WW2-Reparationen an Polen? Historiker bezweifeln Bestand der Forderungen

Neuerliche Reparationsforderungen von Polen gegen Deutschland für Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg sind auch unter polnischen Historikern umstritten. Zudem wirft ein Holocaust-Forscher Warschau vor, in dem Bericht Verbrechen polnischer Bürger an Juden zu verschleiern.
Jaroslaw Kaczynski, stellvertretender Regierungschef in Polen, fordert von Deutschland 1,3 Billionen Euro Reparationszahlung.
Der Chef der Partei PiS, Jaroslaw Kaczynski, während seiner Wahlkampagne am 8. Oktober 2019 in Warschau.Foto: JANEK SKARZYNSKI/AFP via Getty Images
Von 14. September 2022

Die jüngsten polnischen Vorstöße bezüglich Reparationsforderungen gegen Deutschland aufgrund der Besatzungsschäden im Zweiten Weltkrieg haben gemischte Reaktionen ausgelöst. In einem 1.300 Seiten starken Bericht, den Polens Regierung Anfang September anlässlich des Jahrestags des deutschen Überfalls auf das Nachbarland im Jahr 1939 veröffentlichte, wurde die von Deutschland verursachte Gesamtschadenssumme auf 6,2 Billionen Zloty oder etwa 1,3 Billionen Euro taxiert.

Warschau werde offiziell Forderungen an Deutschland in dieser Höhe richten, kündigte der stellvertretende Regierungschef Jaroslaw Kaczynski an, berichtete „Reuters“. Es gehe um die „Entschädigung für den Tod von mehr als 5,2 Millionen polnischen Bürgern“.

Bereits 2019 hatte ein Abgeordneter der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) die Höhe möglicher Forderungen auf 850 Milliarden US-Dollar beziffert. Seit der Regierungsübernahme im Jahr 2015 hat die PiS das Thema mehrfach aufgeworfen, jedoch noch keine offiziellen Reparationsforderungen gestellt.

BdV: „Antideutsche Reflexe im Vorfeld des Wahljahres“

Von einer Belastung für das deutsch-polnische Verhältnis hat der Bund der Vertriebenen (BdV) im Zusammenhang mit den jüngsten Äußerungen aus Polen gesprochen. „Wir halten von diesen Forderungen gar nichts und betrachten sie als eine neuerliche innenpolitische Kampagne im Vorfeld der Wahlen 2023 in Polen“, sagte BdV-Präsident Bernd Fabritius dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Samstagsausgaben).

Wenn man eine ehrliche Debatte zu dem Thema führen wollen würde, dann müsste man „auch den Verlust von über 100.000 Quadratkilometern Land in den ehemaligen deutschen Ostgebieten unter anderem in Schlesien, Ostpreußen und Pommern ins Feld führen, wie auch das Schicksal von fast zehn Millionen deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen am Ende des Krieges“, so Fabritius weiter.

Es gehe der polnischen Regierung offenbar primär um „antideutsche Reflexe im Vorfeld der Parlamentswahlen im kommenden Jahr“, erklärte der Vertriebenenfunktionär weiter. Zudem sei es interessant, dass Polen keinerlei Rückforderungen an Russland, Weißrussland und die Ukraine stelle, an die Polen ja im Zuge der Grenzneuziehungen in Folge des Zweiten Weltkrieges selbst auch beträchtliche Territorien verloren habe, sagte der BdV-Präsident. „Wir halten das ganze Thema 77 Jahre nach Kriegsende für völlig irrelevant und nur dazu angetan, neue Ressentiments zu schüren.“

Auch der Führer der „Bürgerplattform“, der größten polnischen Oppositionspartei, Donald Tusk, sprach von einer „internen politischen Kampagne, um Unterstützung für die Regierungspartei zu mobilisieren“. In Kaczynskis Ankündigung gehe es „nicht um Reparationen“.

Mehrheit der Polen sieht Forderung nach Reparationen als berechtigt an

Laut einer Umfrage von IBRiS für den Internet-Nachrichtendienst Onet, über die „Euractiv“ berichtete, ist mehr als die Hälfte der Polen der Meinung, dass Deutschland ihnen immer noch Reparationen für den Zweiten Weltkrieg schuldet. Demnach sagen 52,1 Prozent der Befragten, dass Polen von Deutschland Reparationen für den Zweiten Weltkrieg fordern sollte. Demgegenüber erklären 34,5 Prozent, dass es dafür keine Grundlage mehr gäbe. Der Rest ist unentschlossen.

Eine Mehrheit von 74,5 Prozent glaubt unabhängig von der Frage, ob die Forderungen berechtigt seien, nicht, dass Deutschland Reparationen bezahlen werde. Nur 21,3 Prozent gehen von der gegenteiligen Annahme aus. 97 Prozent der PiS-Wähler sind der Meinung, dass Polen das Recht hat, Reparationen zu fordern. Bei den Anhängern der Opposition sind es nur 48 Prozent.

Insgesamt 68,8 Prozent der Befragten sind der Meinung, der Wahlkampf sei der Grund, warum die Frage nach den deutschen Reparationen nun im Raum stehe. Fast 25 Prozent sind anderer Meinung. Von den PiS-Wählern halten nur 18 Prozent die Reparationen für ein Wahlkampfthema. 81 Prozent halten sie für ein neutrales Thema, das nichts mit den bevorstehenden Wahlen zu tun habe.

Nur Ausdruck bilateraler politischer Verstimmungen?

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärte gegenüber dem Nachrichtenportal „Salon24.pl“, er werde sich „bis zu seinem Tod dafür einsetzen […], dass Deutschland für die Verbrechen bezahlt, für die es in keiner Weise Rechenschaft abgelegt hat.“ Dem Völkerrechtsexperten Mateusz Piątkowski von der Universität Lodz zufolge habe Polen das letzte Mal im Jahr 2004 Reparationsforderungen gestellt. Heute gebe es für das Land keine Grundlage mehr, um von Deutschland Kriegsreparationen zu fordern, sagte er der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“.

Die bisherige Entwicklung seit dem Beitritt Polens zur EU ließ erkennen, dass die Thematisierung der Reparationen durch Warschau immer dann stattfindet, wenn das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen politisch gespannt ist.

Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn in Polen eine konservative Regierung am Ruder ist. Deutschland ist in solchen Phasen bereits mehrfach als treibende Kraft hinter Sanktionsbemühungen der EU aufgrund angeblicher Rechtsstaatsmängel in Erscheinung getreten. Polen hat Berlin und Brüssel Einmischung in Polens innere Angelegenheiten vorgeworfen. Warschau versucht seinerseits insbesondere seit Beginn der russischen Militäroffensive in der Ukraine, Deutschland zu einer noch konfrontativeren Haltung gegenüber dem Kreml zu drängen.

Komplexer Friedensprozess lässt Fragen offen

In der Frage der Reparationen selbst steht die Regierung in Berlin auf dem Standpunkt, dass mit dem 1990 abgeschlossenen 2+4-Vertrag zwischen der BRD, der DDR und den Siegermächten UdSSR, USA, Großbritannien und Frankreich alle Reparationsforderungen erledigt sind.

Piątkowski erläutert in „Notes from Poland“ ausführlich die juristische Seite der Problematik und erklärt, dass die Komplexität des Friedensprozesses mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg die Wurzel der Unsicherheit rund um die Erledigung der Reparationsthematik sei. Einen offiziellen Friedensvertrag zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges gab es nicht, stattdessen eine Vielzahl an internationalen Vereinbarungen, an denen nicht immer alle Akteure selbst teilnahmen oder in voller Souveränität über Angelegenheiten, die sie betrafen, entscheiden konnten.

Im Potsdamer Abkommen wurde 1945 von den späteren Hauptsiegermächten vereinbart, dass die UdSSR, die nach dem Krieg die faktische Kontrolle über das polnische Territorium ausgeübt hatte, die polnischen Reparationsansprüche sicherstellen solle. Damals waren weder Deutschland noch Polen Vertragsparteien.

Souveränes Polen von Kommunisten über den Tisch gezogen?

Tatsächlich erhielt Polen als Staat nie eine nennenswerte finanzielle Entschädigung für die von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs verursachten Zerstörungen. Lediglich Einzelpersonen wie Opfer von Zwangsarbeit und pseudomedizinischen Experimenten sowie Lagerhäftlingen wurden von polnisch-deutschen Stiftungen symbolische Summen zugesprochen.

Polens Staats- und Parteichef Bolesław Bierut gab 1953 eine Erklärung ab, in der er ankündigte, dass Polen ab dem 1. Januar 1954 auf alle offenen Forderungen in Bezug auf Kriegsreparationen verzichten würde. Dies stellte er unter anderem der damaligen Regierung der DDR in Aussicht, damit diese unbelastet von Altschulden am „gemeinsamen Aufbau des Sozialismus“ teilhaben konnte.

Polens Regierung veröffentlichte oder verkündete den Verzicht nicht, lediglich die Presse hat ihn abgedruckt. Zudem argumentiert die heutige polnische Regierung, dass Polen unter Bierut ein nicht souveräner Satellitenstaat der Sowjetunion gewesen wäre und deshalb nicht rechtswirksam für einen souveränen polnischen Staat Erklärungen abgeben konnte.

Die deutsche Regierung betrachtet die Bierut-Erklärung hingegen als gültigen Verzicht, da er öffentlich erklärt wurde, und Polen habe später zweimal die rechtliche Bedeutung des Verzichts bestätigt. Das war im Jahr 1970, dem Jahr des Vertrags von Warschau, noch unter kommunistischer Führung, aber auch 2004 im Jahr des EU-Beitritts. Die deutsche Regierung erklärte damals im Gegenzug, individuelle Klagen auf Entschädigung gegen Polen durch deutsche Vertriebene nicht zuzulassen. Damals regierte in Polen die postkommunistische SLD.

Deutschland betrachtet allerdings auch den 2+4-Vertrag von 1990, an dessen Ausverhandlung Polen teilgenommen hatte, als Gelegenheit, zu der das Thema möglicher Reparationen abschließend geklärt worden wäre. Deutschland anerkannte in dem Dokument verbindlich die Oder-Neiße-Grenze und die Rede war von einer „endgültigen Regelung in Bezug auf Deutschland“. Polen selbst war jedoch keine Vertragspartei.

Historiker: „Polnische Verbrechen an Juden absichtlich ignoriert“

Unterdessen hat der in Polen geborene und heute an der Universität Ottawa lehrende Holocaust-Forscher Jan Grabowski scharfe Kritik am Inhalt des Berichts geäußert, den Polens Regierung zur Untermauerung ihrer Forderung gegen Deutschland vorgelegt hatte.

Wie die „Times of Israel“ berichtete, seien Grabowski zufolge auch Verbrechen an Juden auf polnischem Territorium darin aufgeführt worden, die nicht von deutschen Nationalsozialisten, sondern von polnischen Staatsangehörigen verübt worden seien – „was offensichtlich darauf abzielt, die polnischen Verbrechen während des Holocausts zu beschönigen“.

In der Liste der Gräueltaten seien auch Dörfer aufgeführt, die Schauplatz polnischer Pogrome gegen Juden waren. Darunter beispielsweise das Dorf Jedwabne, wo über 300 Juden von ethnischen Polen bei lebendigem Leib verbrannt wurden.

Direkte Angriffe von Polen gegen Juden seien 1941 vor allem in Ostpolen verübt worden, als Deutschland Gebiete von den Sowjets zurückeroberte, die diese seit 1939 auf der Grundlage des Ribbentrop-Molotow-Pakts kontrolliert hatten.

„Ich habe wirklich keine Ahnung, ob es sich um einen Akt der absichtlichen Verschleierung oder einfach um eine gedankenlose Aufnahme von unzuverlässigen Quellen aus den 1950er- und 1960er-Jahren handelt. Das kann ich nicht sagen“, erklärte Grabowski in einer E-Mail an die „Times of Israel“.

An anderer Stelle warf Grabowski den Verfassern vor, polnische Verbrechen an Juden absichtlich zu ignorieren. Der Bericht sei seiner Einschätzung zufolge „propagandistisch“ und ein „rein politisches Dokument ohne historischen Wert“.

(Mit Material von dts)



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