
WHO vor Minimalkonsens zu Pandemieabkommen: Kampf gegen „Desinformation“ kein Thema mehr
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine erste Grundsatzeinigung für ein mögliches Pandemieabkommen verkündet. Noch offene Details sollen bis Dienstag geklärt werden. Brisante Passagen wie eine Verpflichtung zur Bekämpfung sogenannter „Desinformation“ fehlen im aktuellen Entwurf – ein Erfolg für Kritiker.

Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf (Archiv)
Foto: via dts Nachrichtenagentur
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Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die nach dem Austritt der USA mit deutlichen Einbußen an finanziellen Mitteln rechnen muss, darf sich über einen Prestigeerfolg freuen. Wie Ko-Verhandlungsleiterin Anne-Claire Amprou am Samstag, 12. April, mitteilte, haben die Mitgliedstaaten eine Grundsatzeinigung für ein mögliches Pandemieabkommen erzielt.
Am Dienstag will man noch offen gebliebene Punkte klären und einen endgültigen Text verabschieden. Im Dezember 2021 hatten die Mitgliedstaaten der UN-Organisation den Beschluss gefasst, ein internationales Pandemieabkommen auszuarbeiten. In diesem sollen Lehren aus der Corona-Pandemie gezogen und Mechanismen vereinbart werden, um die Zusammenarbeit im Pandemiefall zu verbessern.
WHO sieht vorläufigen Konsens als Erfolg
Der am Samstag verkündete Entwurf stellt im Kern einen Minimalkonsens unter den Mitgliedstaaten dar. Er unterscheidet sich in Charakter und Inhalt in vielen Punkten vom zuvor diskutierten Entwurf für einen Pandemievertrag. Können noch offene Fragen bis Dienstag geklärt werden, entstünde dadurch ein vorläufiger Konsens. Rechtsverbindlich wäre dieser nicht.
Der Konsens würde eine politische Absichtserklärung darstellen, die darauf gerichtet wäre, den Weg zu einem finalen Abkommen zu ebenen. Dieses müsste, um in Kraft zu treten, noch von den Unterzeichnerstaaten ratifiziert werden. Der vorhergehende Entwurf für den Pandemievertrag hatte umfassende, detailliertere und konkretere Bestimmungen enthalten.
Die Grundsatzeinigung fokussiert sich auf einige zentrale Themenbereiche, die auch Gegenstand der Verhandlungen zum Pandemievertrag waren. Dazu gehört der Technologietransfer an Schwellen- und Entwicklungsländer oder Zugang und Verteilung von Impfstoffen.
Informationspolitik zu Beginn der Pandemie verzögerte deren Bekämpfung
Zudem steht die Schaffung eines multilateralen Rahmens für den Austausch von Informationen über potenziell pandemische Erreger im Fokus der Grundsatzeinigung. Im Fall der Corona-Pandemie hatte das chinesische Regime über mehrere Wochen hinweg unzutreffende Informationen über den Charakter des SARS-CoV-2-Virus übermittelt.
Die WHO hatte diese zu Beginn auch nicht hinterfragt, obwohl Erfahrungen aus Nicht-Mitgliedstaaten wie Taiwan Zweifel an den Angaben des KP-Regimes geweckt hatten. Dies trug zu einer verzögerten internationalen Reaktion auf die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus bei. Die USA nannten das Vorgehen der WHO als einen der Gründe für ihren Austritt.
Die nunmehrige Grundsatzeinigung lässt auch Details zu spezifischen Mechanismen in Bereichen wie Finanzierung, Logistik, Forschung, Entwicklung und rechtliche Umsetzung offen. Auch bleiben Punkte wie der Zugang zu Pathogenen für die Forschung offen.
Technologietransfer und Zugang zu Impfstoffen als Streitthemen
Offen bleiben insbesondere Fragen wie Art und Umfang des Technologietransfers. Vor allem jene Staaten, die als bedeutende Pharmastandorte gelten, wollen diesen weiterhin freiwillig gestalten und sperren sich gegen Verpflichtungen in diesem Bereich. Pharmaunternehmen sperren sich insbesondere gegen Vorstöße, den Patentschutz für Impfstoffe und Medikamente auszuhöhlen.
Generell bleibt die Verteilung von gesundheitsbezogenen Ressourcen zwischen reicheren und ärmeren Ländern ein Streitthema. Während der Corona-Pandemie wurde mehrfach Kritik laut, reiche Länder hätten sich durch frühzeitige und überteuerte Exklusivverträge den primären Zugriff auf Impfstoffe gesichert. Später hätten sie qualitativ geringerwertige und teilweise nahe am Verfallsdatum angesiedelte Präparate an Entwicklungsländer abgegeben.
Einige US-Bundesstaaten haben auch Klagen gegen das chinesische Regime eingebracht. Sie werfen der Führung in Peking vor, sich durch Vertuschung der Wahrheit über den Charakter von SARS-CoV-2 Zeit verschafft zu haben, um weltweit Schutzausrüstung zusammenzuraffen. Diese habe in anderen Ländern gefehlt.
WHO will durch Vereinbarungen mit Pharmakonzernen Freiraum für Verteilung schaffen
Die WHO schlägt unter anderem vor, einen Teil der Produktion von Impfstoffen zu organisieren und einen Teil zu reduzierten Preisen zu erwerben. Die Pharmaunternehmen halten verbindliche Vereinbarungen in diesem Kontext jedoch nicht für zielführend. Auch deshalb finden sich in der Grundsatzeinigung lediglich unverbindliche Formulierungen und Absichtserklärungen.
Grundsätzlich gehen die Interessen auch hinsichtlich der Prioritäten auseinander, was ebenfalls im sich nunmehr abzeichnenden Minimalkonsens zum Ausdruck kommt. Die Industrieländer halten eine Optimierung der Überwachungssysteme für Krankheitsausbrüche für die dringlichste Herausforderung.
Der Globale Süden hingegen drängt auf gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung einer grundlegenden medizinischen Versorgung und der Bekämpfung endemischer Krankheiten wie Malaria oder Tuberkulose. Dieser Zielkonflikt trägt dazu bei, dass auch im Bereich der Pandemieprävention bislang keine tiefgreifenden Einigungen zustande gekommen sind.
Bedenken über eine mögliche Aushöhlung von Souveränität bleiben
Die Grundsatzeinigung klammert auch einige Themen aus, die im Kontext zuvor erarbeiteter oder diskutierter Entwürfe zu einem Pandemievertrag für Irritationen gesorgt hatten. So fehlt in der nunmehrigen Vereinbarung ein Passus wie der dortige Artikel 18. In diesem sollten sich die Unterzeichnerstaaten unter anderem zur Bekämpfung von „Desinformation“ verpflichten.
Dies wurde in vielen Ländern als Blankoscheck für Zensur und ein Angriff auf die Redefreiheit wahrgenommen. In der nunmehrigen Grundsatzeinigung ist von „Desinformation“ nicht mehr die Rede. Auch die Problematik der „essenziellen Gesundheitsdienste“ ist dort nicht angesprochen. Deren Reichweite war ebenfalls ein Streitpunkt. Vor allem rechtskonservative Regierungen wollten beispielsweise den Schwangerschaftsabbruch nicht als „essenziell“ akzeptieren.
Auch wenn die nunmehrige Grundsatzeinigung eine Entschärfung bestimmter Debatten bewirken könnte, bleiben in vielen Ländern Bedenken bezüglich der nationalen Souveränität. Ein Pandemievertrag würde der WHO keine hoheitlichen Befugnisse zukommen lassen. Auch wäre jeder Mitgliedstaat frei, anlässlich der Ratifizierung Vorbehalte zu deklarieren oder – laut nunmehrigem Konzept erstmals nach zwei Jahren – diesen zu kündigen.
Allerdings hatten insbesondere nationale Gerichte internationale Vereinbarungen wie das Pariser Klimaabkommen von 2015 mehrfach herangezogen, um den Spielraum der nationalen Gesetzgebung einzuschränken. Ähnliches befürchten Kritiker nun mit Blick auf einen möglichen Pandemievertrag.
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