Ukraine: Dringlichkeitstreffen der EU geplant – USA schließen Europäer von Verhandlungen aus

Nach den verklausulierten Worten des amerikanischen Ukraine-Beauftragten Keith Kellogg ist es nicht vorgesehen, die Europäer an den Verhandlungen über einen Frieden in der Ukraine zu beteiligen. Dies sagte er beiläufig am 15. Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf eine entsprechende Frage aus dem Publikum.
Laut Presseberichten und einer Äußerung des Korrespondenten des „Bayerischen Rundfunks“, Vassili Golod, am 16. Februar in München sehen die USA bei den geplanten Verhandlungen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ihre Rolle zudem nur als neutraler Vermittler beziehungsweise als Schiedsrichter.
„Wie Kreide auf der Tafel“
Kellogg selbst legte auf der Münchner Sicherheitskonferenz bildhaft nach: Es sei nicht realistisch, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs bei den Friedensverhandlungen einbezogen würden. „Es mag wie Kreide auf der Tafel sein, es mag ein bisschen kratzen, aber ich sage Ihnen etwas, das wirklich ganz ehrlich ist“, gab sich Kellogg freundschaftlich.
Und weiter: „Meinen europäischen Freunden sage ich: Beteiligen Sie sich an der Debatte, nicht, indem Sie sich darüber beschweren, dass Sie, ja oder nein, am Tisch sitzen könnten, sondern indem Sie konkrete Vorschläge und Ideen einbringen und die [Verteidigungs-]Ausgaben erhöhen.“ Ein Grund für das Scheitern früherer Friedensgespräche sei Kelloggs Ansicht nach gewesen, dass zu viele Länder beteiligt gewesen wären. „Diesen Weg werden wir nicht beschreiten“, betonte Trumps Chefunterhändler für die Ukraine.
Europa soll Truppen stellen, USA kassieren ab
Einer Aussage des NATO-Generalsekretärs Mark Rutte zufolge haben die USA außerdem eine Anfrage an alle EU-Staaten und Großbritannien geschickt. Die Europäer sollen beantworten, wie viele Truppen sie bereit wären, einer Friedenssicherung in der Ukraine zur Verfügung zu stellen.
Die englische Tageszeitung „The Guardian“ zitiert einen nicht namentlich genannten europäischen Diplomaten, der am Rande der Sicherheitskonferenz gesagt haben soll: „Es sieht so aus, als ob Europa gebeten wird, ein Abkommen zu überwachen, bei dessen Verhandlungen er nicht direkt beteiligt war. In der Zwischenzeit versucht Donald Trump 50 Prozent der seltenen Mineralien der Ukraine zu kontrollieren.“
Macron ergreift Initiative
Aufgrund der möglichen Marginalisierung der Europäer bei den Friedensverhandlungen habe der französische Präsident Emmanuel Macron im unmittelbaren Anschluss an die Münchner Sicherheitskonferenz für Montag, 17. Februar, die führenden europäischen Staatschefs zu einer Dringlichkeitssitzung nach Paris einberufen. Dies gab am Samstag während einer Podiumsdiskussion der Sicherheitskonferenz der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski bekannt. Der französische Auslandssender „France24“ sowie zahlreiche Nachrichtenagenturen bestätigten die Aussage Sikorskis.
„France 24“ erklärte des Weiteren zum Hintergrund des geplanten Treffens: „Nach dem Druck von US-Präsident Donald Trump, den Krieg in der Ukraine zu beenden, verlagert sich der Fokus Europas nun auf die Frage, welche konkrete Rolle es bei der Bereitstellung von Sicherheitsgarantien für die Ukraine spielen und wie die kollektive Sicherheit Europas gestärkt werden kann.“
„Präsident Trump hat eine Vorgehensweise, die die Russen razvedka boyem – ,Aufklärung durch Kampf‘ – nennen. Man übt Druck und guckt dann, was passiert. Und dann erst ändert man seine Position. Das ist eine legitime Taktik. Und wir müssen reagieren“, ist der polnische Außenminister Sikorski der Meinung.
Frankreich und England übernehmen Führung
Für das Dringlichkeitstreffen in Paris seien der NATO-Generalsekretär Mark Rutte und die Staats- und Regierungschefs Deutschlands, Italiens, Großbritanniens und Polens eingeladen, berichtete am 16. September „The Guardian“ unter Berufung auf Quellen aus dem Amtssitz des britischen Premierministers Keir Starmer.
Dort soll es darum gehen, wie und wann der Ukraine eine Mitgliedschaft in der NATO ermöglicht werden kann, ein Ziel, das von Trump explizit nicht geteilt wird. Außerdem werde erörtert, wie der Ukraine Sicherheitsgarantien angeboten werden können, „entweder durch die NATO oder eine europäische Truppe“, berichten mehrere britische Presseorgane.
Keir Starmer will danach noch diese Woche die Ergebnisse persönlich in Washington dem amerikanischen Präsidenten vortragen. Vor der britischen Presse gab er bekannt: „Dies ist ein einmaliger Moment für unsere nationale Sicherheit, in dem wir uns mit der Realität der heutigen Welt und der Bedrohung, der wir durch Russland ausgesetzt sind, auseinandersetzen. Es ist klar, dass Europa eine größere Rolle in der NATO übernehmen muss, wenn wir mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten, um die Zukunft der Ukraine zu sichern und der Bedrohung durch Russland zu begegnen.“
Großbritannien werde sich dafür einsetzen, dass Europa und die USA „zusammenbleiben“. Starmer eindringlich: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Spaltungen im Bündnis von den äußeren Feinden, denen wir gegenüberstehen, ablenken.“
Während sich die Europäer in Paris über das weitere Vorgehen beraten wollen, ist ebenfalls für diese Woche ein Treffen von Trump mit Putin in Saudi-Arabien geplant, das Friedensgespräche zwischen Putin und Selenskyj vorbereiten soll.
Verständnis für die USA
Der britische Außenminister David Lammy machte in München eine weitere britische Position deutlich: „Wir wissen, dass dies [die Ukraine] die Front ist, nicht nur für die Ukraine, sondern für Europa. Wir wissen auch, dass Putin nicht verschwinden wird, selbst wenn wir zu einem ausgehandelten Frieden kommen. Das ist eine existenzielle Frage für Europa.“ Anders als alle anderen Europäer zeigte der Brite Lammy indes auch Verständnis für die Vorgehensweise der USA. Er verstehe, warum die USA sich nun auf ihre Sicherheitsinteressen im Pazifik konzentrierten, „wo China sowohl wirtschaftlich als auch militärisch eine Großmacht“ sei.
Der europäische und der indopazifische Raum seien derzeit mit ihren Problemen etwa gleich wichtig für die USA. Das sei schon im Zweiten Weltkrieg der Fall gewesen. Um Europas Probleme aber könnten sich die Europäer dieses Mal selbst besser kümmern. Indirekt deutete Lammy damit an, dass durch eine Entlastung der Europäer auf ihrem eigenen Kontinent die USA mehr Spielraum im Pazifik gegen das kommunistische China hätten.
Baerbock: „Moment der Wahrheit“
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) fand in München, die Welt erlebe einen „Moment der Wahrheit“. Sie bekräftigte das Recht Europas, an den Gesprächen teilzunehmen, und fügte hinzu, dass es „keinen langfristigen Frieden geben kann, wenn es keinen europäischen Frieden gibt“.
Selenskyj beklagte in München: „Vor ein paar Tagen erzählte mir Präsident Trump von seinem Gespräch mit Putin. Er erwähnte nicht ein einziges Mal, dass Amerika Europa braucht. Das sagt viel aus. Die alten Zeiten sind vorbei, als Amerika Europa nur deshalb unterstützte, weil es das schon immer getan hat“, warnte der ukrainische Präsident. Und weiter. „Keine Entscheidungen über die Ukraine ohne die Ukraine. Keine Entscheidungen über Europa ohne Europa.“
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk beteiligte sich laut der Nachrichtenagentur „Reuters“ über soziale Medien an der Debatte: „Europa braucht dringend einen eigenen Aktionsplan für die Ukraine und unsere Sicherheit, sonst werden andere globale Akteure über unsere Zukunft entscheiden.“
Die Wirkung von München
Die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz hat Geschichte geschrieben. Durch die Amerikaner. Sie waren zahlreich und namhaft vertreten, zuoberst durch Vizepräsident James David Vance, der in einer überraschenden Rede vermeintlich verlorengehende Meinungsfreiheit in Europa anmahnte und europäische Demokratien dadurch in Gefahr sieht.
Vor allem aber der zuvor schon angekündigte und in München bestätigte Alleingang des amerikanischen Präsidenten Donald Trump bei Friedensverhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin erregt die Gemüter der europäischen Staatslenker derart, dass sich ausgerechnet Großbritannien, das aus der EU ausgetreten ist, plötzlich auf eine europäische Initiative drängt, um nicht von den USA abgehängt zu werden. Der britische Premier Starmer will höchstpersönlich das Ergebnis eines Treffens europäischer Staatschefs im Oval Office in Washington vortragen, sofern Trump nicht diese Woche bereits in Saudi-Arabien mit Putin verhandelt.
Als offenkundiges Ergebnis der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz bleibt festzuhalten: Die in ihrer Entscheidungsfindung oft schwerfälligen und in ihrem Selbstverständnis oft selbstgefälligen Europäer wurden in mehrfacher Hinsicht von den Amerikanern überrumpelt. Möglicherweise hilft der EU aber genau eine solche Taktik, sich selbst einmal zu reflektieren, und effektiver und schneller gemeinsam zu Ergebnissen zu kommen und diese umzusetzen.
Über den Autor:
Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C. und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.
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