Pressespiegel zum Corona-Lockdown 2.0: „Wie wäre es mit zwei Wochen Corona-Schweigeklausur für die Regierung und Experten?“
"Was wäre, wenn Teile der Regierung, der 'Experten' aller Art, aber auch mancher Medien in eine Art freiwillige Corona-Schweigeklausur gingen? Sagen wir: zwei Wochen?" Das schlägt der stellvertretende Chefredakteur des "Handelsblattes" vor. Für Alexander Marguier vom „Cicero“ ist das „Maß des Erträglichen überschritten“. Ein Blick in die Presse.

Eine Frau auf einer Demonstration von Kulturveranstaltern in Berlin.
Foto: Maja Hitij/Getty Images
Die Bund-Länder-Konferenz hat sich geeinigt – und es wurde weitestgehend ein Status hergestellt, wie er weitgehend bereits die Corona-Maßnahmen im Mai gekennzeichnet hatte. Der neue Lockdown, der am kommenden Montag (2.11.) in Kraft treten soll und vorerst auf einen Monat befristet ist, wird von weitreichenden Kontaktbeschränkungen gekennzeichnet sein.
Auch das öffentliche Leben vom Freizeitpark über die Kinos bis hin zum Sport wird erneut lahm liegen, das Gastgewerbe wird wieder auf Lieferung und Abholung beschränkt. Es gelten Beherbergungsverbote, ausgenommen für nicht touristische Zwecke. Immerhin bleiben Schulen und Kitas geöffnet. In der Presse sind häufiger kritische Kommentare zu verzeichnen.
Kritik der vergangenen Wochen blieb unberücksichtigt
Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der in den vergangenen Wochen deutlich lauter gewordenen öffentlichen Kritik an der Corona-Politik von Bund und Ländern nicht Rechnung getragen wurde. Die Teilnehmer der Telefonkonferenz haben sich nicht zu der Frage geäußert, wann das Parlament wieder eine Mitsprache bezüglich der Pandemie-Maßnahmen eingeräumt wird.
Immerhin hatten nicht nur die Fraktionsspitzen der Bundestagsparteien und der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, sondern sogar Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble persönlich eine Einbindung der gewählten Gesetzgeber angemahnt.
Auch den Anregungen von Experten aus dem Gesundheitswesen und der Wissenschaft wurde nicht Rechnung getragen. Diese hatten gefordert, ein differenzierteres Bewertungssystem bezüglich der Notwendigkeit von Corona-Maßnahmen zu schaffen, das nicht nur auf die Zahl der positiven Tests und damit per Gesetz als solcher geltenden Neuinfektionen abstellt, sondern auf die Zahl derjenigen, die tatsächlich Symptome zeigten. Der Anstieg auf 13.161 positiv auf SARS-CoV-2 Getesteter in Deutschland am gestrigen Dienstag wog am Ende schwerer – zumal an jenem Tag auch 81 Tote zu verzeichnen waren, der höchste Wert seit Mitte Mai.
„Handelsblatt“: Lockdown für die Regierung?
Thomas Tuma, stellvertretender Chefredakteur des Handelsblatts, schlägt eine Art Lockdown für die Regierung vor:
„Was wäre, wenn Teile der Regierung, der ‚Experten‘ aller Art, aber auch mancher Medien in eine Art freiwillige Corona-Schweigeklausur gingen? Sagen wir: zwei Wochen?“
Damit könnte man „die akute Welle der Hysterie, Panikmache und Untergangs-Menetekel brechen? Wäre das nicht ein spannendes Experiment – und vergleichsweise harmlos im Vergleich zu all den Operationen am offenen Herzen einer Gesellschaft im Ausnahmezustand, wie wir sie in den vergangenen Monaten erleben mussten?“
Konkret angesprochen wird ein „bisschen Talkshow-Abstinenz“ für den SPD-„Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und andere apokalyptische Reiter“. Oder „Politiker wie Markus Söder wenigstens einen Herbsturlaub lang damit aufhören könnten, sich einen Wettlauf mit Konkurrenten zu liefern über die Frage, wer der härteste Corona-Bekämpfer im Land ist.“
Auch ein Lockdown für „manche hiesige Medien“ sei empfehlenswert: Sie sollten „zu ihrer Rolle als Wächter, Kritiker und nüchterne Faktensammler zurückkehren, statt sich als Claqueure von Kanzlerin, Gesundheitsminister oder RKI-Chef zu begreifen.“ Und – dieses Coronavirus sollte einmal im „richtigen Verhältnis“ gegenüber anderen Krankheiten betrachtet werden. Allein an Lungenentzündungen, die außerhalb der Krankenhäuser auftreten, stürben jährlich 40.000 Menschen – viermal mehr als die Corona-Opfer.
„Bild“: Merkel freut sich über einheitliche Regeln
In der „Bild“-Zeitung sagte Paul Ronzheimer , die Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Bund-Länder-Runde habe „bedrückt, deprimiert“ gewirkt. Die Worte der Kanzlerin waren „dramatischer“ als in den vergangenen Wochen. Die Rede sei von einer „nationalen Kraftanstrengung“ gesprochen. Merkel habe ihre Kritiker, die auf andere Parameter gedrängt hätten, auf die steigende Belegung von Intensivbetten hingewiesen.
Die Kanzlerin habe die Maßnahmen, die sich gegen „alles, was Spaß macht“, richteten, bereits vor zwei Wochen auf der Uhr gehabt. Diese seien in der damaligen Runde jedoch noch nicht durchsetzbar gewesen. Es „freut die Kanzlerin ganz besonders“, so der „Bild“-Analyst, dass es ab Montag keinen Flickenteppich an Regelungen mehr gäbe, sondern in ganz Deutschland einheitliche Regelungen gelten würden.
Scharfe Lockdown-Kritik im „Cicero“ unterstreicht Stimmungswandel in der Presse
Eine besonders scharfe Kritik formulierte hingegen Alexander Marguier im „Cicero“. Unter dem Titel „Der Staat allein kann uns nicht retten“ äußert der Autor Zweifel, ob der nunmehr befristete „Lockdown light“ überhaupt greife – oder ob sich das nunmehrige Szenario schon bald wiederholen könnte.
„Gesellschaft und Wirtschaft im Zustand völliger Unsicherheit, völliger Unberechenbarkeit und offensichtlicher Planlosigkeit: Das hält kein Gemeinwesen auf Dauer aus“, schreibt Marguier. Man könne ein Land nicht immer wieder hoch- und runterfahren in der Hoffnung auf Besserung, das nunmehrige Vorgehen wirke wie „blinder, panikartiger Aktionismus“ und sei vor allem Symbolpolitik.
Der Staat nehme sich „in seiner Rolle des strengen Erziehers eben das Recht heraus, auch danebenzuhauen und den falschen zu treffen“. Das „Maß des Erträglichen überschritten“ sei, wenn nun Politiker wie Karl Lauterbach auch noch über das Eindringen des Staates in Privatwohnungen zu Kontrollzwecken nachdächten.
Der Lockdown könne „unmöglich zum modus vivendi unserer Demokratie werden, genauso wenig unseres Soziallebens, unserer Kultur, unserer Wirtschaft“. Die westlichen Wohlstandsgesellschaften hätten es jedoch verlernt, mit Risiken umzugehen. Es sei ein Alarmzeichen, dass Politiker angesichts eines Virus, das aus einer Diktatur kommt, selbst von staatlicher Allmacht träumten.
Gerade weil der Staat sich bislang noch drauf verlassen könne, mittels des Versprechens von Rettungspaketen Unmut gering zu halten und damit Erfolg habe, sollten endlich wieder die Parlamente zu Wort kommen. Die Bürger müssten zudem wieder den Wert der Eigenverantwortung begreifen.
„Welt“: Lockdown folgt nicht den Gesetzen der Denklogik
Auch in der „Welt“ war die Reaktion heftig. Der Lockdown funktioniere „nur, wenn man das logische Denken sein lässt“, kommentiert Thomas Vitzthum. Das als „Wellenbrecher-Lockdown“ von Bund und Ländern beschlossene Paket treffe viele Branchen vollkommen zu Unrecht.
Die größte Herausforderung für die Bürger liege „nun wohl nicht nur in der Einhaltung der neuen Regeln – sondern darin, ihre Widersprüchlichkeit zu akzeptieren“. Immerhin würden nicht nur Zahlen, sondern auch die Lebenserfahrung vieler Bürger selbst dem widersprechen, was nun als vermeintliche Notwendigkeit vorgegeben worden sei:
„Jeder kennt wohl einen Gastronomen, der sich akribisch an Hygienemaßnahmen gehalten hat, jeder Konzertbesucher weiß, dass die Opern- und Konzerthäuser schon heute aseptischen Sälen gleichen. Ein Nagelstudio wird sich wundern, warum es schließen muss, aber der Friseur nebenan nicht.“
Sichere Branchen und Sektoren würden für weniger sichere „mitverhaftet, einfach, weil sie ebenfalls dem Freizeitleben angehören“, analysiert Vitzthum. Zudem sei der Erfolg des Lockdowns unsicherer, weil der Konsens bröckele, den es noch im Frühjahr gegeben habe.
Es gebe keine „Stay Home“-Bewegung, die den Menschen moralischen Rückhalt gäbe, die sich an die Pandemieregeln hielten, und „noch weniger als im März eine Garantie dafür, dass die Menschen sich nicht einfach zu Hause treffen, ob nun erlaubt oder nicht“.
Äußerungen wie jede von SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach über Kontrollen von Wohnungen seien kaum geeignet, die Akzeptanz der Regelungen zu erhöhen.
FAZ: „Kultur der Massenpsychologie geopfert“
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) nimmt Jan Brachmann an einem Aspekt des Lockdowns im besonderen Anstoß: jenem im Bereich der Kultur:
„Den Theatern und Opern, denen ohnehin schon viele Einnahmen weggebrochen sind und die sich dem Finanzierungsvorbehalt ihrer klammen Träger ausgesetzt sehen, gehen die umsatzstärksten Wochen verloren. […] Für all die freiberuflichen Sänger und Ensembles, denen schon die Passionszeit vor Ostern wegbrach, ist diese neue Nachricht eine Katastrophe. Das Veranstaltungsverbot trifft sie wirtschaftlich ins Mark.“
Die Zahl der Besucher von Kultureinrichtungen sei gering, und sie „gelten auch als besonders zivilisiert, anders als die Anhänger der Partyszene“.
Da es das Frust-Potenzial hätte steigern können, private Feiern zu beschränken, aber gleichzeitig hunderte Besucher in der Oper zuzulassen, habe man sich für „massenpsychologische Vernunft in den nun beschlossenen Maßnahmen“ entschieden.
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