909 Milliarden Euro in 64 Jahren abgezweigt: Der tiefe Griff des Bundes in die Rentenkasse

Die FDP fordert, dass der Bund versicherungsfremde Leistungen nicht auf Kosten der Rentenempfänger bezahlt. Ein Rentenexperte schätzt, dass die Altersversorgung um mehr als 13 Prozent höher ausfallen könnte.
Die Bundesregierung verschiebt die Entscheidung über die geplante Rentenerhöhung.
Der Bund zieht seit Jahrzehnten alljährlich zweistellige Milliardenbeträge aus der Kasse der Deutschen Rentenversicherung ab, um versicherungsfremde Kosten zu begleichen.Foto: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa
Von 29. Mai 2024

65 Jahre Sicherheit für Generationen – mit diesen Worten feierte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) vor zwei Jahren die 1957 umgesetzte Rentenreform. 1986 wurde der damalige Bundesarbeitsminister und CDU-Politiker Norbert Blüm (1935–2020) mit den Worten „Die Renten sind sicher“ berühmt. In der Tat: Nach wie vor erhalten Millionen Menschen in Deutschland allmonatlich ihre Altersversorgung. Doch nicht nur sie werden aus dem großen Topf gespeist.

Auch der Staat soll auf die Mittel der Beitragszahler zurückgegriffen haben, um sogenannte versicherungsfremde Leistungen zu bezahlen. Bis zum Sommer 2021 sollen es nach Angaben des Vereins Direktversicherungsgeschädigte (DVG) 909 Milliarden Euro gewesen sein, die zweckentfremdet wurden.

Ausgaben der Rentenversicherung betrugen 2023 rund 374 Milliarden Euro

Dabei handelt es sich bei den Beiträgen für die Rente nicht um Steuereinnahmen. Das Geld sollte daher nicht für allgemeine Kosten ausgegeben werden, sondern ausschließlich der Auszahlung an die Rentner dienen. Doch der Staat zieht – wie erwähnt – seit Jahrzehnten Mittel ab.

Im Durchschnitt stets im zweistelligen D-Mark- bzw. Euro-Milliardenbetrag. In der derzeitigen politischen Diskussion um die Rentenreform der Ampel spielt dieser Umstand kaum eine Rolle, schreibt die „WirtschaftsWoche“ (Bezahlschranke).

Die Bundestagsabgeordnete Anja Schulz (FDP) stuft den derzeitigen Zustand hingegen als Problem ein: „Es kann nicht sein, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben durch das Kollektiv der Beitragszahler gestemmt werden müssen“, zitiert die Zeitung die Rentenexpertin der Liberalen.

Die Deutsche Rentenversicherung trägt die Verantwortung für eine riesige Summe Geld. Für 2023 belaufen sich die Ausgaben geschätzt auf 374 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt für das laufende Jahr beträgt 476,8 Milliarden Euro.

Der Bund bezuschusst die DRV-Kasse zwar jährlich mit Milliardenbeträgen, doch bedient er sich aus ihr, auch um rentenfremde Leistungen zu bezahlen. Dazu gehören laut „WirtschaftsWoche“ die Renten an Aussiedler (Fremdrente), die Anrechnung von Kindererziehungszeiten oder die Sonderregeln für Erwerbsminderungsrenten.

„Versicherungsfremde Leistungen“ heißt der Begriff, unter dem die DRV diese Leistungen verbucht. Zwischen 63 und 112 Milliarden Euro sollen das 2020 gewesen sein. Präziser geht es nicht, weil eine klare Abgrenzung fehlt. Das hatte der Bundesrechnungshof zwar bereits mehrfach bemängelt, doch das Bundessozialministerium ignorierte das ebenso häufig.

Minister Heil: Keine Zweckentfremdung der Rentenversicherungsmittel

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärte 2023 stattdessen auf die Frage eines Bürgers auf dem Portal „Abgeordnetenwatch“, wann denn die vom Staat aus der Rentenkasse entnommenen 909 Milliarden Euro wieder zurückgezahlt würden: „Es werden keine finanziellen Mittel der Rentenversicherung zweckentfremdet.“

Der Umfang der nicht beitragsgedeckten Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung sei auch stets Ergebnis einer gesetzgeberischen Entscheidung darüber, „wie umfangreich das Ziel des sozialen Ausgleichs definiert wird“. Unterschiedliche Auffassungen über die Frage, was unter den sozialen Ausgleich falle und was als „versicherungsfremd“ gelte, werde es immer geben, so der SPD-Politiker abschließend.

Doch das Defizit bei der DRV ist groß. So hat der Steuerexperte Otto Teufel für 2020 errechnet, dass der Staat aus der Beitragskasse 38,6 Milliarden Euro entnommen haben soll. Teufel rechnete damals vor, dass jeder Rentner 13,6 Prozent mehr Geld erhalten würde – käme der Bund für die versicherungsfremden Leistungen auf. Ausgaben für den Verwaltungsaufwand sind noch gar nicht eingerechnet, betont der Beamtenbund (dbb).

„Die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung decken den Mehraufwand durch Zusatzaufgaben nicht ab, da insbesondere auch die notwendigen Personalkosten nicht dauerhaft ausfinanziert sind“, zitiert die „Wirtschaftswoche“ den dbb-Vorsitzenden Ulrich Silberbach. Der Bund müsse daher die an den DRV übertragenen Aufgaben ganz übernehmen und finanzieren.

Aus Sicht der FDP-Politikerin Anja Schulz stellt die aktuelle Praxis eine Umgehung der Schuldenbremse dar. Es widerspreche dem Verständnis dieses Begriffs, „wenn Kosten in die Sozialversicherungen verlagert werden.“ Wie auch Silberbach fordert sie eine komplette Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen aus dem Bundeshaushalt.

„Natürlich dürfen wir unsere gesellschaftlichen Ziele, wie beispielsweise die Anerkennung von Kindererziehungsleistungen, nicht vernachlässigen. Allerdings sind dies finanzielle Lasten, die durch die Gemeinschaft der Steuerzahler und nicht der Rentenbeitragszahler getragen werden sollten“, sagt sie.



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