Trotz Krieg steigt die Nachfrage nach Immobilien in der Ukraine stark an

Im vergangenen Jahr wechselten 404.000 Häuser, Wohnungen und Grundstücke den Besitzer – 70 Prozent mehr als 2022. Vom wichtiger Infrastruktur weiter entfernte Objekte sind besonders gefragt.
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Immobilien in Kiew (Archivfoto) und Umgebung sind derzeit bei Käufern sehr gefragt.Foto: via dts Nachrichtenagentur
Von 21. Februar 2024

Die Beschreibung ist malerisch: Blick aufs Meer, jeden Abend ein fantastisches Schauspiel, wenn die Sonne am Horizont in den schaumigen Wogen zu verschwinden scheint. Eine Atmosphäre, die man sonst nur an der Côte d’Azur findet, verspricht die Anzeige eines Immobilienanbieters.

Luxusvilla im Kriegsgebiet

Wer die Villa mit zehn luxuriös ausgestatteten Zimmern kauft, residiert nicht an der französischen Küste, sondern am Cap Fiolent. Das Naturschutzgebiet liegt etwa neun Kilometer südlich von Sewastopol – einer Stadt auf der Krim. Dort tobt bekanntlich seit zwei Jahren ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine.

Trotz des militärischen Konflikts boomt der Handel mit Immobilien in der Ukraine, wie die „Welt“ (hinter einer Bezahlschranke) berichtet. Und um zu Eigentum zu gelangen, muss man nicht unbedingt sieben Millionen Euro auf der hohen Kante haben, um die Residenz „Misto Sevastopol“ zu erstehen, auch wenn die Preise – je nach Region – auch gestiegen sind.

Die überraschend große Nachfrage setzte im vergangenen Jahr ein. 404.000 Häuser, Wohnungen und Grundstücke wechselten laut dem Datenprovider Opendatabot den Besitzer. Die Zahl der Transaktionen ist damit gegenüber dem ersten Kriegsjahr 2022 um 70 Prozent gestiegen, liegt allerdings immer noch deutlich unter dem Ergebnis von 2021. In jenem Jahr gab es 631.000 neue Eigentümer.

Der Wunsch nach Normalität

Viele Ukrainer sind offenbar bereit, trotz der anhaltend unsicheren Lage im Land in Immobilien zu investieren. Den Wert der gehandelten Immobilien erfasst die offizielle Statistik jedoch nicht, so die „Welt“ weiter. „Die Menschen wollen ihrem Leben so normal wie möglich weiter nachgehen“, sieht Roman Gerasimchuk einen Grund darin, dass die Käufer trotz möglicher Schäden durch den Krieg in Immobilien investieren.

Gerasimchuk ist Gründer und Direktor von City Development Solutions, einem auf Immobilien spezialisierten Beratungsunternehmen in Kiew. „Das Risiko von Raketenangriffen sorgt dafür, dass Käufer sich eher für moderne Gebäude entscheiden.“

Sie seien stabiler als die alten Plattenbauten, würden bei Angriffen weniger stark beschädigt. „Selbst, wenn Trümmer auf moderne Gebäude fallen, müssen die Besitzer vielleicht zerstörte Fenster austauschen, aber das Gebäude selbst wird stehen bleiben“, sagt er.

Viele Menschen zieht es in die Westukraine

Es seien drei Käufergruppen, die den Markt ankurbelten. Die größte Gruppe seien Menschen, die innerhalb der Ukraine umzögen. Sei es, weil ihre eigenen vier Wände zerstört wurden oder ihre Heimatregion zu unsicher geworden ist. Sie hofften darauf, dass der Großraum Kiew und die Westukraine sicherer seien als andere Teile des Landes.

Es seien aber auch immer mehr Haushalte dabei, die der Staat entschädigt habe, weil ihre eigenen Häuser bei Angriffen zerstört worden seien. „Diese Gruppe ist klein und umfasst derzeit nur ein paar Hundert Personen, aber ihre Zahl steigt“, erläutert Gerasimchuk.

So sind ins westukrainische Lviv viele große Unternehmen gezogen. Deren Angestellte kaufen oder mieten Wohnungen. Die Konsequenz: Die Preise sind stark gestiegen. Auch in Dnipro, der viertgrößten ukrainischen Stadt, boomt der Markt, weil viele Menschen aus den von Russland besetzten Gebieten dorthin hinziehen, ergänzt der Immobilienfachmann. Die Stadt liegt etwa 400 Kilometer südöstlich von der Hauptstadt Kiew entfernt.

Hinzu kämen Ukrainer, die im Krieg dienen oder gedient haben. Die Vergütung für Soldaten und Sanitäter sei gemessen an den Lebenshaltungskosten hoch. Nach Währungsreform, Hyperinflation und ordentlichem Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren gelten Immobilien in der Ukraine als eine lukrative Möglichkeit zu Investition.

Bezugsfertige Wohnungen sind beliebt

Laut Gerasimchuk ziehen teilweise auch die Familien von Sanitätern und Soldaten in die neuerworbenen Immobilien. Hinzu kämen jene Ukrainer, die schon vor Kriegsausbruch eine Immobilie oder ein Grundstück kaufen wollten und den Kauf wegen des militärischen Konflikts verschoben haben. Investoren, die zuvor Wohnungen als Investition gekauft haben, um mit ihnen zu spekulieren oder sie zu vermieten, seien hingegen weitgehend vom Markt verschwunden.

Das habe auch die Nachfrage verändert. So berichteten Makler auf dem ukrainischen Baukongress, einer großen Fachkonferenz, dass sogenannte Binnenmigranten hauptsächlich weitgehend bezugsfertige Wohnungen suchen. In der Ukraine wie auch in anderen Ländern Osteuropas werden Wohnungen üblicherweise als fertiggestellter Rohbau verkauft.

Den Innenausbau übernehmen die Käufer in der Regel selbst. Nun, wo sich der Trend verändert, boomt das Geschäft von Unternehmen, die sich um die Innengestaltung kümmern. Dadurch klettern aber auch die Preise für die Dienstleistung. Sie liegen derzeit bei 300 bis 500 Dollar pro Quadratmeter.

Projektentwickler mit Problemen

Käufer würden mittlerweile erst dann aktiv, wenn die Immobilie bereits im Bau oder schon fertiggestellt ist. Das erschwere die Situation für Projektentwickler, die Probleme hätten, Wohnungen bereits vom Reißbrett zu verkaufen.

Allerdings müsse man sich gedulden, weil Bauarbeiten derzeit länger dauerten als früher. Viele Menschen hätten das Land verlassen; Männer seien zum Militärdienst eingezogen worden. Derzeit übersteige die Zahl der offenen Stellen im Bausektor die Zahl aller Arbeitslosen im Land.

„Was früher in neuen Wohnsiedlungen schlecht verkauft wurde, waren Parkplätze und Lagerräume, heute sind sie Verkaufsschlager“, berichtete Anna Laevsk, kaufmännische Leiterin von Intergal-Bud, auf dem bereits erwähnten Baukongress. „Parken ist wichtig, weil die Menschen Angst haben, ihr Auto im Freien stehenzulassen.“ Auch Lagerräume seien gefragt, weil Binnenmigranten häufig Hab und Gut aufbewahren müssten.

Sicherheitsaspekte sind wichtig

Aufgrund der derzeitigen Situation sei es auch wenig überraschend, dass Sicherheitsaspekte wichtiger würden. So legten Käufer und Mieter Wert auf eine Tiefgarage, die bei Bedarf zu einem provisorischen Schutzraum mit Belüftung, Heizung, Internet, Gegensprechanlage und Sitzplätzen genutzt werden könne.

Tiefgaragen seien bei modernen Bauten in Kiew Standard. Keller gälten hingegen allgemein als ungeeignet, um Unterschlupf bei Angriffen zu suchen. Vor allem dann, wenn die Attacken länger dauerten.

Die Lage der Immobilie ist für potenzielle Käufer entscheidend. Die Objekte sollten möglichst weit entfernt von wichtiger Infrastruktur liegen, da diese bevorzugt Ziele von Angriffen seien, sagt der Makler Yuriy Pita.

Demnach würden Flughäfen, Heizkraftwerke, strategisch wichtige Unternehmen und militärische Einrichtungen vermieden.

Und noch etwas hat sich geändert: „Käufer ziehen jetzt andere Stockwerke vor und wollen vor allem in den unteren Stockwerken wohnen“, sagt Gerasimchuk. Und ergänzt trocken: „Einen Panoramaausblick will keiner mehr.“



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