Stichwahl im Iran: Der gesprächsbereite Doktor gegen den kompromisslosen Kader

Über das Präsidentenamt im Iran wird kommenden Freitag in einer Stichwahl entschieden.
Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei verlässt das Gebäude nach der Stimmabgabe während der Präsidentschaftswahlen.
Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei verlässt das Gebäude nach der Stimmabgabe während der Präsidentschaftswahlen.Foto: Vahid Salemi/AP/dpa
Epoch Times29. Juni 2024

Um die Nachfolge des tödlich verunglückten Präsidenten Ebrahim Raisi ringen zwei in vielerlei Hinsicht gegensätzliche Kandidaten:

Der Reformer: Massud Peseschkian

Ihn hatte vor Kurzem noch niemand auf dem Zettel. Doch trotz seiner begrenzten Regierungserfahrung holte der einzige Kandidat aus dem Reformer-Lager bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am Freitag die meisten Stimmen – immerhin gut 42 Prozent entfielen auf den „Doktor“, wie viele Iraner den Herzchirurgen Peseschkian schlicht nennen.

Seit Beginn des Wahlkampfs spricht sich der Reformer für eine Entspannung der Beziehungen zum Westen, insbesondere zu den USA, aus. Er will auf diese Weise eine Lockerung der Sanktionen erreichen, die Irans Wirtschaft und Bürgern schwer zusetzen. Zu diesem Zweck will Peseschkian sogar die Gespräche mit dem Westen über das iranische Atomprogramm wiederbeleben, die seit dem Rückzug der USA aus dem Atomabkommen im Jahr 2018 in einer Sackgasse stecken.

Innenpolitisch steht Peseschkian für einen liberaleren Kurs. So wandte er sich im Wahlkampf gegen gewaltsames Einschreiten der Polizei, wenn Frauen den islamischen Schleier nicht ordnungsgemäß tragen. Er sei gegen „jedes gewaltsame und unmenschliche Verhalten“, sagte er – „insbesondere gegen unsere Schwestern und Töchter, und wir werden nicht zulassen, dass sich solche Taten wiederholen“.

Schon während der landesweiten Massenproteste, die durch den Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini im September 2022 nach ihrer Festnahme wegen angeblicher Verstöße gegen die strengen muslimischen Kleidervorschriften ausgebrochen waren, hatte Peseschkian Kritik am Vorgehen der Behörden geübt.

Am Samstag rief er seine Anhänger auf, auch am kommenden Freitag für ihn abzustimmen, um „das Land vor Armut, Lügen, Diskriminierung und Ungerechtigkeit zu retten“.

Peseschkian sitzt seit 2008 für die nordiranische Großstadt Täbris im Parlament. Von 2001 bis 2005 war er Gesundheitsminister unter dem Reformer-Präsidenten Mohammed Chatami. Dieser sowie der frühere gemäßigte Präsident Hassan Ruhani und der Ex-Außenminister und Architekt des Atomabkommens, Dschawad Sarif, unterstützten Peseschkians Präsidentschaftskandidatur.

Im Wahlkampf trat der 69-Jährige bescheiden auf. Der Familienvater, der nach dem Tod seiner Frau und eines seiner Kinder bei einem Autounfall im Jahr 1993 seine übrigen drei Kinder allein aufzog, präsentierte sich als die „Stimme derjenigen ohne Stimme“. Er versprach, sich im Falle eines Wahlsiegs um die Schwächsten der Gesellschaft zu kümmern.

Seine Herkunft prädestiniert Peseschkian außerdem dafür, für Minderheiten einzutreten. Er wurde 1954 in Mahabad in der Rand-Provinz West-Aserbaidschan geboren und spricht außer Persisch auch Aserbaidschanisch und Kurdisch.

Der Hardliner: Said Dschalili

„Kein Kompromiss, keine Kapitulation“ – mit diesem Sprechchor stellten sich Dschalilis Anhänger im Wahlkampf hinter ihn. Der 58-Jährige vertritt eine harte Haltung im Verhältnis zum Westen, wie sich schon in seiner Zeit als Atom-Chefunterhändler von 2007 bis 2013 zeigte.

In den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm war er zu keinen Zugeständnissen bereit. Das schließlich 2015 geschlossene Atomabkommen seines Landes mit den USA und anderen westlichen Staaten kritisierte er als Verletzung von „roten Linien“ der Islamischen Republik.

Dschalili kam 1965 in der nordostiranischen Stadt Maschhad als Spross einer frommen Mittelstandsfamilie zur Welt. Er kämpfte im Ersten Golfkrieg und verlor an der Front durch ein Schrapnell seinen rechten Fuß. In der Folge erwarb er einen Doktortitel in Politik der Teheraner Imam-Sadegh-Universität, die die politischen Kader der Islamischen Republik ausbildet, und schlug eine politische Karriere ein.

Anfang der 2000er Jahre gehörte Dschalili dem Büro des geistlichen Führers des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, an. Unter dem populistischen Hardliner-Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad wurde er Vize-Außenminister für Europa und Südamerika. Bei der Präsidentschaftswahl 2013 belegte Dschalili mit einem Stimmenanteil von nur elf Prozent den dritten Platz. 2021 zog er seine Kandidatur zu Gunsten des ultrakonservativen Kandidaten Raisi zurück, der gewann.

Nach Raisis Tod bei einem Hubschrauberabsturz im Mai hat Dschalili nun die Chance, selbst Präsident zu werden. In der Stichwahl könnte er das zersplitterte konservative Lager einen und die Stimmen der beiden ausgeschiedenen konservativen Bewerber holen. Der drittplatzierte Kandidat Mohammed-Bagher Ghalibaf und zwei unmittelbar vor der ersten Wahlrunde ausgestiegene konservative Kandidaten riefen ihre Anhänger bereits auf, für Dschalili zu stimmen. In der ersten Runde erzielte Dschalili mehr als 38 Prozent.

Außerdem weiß Dschalili das Vertrauen Chameneis hinter sich. Dieser hat ihn als einen seiner Vertreter in den Obersten Rat für nationale Sicherheit, das höchste sicherheitspolitische Gremium des Landes, entsandt. (afp)



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