Warum das Getreideabkommen zwischen Ukraine und Russland scheitern könnte
Das Getreideabkommen zwischen der Ukraine, Russland, der Türkei und der Vereinten Nationen (UN) soll helfen, die prekäre Ernährungssituation in Asien und Afrika zu bekämpfen. Denn seit dem Ukrainekrieg gibt es aus beiden Ländern, die als Kornkammern der Welt gelten, kaum Ausfuhren mehr.
Grund dafür sind die seit dem Krieg verhängten Exportstopps. Also versucht die UN, mit den beteiligten Partnern eine Lösung zu finden. Zwar sind laut Handelsblatt bereits 560.000 Tonnen ausgefahren worden. Kapitän John Conrad vom Blog „gCaptain“ spricht von lediglich 280.000 Tonnen.
Doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Etwa 20 Millionen Tonnen Getreide warten auf Transportschiffe. Und je länger das Korn in den Silos gelagert werden muss, desto höher ist die Gefahr, dass die Waren verderben. Zudem drängt die Zeit: Was sonst im Verlauf eines Jahres exportiert wurde, muss nun binnen Monaten die Häfen verlassen, damit es Platz für die neue Ernte gibt. Weitere 20 Millionen werden erwartet.
Zerstörte Brücken, zu wenig Diesel, kein geeignetes Gerät
Die Ukraine gilt als ideales Land für den Anbau von Getreide. Die klimatischen Voraussetzungen sorgen für optimale Ernten, während die vielen Flüsse einen schnellen Transport gewährleisten. Genau im letzten Punkt liegt das Problem. Durch den Krieg sind viele Flüsse in der östlichen Ukraine wie der Dniester gestört. Russland zerbombt Brücken, aber auch die Ukraine sprengt Flussüberquerungen, um die feindlichen Truppen aufzuhalten.
Eine weitere Herausforderung liefern die Schiffe selbst. Da Containerschiffe für den Transport von Getreide nicht geeignet sind, müssen spezielle Schüttgutschiffe verwendet werden. Doch die Ukraine besitzt nur eine überschaubare Anzahl dieser Schiffe. Problem hierbei ist auch die Gegebenheit der transportierten Ware selbst. Da Getreide bei Nässe aufquillt, sind in der Vergangenheit ganze Schiffe auseinandergebrochen.
In jedem Fall benötigt Getreide Diesel, denn egal, ob Traktor oder Mähdrescher, Transport-LKW oder -Schiff, alle brauchen Treibstoff. Da Pipelines in Kriegssituationen als zu vulnerabel gelten, muss man den Kraftstoff anderweitig transportieren und benötigt dadurch noch mehr Kraftstoff. Das UN-Abkommen bezieht sich zunächst jedoch nur auf Getreidefrachter, nicht aber auf Tankschiffe, sodass der Seetransport in diesem Fall ausfällt. Auch Ersatzteile werden knapp.
Getreideabkommen: ja, Versicherungsschutz: schlecht
Doch auch das Getreide im Hafen kann nicht einfach so exportiert werden. Da die Vereinten Nationen im Rahmen ihres Getreideabkommens nicht mit eigenen Schiffen auslaufen kann, benötigt sie die Unterstützung von Unternehmen. Beispielsweise besitzt das US-Unternehmen Cargill relevante Hafenanlagen in Odessa, die für das Be- und Entladen des Korns nötig sind. Doch auch sie sind nicht von den Unruhen verschont geblieben. Recht früh wurden eigene Schiffe angegriffen; seitdem ist es um das Unternehmen auffallend still.
Das Getreideabkommen verlangt zudem, dass sämtliche Verträge auf kommerzieller Basis abgeschlossen werden. Es müssen also Unternehmen das Getreide kaufen, den Transport organisieren und alles Formalitäten erledigen.
Hierbei spielen auch die Versicherungen eine große Rolle. Übliche Versicherungen für Schiffe wie Rumpf- und Maschinenschutz müssen mit einer Kriegsversicherungsklausel ergänzt werden. Diese ist jedoch sehr teuer. Der große britische Versicherer Lloyds erstellte eine Kriegspolice für Schiffe, die aus Odessa auslaufen. Mit einer maximalen Schadenssumme von 40 Millionen Euro riskieren Schiffseigner jedoch, dass sie ihre Schiffe nicht ersetzt bekommen. Dies führt dazu, dass sie lediglich kleinere, ältere und langsamere Schiffe einsetzen, was den Abtransport des Getreides weiter verzögert.
Sicherheit ist kaum gewährleistet
Ein wesentlicher Punkt ist der Personalmangel, der in der Ukraine herrscht. Viele Seeleute sind aktuell im Kriegseinsatz. Auch Inspekteure und Sicherheitskräfte, die für diese Einsätze elementar sind, fehlen. Erst seit September dürfen ukrainische Seeleute das Land verlassen – für Geschäftsreisen und nur bis zu sieben Tage. Wehrdienstfähigen Männern war die Ausreise bislang generell verboten. Die Frage ist jedoch auch: Werden diese Seeleute für diesen riskanten Einsatz extra entschädigt? Denn die größte Gefahr für die Schiffe sind die Minen im Schwarzen Meer.
Russland und die Ukraine verminten gerade die Seehäfen in einer bis dato kaum da gewesenen Größenordnung. Inzwischen haben sich einige Minen losgelöst und treiben durch das Meer. Jedes Schiff, das die Route vom Schwarzen Meer über den Bosporus ins Mittelmeer absolvieren will, muss mit speziellen minensuchenden Booten begleitet werden.
Hinzu kommen wichtige völkerrechtliche Gegebenheiten wie der Vertrag von Montreux, der seit 1936 den Schiffsverkehr im Bosporus regelt. In Artikel 19 ist festgelegt, dass kriegsführende Schiffe das Gewässer nicht passieren dürfen. Da Russland die einzige kriegsführende Partei ist, betrifft dies Moskau direkt. Doch die Türkei hat vorgesorgt. Um Russland, der wichtigste Getreidelieferant für Ankara, nicht zu verärgern, bestimmte Erdogan, dass auch keine Schiffe von NATO-Staaten durch den Bosporus fahren dürfen. Zwar formulierte der Präsident dies nur in Form einer Bitte, man kann aber davon ausgehen, dass sich die Staaten daran halten werden.
Ausgenommen sind lediglich Staaten, die selbst einen Zugang zum Schwarzen Meer haben. Dies sind Bulgarien, Rumänien und die Türkei. Doch diese Länder verfügen nicht über eine hoch ausgerüstete Marine wie die USA oder Großbritannien. Das wiederum bedeutet, dass die Schiffe, die das Getreide transportieren, de facto auf sich alleine gestellt sind, falls sie in Schwierigkeiten geraten.
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