Schweizer stimmten über CO2-Gesetz ab

Der Schweizer Bundesrat musste am 13. Juni eine herbe Niederlage einstecken. Nur in fünf städtisch geprägten Regionen erreichte das CO2-Gesetz, mit dem die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens umgesetzt werden sollten, eine Mehrheit. Die Landbevölkerung entschied sich dagegen.
Von 14. Juni 2021

Am Wochenende entschieden sich die Schweizer dafür, das CO2-Gesetz ihrer Regierung abzulehnen. Mit 51,6 Prozent der Stimmen erlebte der Bundesrat eine bittere Niederlage. Mit dem schon mehrfach umgeänderten Gesetz wollte die Schweiz ihren Treibhausgasausstoß bis zum Jahr 2030 gegenüber dem Wert von 1990 halbieren.

Städter sagen JA, Menschen auf dem Land NEIN

Lediglich in den fünf städtisch geprägten Regionen Basel-Stadt, Genf, Neuenburg, in der Waadt und in Zürich erreichte das Bundesgesetz zur Verminderung von Treibhausgas-Emissionen (CO2) eine Mehrheit.

In ländlich geprägten Kantonen wurde das CO2-Gesetz geschlossen abgelehnt, teilweise mit über 65 Prozent Nein-Stimmen (Uri, Schwyz). Über 60 Prozent wurde in den Kantonen Wallis, Obwalden, Niedwalden, Glarus und Appenzell Innerrhoden erreicht.

Das Gesetz sah unter anderem vor, dass Immobilien saniert und die CO2-Abgabe auf Heizöl und Erdgas erhöht werden sollen. Der Benzinpreis sollte steigen. Auch das Fliegen sollte mit einer Flugticketabgabe von 30 Franken auf Europaflügen und 120 Franken auf Interkontinentalflügen verteuert werden. Zudem sollte ein Klimafonds geschaffen werden.

Es wurden 1,671 Millionen Nein-Stimmen und 1,568 Millionen Ja-Stimmen abgegeben. Die Stimmbeteiligung war ungewöhnlich hoch, sie betrug 58,9 Prozent.

Schweizer gegen Verbote, Bevormundung und Umerziehungsmaßnahmen

Das Gesetz wurde zuvor von allen Parteien außer der SVP unterstützt. SVP-Präsident Marco Chiesa (46) sagte am Abend bei „Blick TV“, dass das Wahlergebnis gleichzeitig ein Misstrauensvotum gegenüber Umweltministerin Sommaruga sei.

Thomas Hurter, Nationalrat der SVP im Kanton Schaffhausen erklärte im Schweizer Radio und Fernsehen „SRF“: „Es ist uns gelungen aufzuzeigen, dass es ein Gesetz ist, dass eine reine Umverteilung vornimmt.“ Die Vorlage strotze vor Verboten und Umerziehungsmaßnahmen, kritisierte die SPV. Das Gesetz koste viel und bringe nichts, die höheren Steuern und Abgaben gingen vor allem zulasten von hart arbeitenden Menschen.

SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi sagt: „Das Volk spürte, dass es bei der Vorlage von Anfang an nicht ums Klima, sondern um eine sozialistische Umverteilung und noch mehr Bevormundung der Bevölkerung geht.“

In den Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass über 50 Prozent des Volkes NEIN sagen würden, 75 Prozent der Volksvertreter hingegen JA. Gefragt wird: Wann würden die Parlamentarier „wieder am Puls des Volkes“ agieren „und nicht mit Medien unter internationalen Organisationen?“

Auf der ganz linken Seite wurde das Gesetz ebenfalls nicht unterstützt, jedoch aus dem Grund, dass es ihnen nicht weit genug gegangen war.

Die Bevölkerung trägt diese „Behördenvorlage“ nicht mit, erklärt FDP-Präsidentin Petra Gössi. Damit sollte nun das Parlament nacharbeiten und eine liberale Vorlage für den richtigen Umweltweg ausarbeiten – jedoch keine linke Vorlage, die in noch mehr Abgaben gipfeln würde.

Vorwurf an Umweltministerin: Abgelehnt wegen taktischen Fehlern?

Die Abstimmung ist eine bittere Niederlage für Umweltministerin Simonetta Sommaruga, berichtet der Sender „SRF“. Die Schweiz debattiert nun über den deutlichen Graben zwischen Stadt und Land und darüber, ob möglicherweise der Rücktritt von Sommaruga angebracht wäre.

Es sei ein taktischer Fehler von Umweltministerin Sommaruga gewesen, das CO2-Gesetz zusammen mit den Agrarinitiativen an die Urne zu bringen, erklärt der Jurist Urs Tanner auf Twitter.

Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (Mitte) meint ebenfalls, dass das Gesetz scheiterte, weil am selben Tag sowohl über das CO2-Gesetz als auch über die beiden Agrar-Initiativen abgestimmt worden sei: „Wegen dieser unglücklichen Verknüpfung kam bei der ländlichen Bevölkerung alles nur noch als links-grün rüber und wurden abgeschmettert.“

Dadurch sei die Landbevölkerung massiv an die Urne gebracht worden, die Städter hätten das Ruder nicht herumreißen können, so Müller-Altermatt. Der Bauernverband habe die Landbevölkerung als Wutbürger an die Urne geschickt.

Am Sonntag übte die Umweltministerin in einer Medienkonferenz Selbstkritik: „Die Vorlage hat unterschiedliche Bereiche abgedeckt und war vermutlich überladen.“ Das sei immer schwierig, weil sie die Angriffsfläche vergrößerten. Sie kündigte an, ein Gesetz vorzulegen, das alternative Energien fördert. Und erklärte, man müsse auch jene überzeugen, die heute mit Nein gestimmt hätte.

Ein Leser bei „20min.ch“ sieht dies anders: „Soso ein taktischer Fehler von Sommaruga wars. Heisst für mich: durch geschicktere Manipulation hätte man dem Volk dieses Kuckucksei ins Nest legen können oder wie? Ausserdem: es ging gleich um 3 Umweltthemen und 1 mal um Staatliche Überwachung, Kernthemen der Linken. Da sollte die Mobilisierung doch eigentlich maximal sein! Ich denke eher, das Volk hat genug von linken Zwängereien und Gestürm. Und irgendwann hat man die Nase voll von extremen Initiativen!“

Verbot synthetischer Pestizide und Trinkwasser-Initiative abgelehnt

Die Schweizer waren insgesamt zu fünf Abstimmungen aufgerufen. Neben dem CO2-Gesetz ging es um zwei Initiativen zur künftigen Agrarpolitik, um das COVID-Gesetz und das Anti-Terror-Gesetz.

Vor der Abstimmung in der französischsprachigen Westschweiz: „Zweimal Nein zu den extremen Pflanzenschutzinitiativen“. Foto: FABRICE COFFRINI/AFP via Getty Images

Eine der Agrar-Initiativen betraf die Abstimmung über das Verbot synthetischer Pestizide. Das Vorhaben wurde mit 60,56 Prozent abgelehnt. Die Initiative hatte ein Verbot von Unkrautvernichtungsmitteln binnen zehn Jahren gefordert. Außerdem sollten auch Lebensmittel nicht mehr importiert werden, die mithilfe von synthetischen Pestiziden hergestellt wurden.

Auch die Trinkwasserschutzinitiative wurde mit 60,68 Prozent der Stimmen abgelehnt. Die Initiative „Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung“ trat dafür ein, dass nur noch Bauern staatliche Subventionen erhalten, die ohne Pestizide und den prophylaktischen Einsatz von Antibiotika auskommen. Auch der Einsatz von Gülle auf Feldern sollte reduziert werden.

Zustimmung zu Corona-Gesetz und Anti-Terror-Gesetz

Die Schweizer konnten zudem über das Gesetz zur Bewältigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abstimmen. Es wurde von rund 60 Prozent der Abstimmungsteilnehmer unterstützt. Im Mittelpunkt des Covid-19-Gesetzes stehen die Rahmenbedingungen für Entschädigungen für die Leidtragenden der Corona-Pandemie wie etwa Unternehmen, Künstler oder Selbstständige.

Die Schweiz sei das einzige Land, in dem die Corona-Politik der Regierung vom Volk abgesegnet wurde, erklärt Nationalrat Gerhard Pfister (Präsident der CVP, Die Mitte Schweiz) dazu: „Die Schweiz ist keine Diktatur und das Votum stützt den Bundesrat.“

FDP-Chefin Petra Gössi sprach trotzdem von einem „erschreckend hohen“ Anteil der Nein-Stimmen. Und: „Aber gerade auf dem Land war die Unzufriedenheit über die Einschnitte in den letzten eineinhalb Jahren groß. Die Leute brauchten ein Ventil.“

Mit einem weiteren Referendum erhielt die Polizei mit 56,58 Prozent Zustimmung die Befugnis, Menschen ab zwölf Jahren verstärkt zu überwachen, wenn der Verdacht besteht, dass sie Gewalttaten planen. Auch ihre Bewegungsfreiheit kann dann eingeschränkt werden.

Mit einem entsprechenden Gerichtsbeschluss können künftig zudem Verdächtige ab einem Alter von 15 Jahren für bis zu neun Monate unter Hausarrest gestellt werden. Diese neuen Befugnisse sind umstritten und werden kritisiert.

(Mit Material von afp)



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