26 Jahre später: Was verbindet Cottbus mit Rostock-Lichtenhagen?
Was aktuell in Cottbus geschieht, erinnert mich fatal an die Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen oder genauer gesagt: an die Ereignisse am Vorabend von Rostock-Lichtenhagen, schreibt die Gastautorin M.S. bei Vera Lengsfeld.
Weiter schreibt sie, dass sie dabei den Teil meine, den man in den Medien gemeinhin nicht zu hören bekomme, über den auch der ehemalige Bundespräsident, der Rostocker Joachim Gauck in der Öffentlichkeit geschwiegen habe – obwohl er es besser hätte wissen müssen – und den man von den normalen Rostockern vermutlich auch nur hinter vorgehaltener Hand berichtet bekommen würde.
Ihre Erinnerungen an Rostock 1992 im Wortlaut:
Als Rostocker ist man es gewöhnt, dass man, wenn man einmal preisgegeben hatte, wo man herkommt, über viele Jahre hinweg als „Nazi“ galt und dies einzig und allein auf Grund seiner Herkunft. Ich bin viel gereist und wo immer ich in der Welt auftauchte, musste ich nie erklären, wo meine Heimat „Rostock“ liegt. Es interessierte nämlich, ob in Westdeutschland, New York oder Hong Kong, niemanden, aber jeder kannte den Namen meiner Stadt und ich musste mich immer postwendend schämen, rechtfertigen und erzählen, wie das Leben in dieser schrecklichen „Nazistadt“ ist.
Also gewöhnte ich mir an, nur noch wahlweise mit „Hamburg“ oder „Berlin“ zu antworten. Nicht weil das cooler klang, sondern, um in Ruhe gelassen zu werden, denn das, was wirklich in Rostock passiert ist, also bevor es zur Eskalation in Lichtenhagen kam, wollte nie jemand hören.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich Ihnen kein umfassendes Protokoll der damaligen Ereignisse liefern kann, sondern lediglich den persönlichen Erfahrungsbericht einer damals Dreizehnjährigen, die im Jahr 1992 lernte, dass sie als normales einheimisches Mädchen für die „Neuen“ in der Stadt nur eine billige, wertlose Schlampe ist, die zu beleidigen, zu begrabschen und über die zu verfügen, jedem Manne frei steht.
Arbeitslose Ostdeutsche auf engstem Raum mit Zugewanderten
Die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst) für Mecklenburg Vorpommern wurde mitten in den Stadtteil Lichtenhagen hineingesetzt, in eine dichtbewohnte Plattenbausiedlung, die geprägt war von einer besonders hohen Arbeitslosigkeit, da viele Lichtenhagener zuvor bei der nahegelegenen Warnow-Werft, dem bis dahin größten Werftbetrieb der untergegangen DDR gearbeitet und im Strudel der Nachwendezeit ihre Jobs verloren hatten.
Trotz dieser deprimierenden Situation, die allerdings unsere Eltern mehr traf als uns jugendliche Kinder, war jene Zeit, so kurz nach der von uns Ostdeutschen selbst erkämpften Wende, auch von einer großen, fast schon euphorischen Aufbruchstimmung und geistigen Freiheit geprägt: In der Schule ließen wir uns von ehemaligen Stasi-Lehrern nichts mehr sagen und die neue westdeutsche Prüderie, geschweige denn politische Korrektheit, waren damals ebenfalls noch nicht bei uns angekommen: Gemeinsam mit meinen Klassenkameraden verbrachte ich viel unschuldige Zeit an den Ostseestränden der Stadt, an denen es damals noch fast überall egal und damit jedem selbst überlassen war, ob er „FKK“ machte oder „Textil“ oder heute so und morgen so.
Mir wurde beigebracht, dass die „Neuen“, die nun täglich unsere Stadt erreichten, vor allem Rumänen waren, was so nicht stimmte, denn wie ich schnell mitbekam, handelte es sich bei den meisten um sogenannte Zigeuner. Ein Wort, das man, wie ich weiß, heute nicht mehr benutzen darf, aber wo mir keine Alternative zu einfällt, denn waren es wirklich alles Roma oder nicht eher Angehörige einer Vielzahl von Volksgruppen, die gemeinhin unter dem Begriff „Zigeuner“ bzw. politisch korrekt „Sinti und Roma“ subsumiert werden, wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass Sinti nicht dabei waren.
„Die sind aber bestimmt nicht alle so“
Wie auch immer, ich trat diesen Menschen freundlich gegenüber, gab den Frauen in den bunten Kleidern und mit den vielen Kindern, wenn sie mich mit herzzerreißendem aber auch bedrängendem Wehklagen bettelnd umringten, meist was von meinem Taschengeld ab; also natürlich immer nur dann, wenn ich gerade selbst welches hatte.
Auch zu den Männern war ich anfangs freundlich, wenn sie mich ansprachen. Ich dachte ja zunächst auch im Ernst, sie wollten von mir nur den Weg oder die Uhrzeit wissen oder meinten es ehrlich, wenn sie mir sagten, dass sie mich hübsch fänden.
Die ersten obszönen Blicke und Gesten ignorierte ich; ich verstand sie anfangs noch gar nicht. Die ersten Angrabschereien tat ich vor mir selbst mit einem „der ist bestimmt nur zufällig an meinen Po oder meine Brust gekommen“ ab, das erste Mal meine Taille umschlingen und mich festhalten ließ mich verleugnend denken „die sind aber bestimmt nicht alle so“.
Wenn diese Kerle mich verfolgten und ich sie nicht mehr los wurde, erlaubte ich mir in meiner Angst nur zu denken „Mensch, aber ganz schön aufdringlich“ und als das erste Mal einer von ihnen mit einem ganzen Bündel von Hundert Dollar Scheinen vor mir wedelte und barsch meinen Vater oder Bruder zu sprechen verlangte, da er mich kaufen wolle, da dachte ich das erste Mal: „krass“.
Wir fingen an, uns lumpig zu kleiden
Diese sexuellen Belästigungen erlebten meine Freundinnen und ich nahezu täglich. Wir fingen an, uns lumpig, sprich unattraktiv, zu kleiden, zum einen, weil das gerade zu unserer Mode wurde, zum anderen, um weniger aufzufallen. Ich hatte das Glück, dass ich in Rostock-Zentrum wohnte und zur Schule ging, da war ich mit meinem neuen Kleidungsstil dieser Übergriffigkeit bis hin zu regelrechter sexueller Gewalt, nicht zu sehr ausgeliefert. Andere Mädchen lebten näher an der ZAst dran und unterwarfen sich optisch auch nicht. Ich kenne Frauen aus Rostock-Lichtenhagen, heute um die Vierzig rum, die hatten weniger Glück als ich.
Frauen, die es bis heute nicht geschafft haben, einen Mann zu finden und die keine Kinder bekommen haben oder die von einer unglücklichen und gewaltgeprägten Beziehung in die nächste fallen. Ob die traumatischen Erlebnisse von damals dafür verantwortlich sind oder das reiner Zufall ist, kann ich nicht beurteilen. Aber ich möchte zumindest, dass die Frage erlaubt ist, ob es einen Zusammenhang damit geben könnte. Bis heute gilt als Nazi, wer sie stellt.
Teile der Stadt waren nicht mehr wieder zu erkennen
Dass wir Teile unserer eigenen Stadt nicht mehr wiedererkannten, weil sie so zugemüllt und verdreckt waren, dass, je nach Windrichtung, es dort mehr oder weniger stark nach Urin und Fäkalien stank, dass in der nahegelegenen Kaufhalle nicht nur geklaut, sondern unter offener Bedrohung der Verkäuferinnen mit Messern und Androhung von sexueller Gewalt gegen sie, diese einfach leer geräumt wurde, dass, wie Anwohner berichteten, das über Steuergelder finanzierte und zur Verfügung gestellte Mobiliar in den Zimmern der ZAst einfach zerlegt und auf den Balkons und der Wiese Möwen gefangen und gegrillt wurden, dass wir maßlos enttäuscht waren von den Menschen, die zu uns kamen, unsere Hilfe verlangten und uns nicht respektierten, das alles versuchten wir nach Möglichkeit einfach nur zu ertragen.
Nicht jedem gelang das. Irgendwann gab es Leute, denen ob dieser Zustände der Kragen platzte. Obwohl die Stadt, das Land, ach eigentlich jeder wusste, dass diese Situation unhaltbar und eine ungeheure Provokation für die einheimische Bevölkerung darstellte, ließ man sie immer weiter vor sich hin gären. Obwohl sogar schon in der Zeitung zu lesen stand, dass es bald knallen würde, passierte von offizieller Seite nichts.
Was dann kam, ist hinlänglich bekannt und die Sau Rostock ist unzählige Male durchs ach, so heilige Dorf getrieben worden. Ich selbst saß erstarrt vorm Fernseher, als ich sah, wie der Volkszorn sich in meiner Stadt entlud, ich schämte mich ob der blinden Gewalt, die auf unschuldige Vietnamesen, mit denen niemand ein Problem gehabt hatte, übergriff, ich war fassungslos, als ich sah, wie Rechtsradikale das Ruder übernahmen und ihnen tagelang niemand Einhalt gebot. Ich ging mit den Linken gegen die Neonazis demonstrieren, was in der Situation alles andere als ungefährlich für mich war. Ich machte mich trotzdem in den nächsten Jahren als Nazi verdächtig, wenn ich es wagte zu sagen, dass Rostock-Lichtenhagen eine Vorgeschichte hatte. Ich sprach nicht mehr darüber.
Zuständige Behörden schreiten nicht ein, um Bevölkerung zu schützen
Ich habe jedoch im Sommer 1992 gelernt: Die Würde des Menschen ist antastbar, insbesondere die von Mädchen und Frauen. Auch meine eigene.
Heute höre ich, wie in einer anderen ostdeutschen Stadt, nämlich Cottbus, immer wieder Einheimische von sogenannten schutzsuchenden und vollversorgten Asylbewerbern, meist Syrern, bedroht werden, weil sie ihnen nicht den eingeforderten Respekt zollen, einheimische Mädchen im Schwimmbad belästigt und begrabscht werden, deutsche Jugendliche mit Messern attackiert und ihnen das Gesicht zerschnitten wird, weil sie es gewagt haben, sich vor ihre Freundinnen zu stellen, gar eine Rentnerin von einem Syrer mutmaßlich ermordet worden ist.
Und dann unterlassen es die zuständigen Behörden, hier wirksam einzuschreiten und die Bevölkerung zu schützen. Die Stadt tönt was von Zuzugssperre, klammert den Familiennachzug dabei aber klammheimlich aus. Sie posaunt weiter was von Ausweisung eines gewalttätigen Syrers aus Cottbus, um dann das Ganze doch nicht durchzuziehen, weil der böse Junge jetzt angeblich lieb sei und der Vater auch einen Integrationskurs besuche.
Ach ja, und mehr Sozialarbeiter will sich die Stadt leisten, mit anderen Worten, noch mehr Versager denen hinzufügen, die bereits versagt haben, statt endlich den Cottbussern Respekt zu zollen, sie ernst zu nehmen und Probleme wirksam und in ihrem Sinne zu lösen.
Bewusste Eskalation
Was hier gerade in Cottbus geschieht, ist kein simples Behördenversagen. Hier wird eine bewusste Eskalation von Seiten des Staates geschaffen. Cottbus hat nämlich, im Gegensatz zum Rest des Landes, eine starke, aber friedliche Protestbewegung gegen die negativen Folgen der Masseneinwanderung, die es schafft, immer wieder Tausende von Menschen bei Wind und Wetter und sogar Eiseskälte auf die Straße zu bringen.
In meinen Augen sollen durch das zahnlose und inkonsequente Verhalten der offiziellen Seite Cottbus‘ mutige Bürger so lange provoziert werden, bis den Ersten ob ihrer Ohnmacht die Nerven durchgehen und in der Folge vielleicht auch wieder Rechtsradikale das Feld übernehmen. In jedem Fall hätte man dann den Vorwand, nach dem man sucht, um die friedliche, bürgerliche Protestbewegung aus der Mitte der Gesellschaft zu spalten, zu kriminalisieren und zu diskreditieren.
So wie es damals politische Nutznießer gab, für die die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen, die man hätte verhindern können, wenn man gewollt hätte, genau richtig kamen, so fürchte ich, dass es in der aktuellen Situation genug politische Gründe und Profiteure gibt, um in Cottbus bewusst auf ein Lichtenhagen 2.0 hin zu eskalieren.
Ich kann nur hoffen, dass die Cottbusser auf diese und vermutlich weitere folgende Provokationen nicht eingehen werden, sondern bestimmt aber unbedingt friedlich weitermachen mit ihrem zivilen und absolut gerechtfertigten Widerstand.
Der Beitrag erschien zuerst bei Vera Lengsfeld.
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