Selenskyj: Ukraine zu Diskussion über Neutralität bereit
In den Verhandlungen über ein Ende des Kriegs in der Ukraine will die Regierung in Kiew die Frage der von Russland geforderten Neutralität des Landes „gründlich“ prüfen. Dies sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Sonntag in einem Interview mit mehreren unabhängigen russischen Medien. Die Konfliktparteien wollen am Montag oder Dienstag eine neue Verhandlungsrunde in Istanbul starten.
„Dieser Punkt der Verhandlungen ist für mich verständlich und er wird diskutiert, er wird gründlich geprüft“, sagte Selenskyj in dem Interview mit mehreren russischen Medien. Eine Neutralität der Ukraine ist eine der russischen Hauptforderungen in den Verhandlungen über einen Waffenstillstand. Der Kreml hatte unlängst das Modell Schwedens oder Österreichs als mögliches Vorbild genannt. Die Ukraine würde bei einem solchen Neutralitätsmodell auf einen Beitritt zur Nato verzichten müssen, was Selenskyj aber bereits in Aussicht gestellt hat.
Selenskyj warnte allerdings vor einer Einigung „im Stil der Budapester Memoranden“. 1994 hatten sich Russland und drei weitere Ex-Sowjetrepubliken, darunter die Ukraine, auf eine Abgabe der sowjetischen Atomwaffen an Russland unter der Bedingung von russischen Sicherheitsgarantien für die anderen Länder geeinigt. Ein neues Abkommen zwischen den Kriegsparteien müsse zudem „zwingend von den Parlamenten der Garantiestaaten ratifiziert werden“, forderte Selenskyj, der auch die Absicht einer Volksabstimmung über ein Friedensabkommen bekräftigte.
Der ukrainische Staatschef erklärte außerdem, dass ein Sieg für die Ukraine darin bestünde, wenn sich die russischen Truppen in die von pro-russischen Separatisten kontrollierten Gebiete im Osten „zurückziehen“. „Von dort aus werden wir versuchen, die Donbass-Frage zu lösen“, sagte Selenskyj, der betonte: „Wir verstehen, dass es unmöglich ist, das Gebiet vollständig zu befreien.“ Eine Rückeroberung der Gebiete würde „den Dritten Weltkrieg“ auslösen. Selenskyj zufolge sind bereits „etwa“ 20.000 Menschen in dem Krieg gestorben.
Verhandlungen in der Türkei
Die russische Medienaufsicht Roskomnadsor warnte die Medien vor einer Ausstrahlung des Interviews und drohte mit der Einleitung von „Ermittlungen und Maßnahmen“.
Unterdessen vereinbarten die Kriegsparteien in ihren Gesprächen per Videokonferenz, „die nächste Runde in Präsenz in der Türkei vom 28. bis 30. März abzuhalten“, teilte der ukrainische Unterhändler David Arachamia mit. Der russische Chefunterhändler Wladimir Medinski bestätigte eine neue Verhandlungsrunde, sprach aber von Dienstag und Mittwoch.
Laut türkischen Angaben sollen die Verhandlungen in Istanbul stattfinden. Darauf hätten sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Telefonat verständigt, teilte die türkische Präsidentschaft mit. Ein genauer Termin wurde nicht genannt.
Erste Verhandlungen auf Ministerebene am 10. März im türkischen Antalya hatten keine konkreten Fortschritte im Bemühen um eine Waffenruhe in der Ukraine gebracht. Seitdem wurden die Gespräche per Videokonferenz fortgesetzt. Beide Konfliktparteien bezeichneten sie zuletzt als „schwierig“.
Russland will sich auf Osten konzentrieren
Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes fürchtete unterdessen eine Teilung der Ukraine, ähnlich wie bei Nord- und Südkorea. Es gebe „Gründe anzunehmen“, dass Putin eine Trennungslinie „schaffen will zwischen den besetzten und den nicht besetzten Gebieten unseres Landes – ein Versuch, Süd- und Nordkorea in der Ukraine zu schaffen“, schrieb Kyrylo Budanow auf Facebook.
Zuvor hatte die russische Armee verkündet, sich künftig auf die „Befreiung“ der Donbass-Region im Osten der Ukraine konzentrieren zu wollen. Der Seperatisten-Anführer in Luhansk, Leonid Pasetschnik, schlug ein Referendum über den „Beitritt“ zu Russland „in naher Zukunft“ vor.
Der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleg Nikolenko, verurteilte den Vorschlag als Teil der fortgesetzten russischen Bemühungen, „die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zu untergraben“. Er schrieb auf Twitter: „Alle Scheinreferenden in den vorübergehend besetzten Gebieten sind null und nichtig und werden keine Legitimität haben.“ Auch Selenskyj sagte in seiner abendlichen Videobotschaft: „Die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine stehen außer Zweifel.“ (afp/red)
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