Sorge um nationale Souveränität: Großbritannien will Pandemievertrag nicht unterzeichnen

Kurz vor Ende des zweiwöchigen Verhandlungsmarathons um den Pandemievertrag und die Internationalen Gesundheitsvorschriften erteilen die Briten dem aktuellen Entwurf eine Absage. Behörden wollen nicht einen Teil ihrer Medikamente und Impfstoffe im Ernstfall an die WHO abgegeben, sondern selbst über den Umgang damit entscheiden.
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Treten Pandemievertrag und Internationale Gesundheitsvorschriften in Kraft, könnte der von niemandem gewählte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus der mächtigste Mann der Welt und mit seinen Befugnissen in die Selbstbestimmung der Mitgliedsstaaten eingreifen.Foto: FABRICE COFFRINI/AFP via Getty Images
Von 10. Mai 2024

Derzeit laufen bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Verhandlungen um den Abschluss eines Pandemievertrages und eine Überarbeitung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR). Die zweiwöchigen Gespräche in Genf, an denen Vertreter der 194 Mitgliedsstaaten teilnehmen, enden am Freitag, 10. Mai 2024.

Nur wenige Länder sind offen kritisch

Sie laufen allerdings seit geraumer Zeit nicht so, wie sich WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus vorstellt. Er warb wiederholt für die angebliche Notwendigkeit eines solchen Vertrags. Bisher hatte nur die Slowakei kürzlich mitgeteilt, ihn nicht unterzeichnen zu wollen.

Die Niederlande wollen den Unterschrifttermin Ende Mai verschieben, Unmut kommt auch aus den USA. In der Schweiz warnt der frühere Bundesrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Ueli Maurer, vor dem Pandemievertrag und Gesundheitsvorschriften. Der 73-Jährige hält die beiden Kontrakte für „gefährlich“.

Den Eidgenossen bliebe bei der Umsetzung von Vorgaben der WHO im Pandemiefall lediglich ein kleiner Spielraum. Daher fordert Maurer: „Man muss alles unternehmen, damit die Schweiz diese Verträge nicht unterschreibt.“ Die Länder fürchten um ihre Souveränität.

Anders dagegen in Deutschland, wo es eine breite politische Zustimmung gibt, lediglich die AfD und ein CDU-Bundestagsabgeordneter lehnten das Schriftwerk im vergangenen Jahr ab.

Nun hat sich Großbritannien ebenfalls auf die Seite der Abtrünnigen gestellt und erklärt, dass es seine Unterschrift unter das Papier in seiner derzeitigen Ausführung verweigern wird.

Länder sollen 20 Prozent ihrer Gesundheitsprodukte an WHO abgeben

Wie „The Telegraph“ schreibt, ist ein Stein des Anstoßes der, dass das Land verpflichtet werden soll, ein Fünftel seiner Impfungen abzugeben. Großbritannien lehne solche Verpflichtungen im Zusammenhang mit Impfungen strikt ab. Ein Pandemieabkommen, das die britische Souveränität untergrabe, werde man nicht unterzeichnen.

Der aktuelle Vertragsentwurf sieht laut „The Telegraph“ vor, dass alle 194 Mitgliedsstaaten 20 Prozent der „pandemiebezogenen Gesundheitsprodukte“ an andere Länder abgeben, die sie dringend benötigten. Auch wäre es den Ländern verboten, Vorräte anzulegen. Das gelte unter anderem auch für Impfstoffe.

In dem WHO-Dokument heiße es, dass die von den Vereinten Nationen geleitete Organisation „Echtzeit-Zugang“ zu je zehn Prozent dieser Produkte kostenlos beziehungsweise „zu erschwinglichen Preisen“ erhalten würde.

Großbritannien wolle den Pandemievertrag nur dann unterzeichnen, wenn das Land die Impfstoffe nur im Zusammenhang mit eigenen nationalen Interessen verwenden kann. Die Behörden wollten selbst entscheiden, wann Produkte im eigenen Land zum Einsatz kommen und wann sie weltweit verkauft werden.

Die gemeinsame Nutzung von zum Beispiel Impfungen stelle für viele Länder eine rote Linie dar. Während ärmere Nationen diese Regelung mit Blick auf eine gerechtere Behandlung befürworten, fürchten reichere Länder einen Autonomieverlust zugunsten der WHO.

Ein zentraler Aspekt des Vertrags, das WHO-System für den Zugang zu Krankheitserregern und den Vorteilsausgleich (Pathogen Access and Benefits Sharing System, PLABS), wurde bereits auf 2026 verschoben. Die Länder hätten sich nicht darauf einigen können, wie die Verteilung von Virusproben und genetischen Informationen für Forschungszwecke rechtlich durchgesetzt werden soll.

WHO-Chef Tedros wirbt für einvernehmliche Lösung

Experten hatten laut „The Telegraph“ davor gewarnt, dass am Ende der zweiwöchigen Marathongespräche vor dem Hintergrund der grundlegenden Meinungsverschiedenheiten ein schwammiger Kompromiss vereinbart und unterzeichnet werde, bevor der Vertrag bei der Weltkonferenz der WHO Ende Mai offiziell verabschiedet werde.

Dr. Clare Wenham, außerordentliche Professorin für globale Gesundheitspolitik an der London School of Economics, erklärte gegenüber der britischen Tageszeitung: „Es bleibt abzuwarten, was auf bilateraler Ebene geschehen muss, um dieses Ergebnis zu erreichen, aber es würde mich nicht überraschen, wenn hinter den Kulissen Absprachen getroffen werden, damit Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen einwilligen.“

Der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus warb für eine gütliche Lösung in der Diskussion um die Impfstoffe. In Genf sagte er: „Geben Sie den Menschen in der Welt, den Menschen in Ihren Ländern, den Menschen, die Sie vertreten, eine sicherere Zukunft.“

Ein Sprecher des britischen Ministeriums für Gesundheit und Soziales machte wiederum deutlich: „Wir werden die Annahme des Abkommens nur dann unterstützen und im Namen des Vereinigten Königreichs akzeptieren, wenn es fest im nationalen Interesse des Vereinigten Königreichs ist und die nationale Souveränität respektiert.“



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