Taliban an der Macht – Armee will nicht kämpfen: „Soldaten schützen lieber eigene Familie“
Zwischen 3,2 und vier Billionen US-Dollar soll der Einsatz der NATO-Truppen in Afghanistan seit 2001 gekostet haben – neben dem Kampfeinsatz selbst schlugen dabei Kosten wie 83 Milliarden US-Dollar für die Ausbildung der afghanischen Armee und für Projekte zum Aufbau einer Zivilgesellschaft zu Buche. Nun kehren die westlichen Soldaten zurück, und die Taliban rücken binnen weniger Wochen in die Hauptstadt vor.
Fall von Hauptstädten an Taliban erst für Herbst befürchtet
Noch unmittelbar vor dem Abzug der US-amerikanischen Verbände gingen Präsident Joe Biden und namhafte Berater seiner Regierung davon aus, dass eine vollständige Übernahme des Landes durch die radikal-islamischen Milizen unwahrscheinlich sei.
Man rechnete damit, dass es noch einige Provinzen geben würde, in denen die Taliban die Oberhand erlangen würden. Gleichzeitig rechnete man jedoch damit, dass die Hauptstadt Kabul und einige weitere bedeutende Städte und Provinzen von der regulären Armee gehalten werden würden.
Auf dem Papier war die Einschätzung auch realistisch. Die USA hatten die Armee nicht nur ausgebildet, sondern auch mit Waffensystemen ausgestattet, die jenen der Taliban überlegen waren. Selbst wenn es den Taliban tatsächlich gelingen sollte, weitere Provinzhauptstädte oder gar die Hauptstadt Kabul selbst einzunehmen, rechneten Regierungsbeamte damit, dass dies frühestens im Herbst geschehen würde, so das „Wall Street Journal“. Mittlerweile wird eine Deadline bis zum 31. August für die Abschiebung westlicher Diplomaten angenommen – Tendenz: sinkend.
Afghanistans Armee hätte gegenhalten können
Über die Gründe des unerwartet schnellen Zusammenbruchs der Front wird nun gerätselt. Im „Business Insider“ bestätigt die in London ansässige Analystin Alia Shoaib, dass es nicht am Training oder an der Ausstattung gelegen habe, dass die afghanische Armee sich in den Tagen nach dem Abzug der NATO dem Taliban-Vormarsch nicht mehr in den Weg gestellt habe.
Es wäre vielmehr ein Unwille gewesen, zu kämpfen, der dazu geführt habe, dass Soldaten ihre Posten kampflos räumten – einige haben Informationen zufolge immerhin NATO-Gerät wie Kampfhubschrauber genutzt, um außer Landes zu gelangen.
In Summe habe der Wunsch, die eigene Familie zu verteidigen und diese vor dem Verlust des Ernährers oder möglichen Racheakten zu schützen, jenen überwogen, die Regierung des bereits ins Ausland geflohenen Ashraf Ghani zu schützen.
Biden: „Haben alle Mittel zur Verfügung gestellt“
„Wir haben unseren afghanischen Partnern alle Mittel zur Verfügung gestellt – ich betone: alle Mittel“, hatte US-Präsident Joe Biden anlässlich der Verkündung des Abzugs der amerikanischen Truppen erklärt. Allerdings haben, wie Insider vor Ort dem Magazin „Foreign Policy“ anvertrauten, diese nicht in adäquater Weise davon Gebrauch gemacht.
Es seien Misswirtschaft vor Ort und Korruption, welche die Soldaten demoralisiere. Quellen zufolge sei die afghanische Polizei seit Monaten vom Innenministerium nicht bezahlt worden und in der Armee sei die Lage nicht wesentlich besser.
Viele Soldaten und Polizisten würden auch in Gebieten eingesetzt, die weit von ihrer Heimat entfernt seien. Die Präsidentschaftswahlen von 2020 werden von vielen Afghanen als geschoben betrachtet. Auch deshalb betrachten viele Einsatzkräfte Ghani nicht als legitimen Präsidenten, den sie freiwillig mit Leib und Leben verteidigen würden.
„BBC“ vermutete schon früher geschönte Angaben über Stärke der Armee
Ursprünglich soll die offizielle Armee über 300.000 Mann und von der NATO überlassene Munition verfügt haben. Die Taliban selbst verfügten über 60.000 Kämpfer – rechnet man Stammesführer mit, die sich mit ihnen verbündet haben, über bis zu 200.000. Die „BBC“ mutmaßte schon früh, dass die Zahlen über die afghanischen Streitkräfte geschönt sein könnten.
Den Taliban sei es zudem gelungen, Flugzeuge der Luftwaffe abzuschießen und deren Piloten zu ermorden, die oft über eine jahrelange Ausbildung verfügen und schwer zu ersetzen waren. Vielfach schafften sie es auch, sich Waffenlager der afghanischen Streitkräfte anzueignen und neben westlichen Waffen auch an Humvees, Kleinwaffen, Munition oder sonstiges Gerät zu gelangen.
Ashraf Ghani kündigte zu Beginn der Vorwoche noch eine „Remobilisierung der Sicherheits- und Verteidigungskräfte“ an, um „weitere Instabilität, Gewalt und die Vertreibung meines Volkes zu verhindern“. Mittlerweile haben die Taliban jedoch auf ihre Weise Stabilität hergestellt.
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