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Wurde der Kreml-Kritiker vergiftet? Mediziner kämpfen um das Leben von Alexej Nawalny

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Alexej Navalny nimmt an einem Marsch zum Gedenken an den ermordeten Kreml-Kritiker Boris Nemzow teil.

Foto: Getty Images | AFP | Kirill Kudryavtsev

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Lesedauer: 6 Min.

Nach der plötzlichen schweren Erkrankung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny kämpfen die Ärzte in Russland um sein Leben. Die behandelnden Mediziner auf der Intensivstation des Krankenhauses im sibirischen Omsk täten alles, „um sein Leben zu retten“, sagte der stellvertretende Direktor der Klinik, Anatoli Kalinitschenko, am Donnerstag vor Journalisten. Nawalny hatte nach Angaben seiner Sprecherin während eines Fluges plötzlich das Bewusstsein verloren, was sie auf eine absichtlich herbeigeführte Vergiftung zurückführte.
Der Kreml hat dem Regierungskritiker Alexej Nawalny unterdessen eine baldige Genesung gewünscht. „Wir wissen, dass er sich in einem ernsten Zustand befindet“, sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, am Donnerstag zu Journalisten in Moskau. „Wie jedem Bürger der Russischen Föderation wünschen wir ihm eine schnelle Genesung.“
Nach Angaben der Sprecherin Kira Jarmysch befand sich Nawalny auf dem Rückweg von der sibirischen Stadt Tomsk nach Moskau, als er plötzlich ohnmächtig wurde. Wegen des Vorfalls machte das Flugzeug in Omsk eine Notlandung. Vor dem Abflug in Tomsk habe Nawalny noch „völlig gesund“ gewirkt, sagte Jarmysch. Der 44-Jährige habe dort nur Schwarztee getrunken.
In den vergangenen Jahrzehnten hat es immer wieder Giftanschläge auf russische Aktivisten gegeben. Weltweit Schlagzeilen machte etwa der Nowitschok-Anschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia im März 2018 im englischen Salisbury. Beide entgingen nur knapp dem Tod. Westliche Geheimdienste beschuldigen die russische Regierung, den Anschlag als Vergeltung für Skripals Tätigkeit als Doppelagent veranlasst zu haben.
Seit rund einem Jahrzehnt kämpft Alexej Nawalny gegen Korruption und die Machtfülle von Russlands Präsident Wladimir Putin – und hat dafür mehrmals mit seiner Freiheit und sogar seiner Gesundheit bezahlen müssen. Der charismatische Anwalt, der in Yale studiert hat, wurde am Donnerstag in ein Omsker Krankenhaus eingeliefert und muss künstlich beatmet werden. Sein Umfeld geht davon aus, dass er vergiftet wurde. Sollte dies stimmen, wäre es nicht der erste Anschlag auf Leib und Leben des 44-Jährigen.
Nawalny war in der Vergangenheit bereits mehrfach attackiert worden. 2017 wurde er am Auge verletzt, als Angreifer ihn vor seinem Büro mit einer antiseptischen grünen Flüssigkeit besprühten. Im August vergangenen Jahres erlitt Nawalny in Polizeigewahrsam Hautausschläge und sein Gesicht schwoll an. Dennoch hat er stets geschworen weiterzumachen.
Er saß damals eine kurze Haftstrafe wegen Anstiftung zu ungenehmigten Protesten ab. Ärzte im Krankenhaus sagten anschließend, er habe eine allergische Reaktion erlitten, doch Nawalny forderte Ermittlungen wegen Vergiftung.
Nawalny hat sich durch Online-Videos, in denen er die Korruption der russischen Elite aufdeckt, eine junge Anhängerschaft erarbeitet. Unter anderem machten er und sein Team Details der palastartigen Anwesen von Putins Verbündeten publik – eine der Prunkvillen verfügt etwa über einen klimatisierten Raum nur für Pelzmäntel.
Mit seiner kompromisslosen Rhetorik und scharfzüngigen Bemerkungen sorgt er immer wieder für Aufsehen – so nennt er etwa Putins Regierungspartei konsequent „Partei der Gauner und Diebe“. 2011 stand er an der Spitze der Massenproteste, als in Moskau Zehntausende auf die Straßen gingen, um gegen Wahlfälschungen bei der Parlamentswahl zu demonstrieren.
Zwei Jahre später kandidierte der zweifache Vater für das Amt des Moskauer Bürgermeisters, musste sich aber Putins Verbündetem Sergej Sobjanin geschlagen geben. 2017 beschuldigte er den damaligen Regierungschef Dmitri Medwedew in einer Youtube-Dokumentation massiver Korruption und trat damit eine neue landesweite Protestwelle los.
Mehrfach musste sich Nawalny in umstrittenen Prozessen vor Gericht verantworten, die seine Anhänger als reine Vergeltungsakte für sein politisches Engagement werten. So wurde er etwa 2013 wegen Veruntreuung von Geldern bei einem staatlichen Unternehmen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und durfte fünf Jahre lang nicht für ein politisches Amt kandidieren. Damit durfte er auch nicht bei der Präsidentschaftswahl 2018 gegen Amtsinhaber Putin antreten.
Doch trotz der latenten Unzufriedenheit insbesondere der jungen Mittelschicht in den Städten ist Nawalny alles andere als eine Oppositionsfigur für die Massen. Viele Russen glauben der Regierungsdarstellung, dass er ein Gauner und ein Strohmann des Westens sei. Auch seine nationalistische Rhetorik und die Teilnahme an Aufmärschen ausländerfeindlicher Gruppierungen sorgen bei vielen für Empörung.
Präsident Putin weigert sich beharrlich, Nawalnys Namen in der Öffentlichkeit auszusprechen. Wird er direkt nach dem Oppositionellen gefragt, umschifft er den Namen meist mit Umschreibungen wie „die Person, die Sie erwähnt haben“.
Sein größter Coup gelang Nawalny im vergangenen Jahr bei den Kommunalwahlen, als zahlreiche Wähler seiner Taktik des „Smart Voting“ folgten und jeweils den aussichtsreichsten Oppositionskandidaten unterstützten. Die Regierungspartei verlor daraufhin im Moskauer Stadtrat mehrere Sitze.
Nach der Wahl wurden Nawalnys Büros wiederholt durchsucht und seine Anti-Korruptions-Stiftung von einem Gericht wegen „ausländischer Agententätigkeit“ zu mehreren hohen Geldstrafen verurteilt. Doch auch dieses Mal gab der Aktivist, der von sich selbst sagt, er habe sein Wissen über politische Taktik aus der US-Serie „House of Cards“, nicht auf. (afp)

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