Kursk: Wie ist die Lage? Was behaupten die Kriegsparteien?

Selenskyj sieht sich bei Kursk im Aufwind, Russland zählt halb so viele eingenommene russische Ortschaften wie die Ukraine behauptet. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
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Ukrainische Soldaten in einem Militärfahrzeug in der Region Sumy, nahe der Grenze zu Russland, am 12. August 2024. Seit dem 6. August eroberte die Ukraine mehr als zwei Dutzend Städte und Dörfer im größten grenzüberschreitenden Angriff auf russischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg.Foto: Roman Pilipey/AFP via Getty Images
Epoch Times14. August 2024

Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj sieht die Streitkräfte des Landes angesichts des Vormarsches im russischen Gebiet im Aufwind. „Die Ukraine kann ihre Ziele erreichen, ihre Interessen verteidigen und ihre Unabhängigkeit schützen“, sagte Selenskyj in seiner in Kiew verbreiteten abendlichen Videobotschaft.

Die ukrainische Armee habe inzwischen 74 Ortschaften im Gebiet Kursk eingenommen – doppelt so viele wie von russischer Seite behauptet.

Nach Angaben des russischen Gouverneurs der Region Kursk, Alexej Smirnow, sind 28 Orte unter Kontrolle des Gegners. Das ukrainische Projekt DeepState geht von etwa 44 russischen Ortschaften unter Kontrolle Kiews aus. Die Angaben beider Seiten sind nicht unabhängig überprüfbar.

Was sagt die Ukraine?

Der ukrainische Oberkommandierende Olexander Syrskyj berichtete im Gespräch mit Selenskyj, die eigenen Truppen seien in einigen Richtungen zwischen einem und drei Kilometern vorangekommen. Demnach eroberten die ukrainischen Streitkräfte zusätzliche 40 Quadratkilometer Fläche im Gebiet Kursk.

Syrskyj hatte zuvor berichtet, dass seit Beginn der Offensive am Dienstag vor einer Woche eine Fläche von etwa 1000 Quadratkilometern eingenommen worden sei.

Das wäre mehr als das Doppelte des Gebiets, das die russische Armee nach eigenen Angaben bei den Kämpfen im Osten der Ukraine seit Jahresbeginn eingenommen hat.

Was sagt Russland?

Bei einem Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin hatte der russische Gouverneur Smirnow am 12. August erklärt, dass die ukrainischen Streitkräfte auf einer Breite von 40 Kilometern entlang der Grenze bis zu 12 Kilometer tief in das Kursker Gebiet vorgedrungen seien. Ukrainische Quellen sprachen von etwa 30 Kilometern Tiefe.

Der Gouverneur der russischen Grenzregion Belgorod hat derweil den Ausnahmezustand ausgerufen. Die Lage in der Region bleibe aufgrund des Beschusses durch die ukrainischen Streitkräfte „extrem schwierig und angespannt“, erklärte Wjatscheslaw Gladkow am 14. August im Onlinedienst Telegram.

Der Ausnahmezustand werde ab Mittwoch auf „regionaler Ebene“ verhängt. Er stellte zudem einen Antrag, den föderalen Ausnahmezustand auszurufen.

Gladkow teilte weiter mit, es habe ukrainische Drohnenangriffe auf zwei Dörfer in der Region gegeben. Auch die Behörden der Regionen Kursk, Woronesch und Brjansk erklärten, dass Drohnen aus der Ukraine in der Nacht von der Luftabwehr abgeschossen worden seien.

Belgorod grenzt an die ukrainische Region Charkiw und an die russische Region Kursk. Dort hat die Ukraine eine Überraschungsoffensive gestartet. Der Gouverneur von Kursk hatte in der vergangenen Woche den Ausnahmezustand ausgerufen.

Welche Ziele verfolgt die Ukraine?

Mit der Bodenoffensive auf russischem Gebiet verfolgt die Ukraine nach Angaben Selenskyjs mehrere Ziele. Der Einfall seiner Truppen soll den Druck auf Moskau erhöhen, sich auf Friedensverhandlungen einzulassen. Damit komme ein gerechter Frieden näher.

Die eroberten Flächen kann Kiew bei Verhandlungen als Faustpfand nutzen, weil es seine von den russischen Truppen besetzten Gebiete im Osten und Süden der Ukraine zurückhaben will. Das Außenministerium in Kiew hatte betont, dass die ukrainische Seite anders als Russland kein fremdes Gebiet annektiere.

Deutlich machte Selenskyj zudem, dass er die neuen russischen Kriegsgefangenen für einen Austausch gegen Ukrainer brauche. Hunderte Russen hätten sich bereits in ukrainische Gefangenschaft begeben. Sie würden humaner behandelt als in der russischen Armee, sagte Selenskyj. Kiew und Moskau haben bereits mehrfach Gefangene ausgetauscht.

Selenskyj lobte erneut die in Russland einmarschierten ukrainischen Soldaten und ordnete an, dass sie ihr Geld und alles, was sie brauchen, ordnungsgemäß erhalten. „Wir brauchen jetzt alle die gleiche Einheit und Effektivität, die wir in den ersten Wochen und Monaten dieses Krieges gezeigt haben, als die Ukraine die Initiative übernommen hatte und begann, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden“, sagte der Präsident.

Wie reagiert Russland?

Die russischen Behörden versuchen, die Kontrolle wiederzuerlangen. Zwar wurde Moskau augenscheinlich bei Kursk überrascht, doch Russland gruppiert seine Streitkräfte neu und zieht einige Truppen aus der Ukraine ab, um sie in die Region Kursk zu verlegen. Als erste Reaktion auf die Angriffe hat Russland Raketen und Drohnen eingesetzt und Luftangriffe durchgeführt.

Russland verstärkt inzwischen seine Militärpräsenz in Kursk massiv, um den ukrainischen Überraschungsangriff zurückzuschlagen.

Russland verstärkt inzwischen seine Militärpräsenz in Kursk massiv, um den ukrainischen Angriff zurückzuschlagen. Foto: -/Russian Defense Ministry Press Service via AP/dpa

Der Kreml bezeichnet seine Reaktion als „Anti-Terror-Operation“, an der neben dem Militär auch die Sicherheitsdienste FSB und die Nationalgarde Rosgvardia beteiligt sind. Diese Bezeichnung erinnert an den Tschetschenienkrieg in den frühen 2000er Jahren.

Russland werde auf den ukrainischen Einmarsch in der Region Kursk reagieren, sagte Präsident Wladimir Putin und versprach Kiew eine „würdige Antwort“ auf seine Aktionen in den Grenzregionen. Die Hauptaufgabe besteht darin, „den Feind von unserem Territorium zu verdrängen“ und gemeinsam mit dem Grenzdienst die Staatsgrenzen zu sichern.

Die russischen Behörden betrachten den Angriff auf die Region Kursk als einen Versuch der Ukraine, ihre Position bei künftigen Verhandlungen zu verbessern, aber Moskau beabsichtigt nicht, unter den derzeitigen Bedingungen irgendwelche Treffen zu führen.

Russlands Streitkräfte setzen derweil ihre Offensive in der Ostukraine unabhängig von der Lage in Kursk fort.

Wie ist die Lage bei Kursk?

In der Region Kursk setzten die Behörden inmitten der schweren Kämpfe die Evakuierungen fort. Zehntausende Menschen mussten ihre Wohnungen und Häuser verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Nach offiziellen Angaben gibt es bisher zwölf Tote unter Zivilisten. Mehr als 120 Menschen seien verletzt worden.

Der amtierende Gouverneur Smirnow sprach den Menschen Mut zu und verwies darauf, dass die Rote Armee vor 81 Jahren im Zweiten Weltkrieg in der berühmten Schlacht bei Kursk die Großoffensive Nazideutschlands unter Diktator Adolf Hitler abgeschlagen habe.

Sie galt als die größte Panzerschlacht der Geschichte. Auch diesmal werde Russland den Sieg davontragen, sagte Smirnow. Er dankte zudem den Regionen Russlands, aus denen immer mehr humanitäre Hilfe komme.

Russische Militärblogger meldeten, dass die ukrainischen Streitkräfte ihre Versuche fortsetzten, in nördlicher Richtung gen Kurtschatow voranzukommen. Dafür nutzten sie Luftangriffe, berichtete der Kanal Rybar bei Telegram.

Im Kreis Korenewo würden Attacken der ukrainischen Streitkräfte zurückgeschlagen; südwestlich der Stadt Sudscha hätten die russischen Truppen aber im Ort Plechowo die Kontrolle verloren. Das russische Verteidigungsministerium machte – ebenfalls nicht verifizierbare – Angaben dazu, dass die Armee weiter die Versuche der ukrainischen Streitkräfte zurückschlage, tiefer in das Gebiet Kursk vorzustoßen. (red/dpa)



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