Personalpoker in Brüssel: Junckers „Monster“ verlässt sein Amt vor der Abstimmung
Martin Selmayr war in den vergangenen fünf Jahren der am meisten umstrittene und bewunderte EU-Beamte in Brüssel. Der 48-jährige Deutsche war zunächst der Kabinettschef von Noch-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und dann Generalsekretär der mächtigen EU-Behörde. Nun kehrt er Brüssel den Rücken und kündigte seinen Rücktritt an. Offenbar auch, um die Chancen von Ursula von der Leyen bei der Wahl zur Juncker-Nachfolgerin zu erhöhen.
Er wolle sein Amt als wichtigster Verwaltungsbeamter der Kommission „Ende nächster Woche“ niederlegen, sagte Selmayr dem Internet-Magazin „Politico“. Von der Leyen habe er schon vor zwei Wochen informiert und darauf verwiesen, dass die Frage nach seiner Zukunft aufkommen werde. „Ich habe ihr gesagt: Das Wichtigste ist, dass Sie jetzt diese Wahl gewinnen.“
Machthungriger Bürokrat?
In Brüssel gilt Selmayr vielen als machthungriger Bürokrat, der als „graue Eminenz“ hinter den Kulissen die Strippen zieht. Nach AFP-Informationen will Selmayr nun der EU-Hauptstadt sogar ganz den Rücken kehren. Dies kündigte er laut Teilnehmern bei einem Treffen mit seinen Mitarbeitern an.
Von der Leyen hatte vor den Abgeordneten ihrer konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) am Montag schon angedeutet, dass sie Selmayr nicht im Amt belassen wolle. Es gebe ein „ungeschriebenes Gesetz“, wonach es nicht zwei Verantwortliche einer Nationalität auf Spitzenpositionen geben könne, sagte sie laut einem Teilnehmer. Zuvor war sie vor allem von den Grünen attackiert worden, weil sie sich nicht zu Selmayrs Zukunft äußern wollte.
Der promovierte Jurist Selmayr hat einen Großteil seiner Karriere in der EU-Hauptstadt gemacht. Nach dem Studium in Genf und Passau sowie in London und Kalifornien arbeitete er zunächst als Rechtsberater für die Europäische Zentralbank. 2001 ging er zu Bertelsmann und wurde 2003 für den Medienkonzern Lobbyist in Brüssel.
Im November 2004 wechselte er in die EU-Kommission: Ab 2010 war er Kabinettschef von Justizkommissarin Viviane Reding. Bei der Europawahl 2014 wurde Selmayr Wahlkampfchef des Konservativen Juncker. Nach dessen Ernennung zum Kommissionspräsidenten wurde er Kabinettschef des Luxemburgers. Juncker hat ihn wegen seiner langen Bürozeiten und Arbeitswut als „Monster“ bezeichnet.
Kommission hatte die Regeln „manipuliert“
Zum Eklat kam es, nachdem Juncker angekündigt hatte, keine zweite Amtszeit als Kommissionspräsident anzustreben. Sein Kabinettschef brauchte deshalb eine neue Aufgabe. Im Februar 2018 wurde Selmayr binnen weniger Minuten erst zum stellvertretenden Generalsekretär und dann zum Generalsekretär der Kommission ernannt.
Die Blitzbeförderung löste einen Sturm der Entrüstung im Europaparlament aus. Es sprach in einer Entschließung von einer „handstreichartigen Aktion“ und forderte eine Neuauflage des Verfahrens. Die EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly leitete eine Untersuchung ein und kam zu dem Schluss, dass die Kommission die Regeln „manipuliert“ habe. Doch es blieb bei einer Rüge.
In der ausländischen Presse stieß Selmayr auch auf Misstrauen, weil er einen deutschen Pass hat – und damit im Verdacht stand, in Brüssel die Interessen Berlins durchzusetzen. Der für Personal zuständige deutsche Haushaltskommissar Günther Oettinger wies das 2018 zurück: Selmayr sei „mit Sicherheit kein Undercover-Agent der deutschen Politik – im Gegenteil“.
Die Nationalität könnte bei Selmayrs Nachfolge aber durchaus eine Rolle spielen, nachdem der Vorschlag, von der Leyen zur Kommissionschefin zu machen, von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stammen soll. „Politico“ zufolge sieht Selmayr den Franzosen Olivier Guersent, bisher Generaldirektor für den Bereich Finanzdienstleistungen, als Favoriten für seine Nachfolge.
Selmayrs eigene Zukunft ist unklar. In der Vergangenheit wurde über Posten als EU-Botschafter in Washington oder nach dem Brexit in London spekuliert. Klar ist, einen lukrativen Posten in der Wirtschaft könnte der langjährige Brüssel-Insider problemlos finden. (afp)
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