Polen fürchtet massenhafte Abwanderung ukrainischer Arbeiter nach Deutschland
Auf dem Bau, auf dem Land – Polen fürchtet eine massenhafte Abwanderung ukrainischer Arbeiter nach Deutschland. Das ohnehin an Fachkräften klamme Land schaut derzeit mit besorgtem Blick auf den westlichen Nachbarn, seit die Bundesregierung im Dezember das Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg gebracht hat. Es erleichtert den Zuzug von Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Ländern – und trifft bei den Ukrainern auf interessierte Kandidaten.
„Vor allem die Landwirtschaft und der Bausektor werden von der Panik erfasst“, sagt Krzysztof Inglot, der in Polen die Rekrutierungsfirma Personnel Service leitet, die mit der Ukraine zusammenarbeitet. Denn dort arbeiteten viele Menschen schwarz und sie seien es, die nach Deutschland wollten. „Wer legal in Polen arbeitet, hat weniger Anreize umzuziehen“, sagt Inglot und verweist auf die höheren Lebenshaltungskosten in der Bundesrepublik.
Personnel Service rekrutierte bereits 9000 Ukrainer für Polens Arbeitsmarkt. Wieviele insgesamt in Polen arbeiten, lässt sich nur schwer sagen, denn viele kommen nur für wenige Monate. Schätzungen gehen aber von über einer Million aus. Sie füllen eine Lücke, die rund zwei Millionen Polen nach der EU-Osterweiterung 2004 in den heimischen Arbeitsmarkt gerissen haben, als sie für besser bezahlte Jobs nach Westeuropa ausschwärmten.
Polens Unternehmer- und Arbeitgebervereinigung ZPP schlug nun wieder Alarm und warnte wegen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vor einer neuen Abwanderungswelle. Das Gesetz sieht vor, dass ausländische Fachkräfte für sechs Monate nach Deutschland kommen können, um sich einen Job zu suchen. Sie müssen so gut Deutsch sprechen wie für eine Tätigkeit ihrer Qualifikation nötig und nachweisen, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Wer einen Arbeitsplatz vorweisen kann, soll in jedem Job arbeiten können – nicht mehr nur in Engpassberufen.
In Deutschland steht noch das parlamentarische Verfahren aus, in Kraft treten könnte das Gesetz Anfang 2020. In der Bundesrepublik arbeiten nach offiziellen Angaben derzeit rund 140.000 Ukrainer – danach könnten es deutlich mehr werden. Und dann buhlen Deutschland und Polen um dieselben Menschen. Deutschland lockt mit 1,2 Millionen freien Stellen. Es fehlt an Fachkräften in Gesundheit und Pflege, in den MINT-Berufen und im Handwerk.
Den polnischen Arbeitsmarkt macht das unruhig. Die Wirtschaft wächst seit dem Ende des Kommunismus stetig an, für 2018 rechnet die Regierung mit einem BIP-Wachstum von 3,8 Prozent, internationale Organisationen sind noch optimistischer. Doch sollte eine halbe Million Ukrainer Polen verlassen, droht ein Rückgang von 1,6 Prozent – so das Worst-Case-Szenario der polnischen Arbeitgeber.
In der Ukraine ist der Wille zur Abwanderung groß. Der Lebensstandard liegt unter dem der westlichen Nachbarn und der bewaffnete Konflikt im Osten bremst das Land. Schätzungen zufolge haben 3,2 Millionen der 45 Millionen Ukrainer Jobs im Ausland, zwischen sieben und neun Millionen haben Saisonjobs.
„Polen ist dabei unser erstes Ziel“, sagt etwa Igor, der seit vier Jahren in Warschau als Fahrradmechaniker arbeitet. „Die Sprache ist leichter für uns als Deutsch oder Englisch, es ist näher zur Heimat und wir finden leicht Freunde.“ Allerdings sagten kürzlich in einer Umfrage fast 40 Prozent der Ukrainer in Polen, dass sie darüber nachdenken, zum Arbeiten nach Westeuropa zu gehen – also auch nach Deutschland.
Der Arbeitgeberverband ZPP macht nun Druck auf die Regierung, den Zuzug ausländischer Arbeiter zu erleichtern. So soll bald die Dauer von Arbeitsvisa verlängert werden und es soll Erleichterungen bei Aufenthaltsrecht und Einbürgerung geben. Polen ist dabei mit seinen Sorgen nicht allein – auch die kleineren Nachbarländer Tschechien und Slowakei bereiten sich auf eine drohende Abwanderung vor. (afp)
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