, dass die von ihr regierten Länder ähnliche Initiativen starten könnten. Allerdings muss das Bundesinnenministerium dabei mitspielen.
Welche Rolle spielt dabei das Kindeswohl?
Die SPD verweist auf die auch für Deutschland geltende UN-Kinderrechtskonvention. Sie verpflichtet alle Unterzeichnerstaaten, sich Anträgen auf Familienzusammenführung gegenüber aufgeschlossen zu zeigen. Diese müssten „wohlwollend, human und beschleunigt“ bearbeitet werden, heißt es in Artikel 10 der Kinderrechtskonvention. Das kann den Betroffenen nützen, eine Garantie für den Familiennachzug ergibt sich daraus aber nicht. (afp/so)
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