„Problematisches Verhältnis zur Wahrheit“? Grüne EU-Spitzenkandidatin Schilling im Zwielicht

Im linksliberalen „Standard“ erschien kürzlich ein vernichtender Artikel über Lena Schilling, die Spitzenkandidatin der Grünen zur EU-Wahl in Österreich. Die Parteispitze spricht von „anonymem Gemurkse und Gefurze“ und stellt sich hinter sie.
Titelbild
Die Spitzenkandidatin der österreichischen Grünen für die Europawahlen, Lena Schilling, bei einer Wahlveranstaltung.Foto: StefanieFreynschlag/flickr (Lizenz CC0)
Von 9. Mai 2024

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In Österreich ist die Spitzenkandidatin der Grünen zur EU-Wahl, die 23-jährige Klimaaktivistin Lena Schilling, ins Zwielicht geraten. Dabei geht es nicht einmal um spektakuläre Verwerfungen, die der Jungpolitikerin angelastet würden. Die Vorwürfe kommen auch nicht von rechts. In einem ausführlichen Artikel im „Standard“ werden jedoch so viele Anschuldigungen hinsichtlich zwischenmenschlicher Umgangsformen gegen Schilling laut, dass ihre charakterliche Reife für ein hohes Amt insgesamt infrage steht. Im Kern heißt es, sie habe ein „problematisches Verhältnis zur Wahrheit“ und hinterlasse „verbrannte Erde“.

Unterlassungserklärung als Ausgangspunkt einer breiten Recherche

Am Dienstag, 7. Mai, erschien das Ergebnis einer umfangreichen Recherche zweier Redakteure des linksliberalen Blattes. Der Beitrag verweist gleich zu Beginn auf eine Unterlassungserklärung, die Schilling unterzeichnet habe – und die sich auf gleich mehrere Äußerungen beziehe.

So dürfe sie nicht weiter behaupten, der Ehemann einer ihrer besten Freundinnen würde diese verprügeln und diese hätte nach einem Übergriff sogar eine Fehlgeburt erlitten. Die Freundin selbst sei es gewesen, die diese Verpflichtung erwirkt habe, keine ehrverletzenden Gerüchte mehr zu verbreiten. Der Vergleich sei an die grüne Bundesgeschäftsstelle ergangen, die Kosten habe sie selbst übernommen.

Schilling habe, so heißt es aus der Partei, die Äußerungen „aus Sorge um eine Freundin in ihrem engsten persönlichen Umfeld getätigt“. Sie bedauere nun „die daraus entstandenen Kränkungen“ und sei deshalb auch zu dem Vergleich bereit.

„Weiß nicht, warum Schilling Vorwürfe erfunden hat“

Nach einigen Spekulationen gab sich die Gründerin der Bundesstiftung comun_oe, Veronika Bohrn Mena, als die Betroffene zu erkennen. Die Ehefrau eines bekannten Fernsehjournalisten zog Schillings Motive allerdings in Zweifel:

„Ich wünschte, das alles wäre niemals öffentlich geworden, ich habe auch von mir aus keine rechtlichen Schritte ergriffen und warum Lena diese furchtbaren Vorwürfe frei erfunden hat, weiß sie selbst. Ich weiß es auch und es hatte nichts mit Sorge um mich oder meine Familie zu tun.“

Die Angelegenheit soll jedoch – wie den „Standard“-Journalisten zu Ohren gekommen sei – nur die „Spitze des Eisbergs“ gewesen sein. Vorwürfe gegen Schilling seien aus deren engstem Umfeld gekommen. In internen Chats grüner Spitzenpolitiker hingegen war schon früh die Rede von einer „Schmutzkampagne“, nachdem das Blatt eine erste detaillierte Anfrage übermittelt hatte.

Die Redakteure hätten in weiterer Folge mit etwa 50 Leuten gesprochen. Die Bilanz aus den Gesprächen sei, dass Schilling „viele Menschen verärgert oder verletzt und einige sogar in existenzbedrohende Schwierigkeiten gebracht hat“.

Mehrere Dutzend Personen aus Grünen-Umfeld warnen vor Schilling

Zahlreiche befragte Personen, die einander nicht gekannt hätten und mit denen Schilling in unterschiedlichen Kontexten zu tun gehabt habe, vermittelten demnach einen eindeutigen Eindruck:

„Schilling habe ein problematisches Verhältnis zur Wahrheit, spiele Personen gegeneinander aus und hinterlasse verbrannte Erde.“

Die Reporter hätten Dokumente, Chats und schriftliche Erklärungen eingesehen, die Aussagen, die ihnen gegenüber getätigt worden seien, bestätigt hätten. Zwar berührten zahlreiche Vorwürfe gegen die Kandidatin die Privatsphäre, dennoch seien die Ereignisse „von öffentlichem Interesse“.

Immerhin würde sie voraussichtlich eine halbe Million Menschen im EU-Parlament vertreten, möglicherweise als Spitzenkandidatin die europäische Delegation der Grünen anführen.

Verhalten „nicht normal“

Schilling habe, so das Ergebnis der Recherche, Dritten gegenüber behauptet, ein Journalist, mit dem sie regelmäßig zu tun gehabt habe, hätte sie belästigt. Dieser musste daraufhin eine interne Untersuchung bei seinem Arbeitgeber über sich ergehen lassen. Er stellte freiwillig alle Unterlagen wie Chats mit Schilling zur Verfügung – und es stellte sich heraus, dass es keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten gegeben habe.

Im Fall eines weiteren Fernsehjournalisten soll Schilling diesem eine Affäre mit ihr selbst, aber auch anderen Frauen aus den Reihen der Grünen angedichtet haben. Er habe auf Klagen verzichtet, um öffentliches Aufsehen zu vermeiden. Allerdings hätten Kollegen aus den Reihen der Partei den freimütigen Umgang mit privaten Dingen dieser Art bemerkt – und wie Schilling schwere Vorwürfe darin verpackt hätte. Ein Abgeordneter bezeichnete dieses Verhalten gegenüber dem „Standard“ als „nicht normal“.

Schlüsselrolle bei tätlicher Auseinandersetzung zwischen Abgeordnetem und Journalisten

Schilling soll zudem auch eine Schlüsselrolle gespielt haben beim Rücktritt des früheren Nationalratsabgeordneten Clemens Stammler. Im Oktober 2023 hatte Fraktionschefin Sigrid Maurer berichtet, dieser hätte im Wiener Club „U4“ in angeheitertem Zustand eine „junge Aktivistin belästigt“. Als ein Journalist ihr hätte helfen wollen, habe der stämmige Biobauer diesen an der Gurgel gepackt und verletzt.

Zu Beginn sei der Eindruck entstanden, Stammler hätte eine Fremde bedrängt. Tatsächlich hatte es sich um Lena Schilling gehandelt – und diese habe ihn selbst zu der Party eingeladen. Zuvor hätten beide, wie sich Chats entnehmen ließ, schon seit Längerem engen Kontakt zueinander gehabt. Im Club selbst soll sie hingegen Anwesenden gegenüber erklärt haben, ihn nicht zu kennen und schlecht über ihn gesprochen haben.

Auch in der Klimabewegung habe sie sich – wie ältere Aktivisten geäußert hätten – manipulativ gegenüber jungen Menschen verhalten, die zu ihr aufgeblickt hätten. Einige Mitstreiterinnen habe sie gegeneinander ausgespielt. Als Kritik laut geworden sei, habe sie sich umgehend aus Jugendrat und Klimabewegung entfernt. Eine erfahrene Grünen-Politikerin mutmaßte, man habe Schilling vor ihrer Spitzenkandidatur „nicht auf ihre Eignung überprüft“ oder „Warnsignale ignoriert“.

Probleme der Grünen könnten NEOS oder KPÖ nutzen

Für die Grünen seien diese Vorwürfe „wirklich bitter“, kommentiert die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle gegenüber „ORF.at“.

Am Mittwoch erklärte die Parteispitze in einer Pressekonferenz, an Schilling als Spitzenkandidatin festhalten zu wollen. Da die Liste bereits genehmigt und die Wahlzettel gedruckt seien, könne sie ohnehin nur noch auf ihr Mandat verzichten. Vizekanzler Werner Kogler sprach von „anonymem Gemurkse und Gefurze“ gegen Schilling, dem man weiter keinen Wert zumesse. In der Parteispitze sieht man die Berichte als Ausdruck einer „Angst vor selbstbewussten jungen Frauen“.

Wie die Wähler reagieren, ist unklar. In Österreich ist die Stammwählerschaft der Grünen geringer als in Deutschland, es gibt mehr taktische Wähler, die bei Bedarf auch auf andere Parteien umsteigen. Dies könnte auf den letzten Metern vor der EU-Wahl der linksliberalen Partei NEOS mit dem Fernsehjournalisten Helmut Brandstätter nutzen. In einigen Fällen vielleicht auch der KPÖ, die Umfragen zufolge derzeit bei drei Prozent liegt – und damit einen Punkt unter der Sperrhürde.



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