Nach Terroranschlag: Wien unter Schock
Es ist ein lauer Herbstabend. Musikliebhaber genießen einen letzten Opernbesuch vor der erneuten Schließung der Kulturbetriebe, junge Leute trinken am Montagabend gegen 20.00 Uhr vor den Bars und Kneipen noch ein Abschieds-Gläschen vor dem Inkrafttreten des neuerlichen Corona-Lockdowns. Plötzlich erschüttern Schüsse das Szene- und Ausgehviertel Bermudadreieck in Wiens Bezirk Innere Stadt. Ein oder mehrere schwer bewaffnete Angreifer schießen offenbar wahllos in die Menge.
Zwei Frauen und zwei Männer werden tödlich verletzt, 24 weitere Menschen erleiden Verletzungen, mehrere von ihnen schweben am Dienstagvormittag (3. November) noch in Lebensgefahr.
Ein Augenzeuge schildert dem Fernsehsender ORF, für ihn habe es sich zunächst angehört wie Feuerwerk. Dann aber habe er gesehen, wie ein Angreifer die Straße entlanglief und „wild geschossen“ habe. In den Restaurants und Bars des Bermudadreiecks bricht Panik aus. Die Gäste werden aufgefordert, drinnen zu bleiben, die Lichter werden gelöscht, während draußen die Krankenwagensirenen heulen.
„Plötzlich sind ein paar Leute reingekommen und haben zu mir gesagt, ’nicht rausgehen, es gibt eine Schießerei'“, berichtet der Kellner Jimmy Eroglu. „Zuerst habe ich noch gedacht, dass da vielleicht ein amerikanischer Film gedreht wird oder dass sie zuviel getrunken haben.“
Doch dann hört auch der 42-Jährige Schüsse und schließt hastig die Tür. „Dann ist die Polizei gekommen und hat gesagt, ‚Sie müssen alle drinnen bleiben, weil es da hinten wahrscheinlich einen Toten gibt.'“
Bewohner hatten erst nichts mitbekommen
Auch die Fitnessstudios sind an diesem letzten Abend vor dem Lockdown gut besucht. Plötzlich gehen die Lichter aus, um den Angreifern keine Zielscheibe zu bieten. Im Dunkeln harren die Menschen in Ungewissheit aus.
Die Polizei ruft die Bewohner der österreichischen Hauptstadt zu größter Vorsicht auf: „Bleiben Sie zu Hause“, heißt es immer wieder auf Twitter. Hubschrauber kreisen über der Wiener Innenstadt, Polizeiabsperrungen werden errichtet, die Grenzkontrollen verstärkt. Hunderte Polizisten und Soldaten werden für die Suche nach dem oder den Tätern mobilisiert.
Robert Schneider wohnt nicht weit vom Tatort und tritt gerade aus dem Haus, als er sich plötzlich „mit zwei Laserpunkten auf der Brust“ wiederfindet. „Hände hoch, ziehen Sie die Jacke aus“, befehlen Polizisten dem völlig überrumpelten 39-Jährigen. „Wir hatten überhaupt nichts mitbekommen, nichts gehört“, berichtet er später. „Wir stehen unter Schock.“
Derweil verlassen die Besucher der Wiener Staatsoper unter Polizeieskorte das Gebäude und treten hinaus in die Nacht – in eine Stadt, die in den Ausnahmezustand getreten ist, während sie Startenor Roberto Alagna lauschten.
Um Mitternacht tritt der neue Corona-Lockdown in Kraft. Doch in diesen Stunden erscheint die Pandemie für viele Menschen in Wien auf einmal sehr weit weg.
Psychosoziale Dienste für die Betroffenen finden Sie hier:
- Corona-Sorgenhotline: (01) 4000 53000 von 8:00 bis 20:00 Uhr (nun auch Terror-Anlaufstelle)
- Psychiatrische Soforthilfe für Wien: (01) 31 330 rund um die Uhr
- Notfallpsychologischer Dienst Österreich: 0699 188 554 00 rund um die Uhr
- Kriseninterventionszentrum: (01) 406 95 95
- Servicetelefon der Kinder- und Jugendhilfe: (01) 4000 8011
(afp/sza)
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